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Brandenburg: Schmerzen des Wachstums

Im Speckgürtel haben Städte wie Oranienburg und Falkensee ganz ähnliche Probleme wie Berlin. Wohnraum wird immer knapper, Zuzügler verdrängen Einheimische.Die Landesregierung will gegensteuern

Millionensummen gab Brandenburg aus, um die Menschen in den entlegenen Gegenden Brandenburgs zu halten. Leer stehende Plattenbauten wurden abgerissen, die Dorfstraßen sind hübsch hergerichtet, alte Stadtkerne auch.

Doch plötzlich drückt es an ganz anderer Stelle: Brandenburg hat Wachstumsschmerzen, gleich hinter der Berliner Stadtgrenze, im Speckgürtel. Die Geburtenraten steigen, viele Berliner zieht es raus ins Land, die Städte und Gemeinden wachsen. Das hat nun auch die Landesregierung erkannt und will den Prozess besser steuern. Nur wie, das ist noch unklar. Dazu befragte die neue Infrastrukturstaatssekretärin Katrin Lange die Bürgermeister aus den 30 Städten am Mittwoch in einer internen Runde. Brandenburgs Landespolitik steht vor einem Paradigmenwechsel.

Die Probleme im Berliner Umland sind vielfältig. Zum Beispiel Oranienburg, die Zahl der Einwohner stieg um 1000 auf 42 000: Am Freitag will Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) den Grundstein für eine neue Grundschule legen. 17,7 Millionen Euro kostet der Bau. „Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Bau von Kindertagesstätten und Schulen finanzieren können“, sagt Laesicke. Hier müsse das Land helfen. In Potsdam sind die Probleme ähnlich. Allein 160 Millionen Euro sind in den nächsten Jahren nötig, um die neuen Schulen zu bauen und die bestehenden zu erweitern.

Oder der Wohnungsbau: Bereits im vergangenen Sommer führte die Landsregierung für die 30 Städte und Gemeinden wie Bernau, Birkenwerder, Blankenfelde-Mahlow, Erkner, Falkensee, Glienicke/Nordbahn, Hennigsdorf, Hohen Neuendorf, Mühlenbeck, Schönefeld und Teltow eine Mietpreisbremse ein. Binnen drei Jahren dürfen Bestandsmieten nur um maximal 15 Prozent steigen, 20 Prozent waren es vorher. Der Nutzen ist noch unklar, sagten mehrere Teilnehmer der Bürgermeisterrunde im Infrastrukturministerium den PNN. Das weitaus größere Problem ist für Laesicke, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Er spricht von Verdrängung Einheimischer durch Zuzügler. Die Zeit, in der die Menschen raus aus Berlin auf Land zogen, um sich ein Einfamilienhaus zu bauen, sei vorbei. Mietwohnungen seien gefragt. Viele Einheimische könnte sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten.

Das bestätigt auch Heiko Müller (SPD), Bürgermeister in Falkensee im Havelland, wo sich die Zahl der Einwohner seit 1990 auf 43 000 verdoppelt hat – jedes Jahr kommen weitere 500 hinzu. „Es muss uns gelingen, die Mieten bezahlbar zu halten“, sagt er. Die Mieten in Neubauten seien zu hoch. Hinzu kommt der demografische Wandel. Nötig seien altersgerechte Wohnungen mit Fahrstuhl. Müller sagt: „Wir haben im Wettlauf mit dem enormen Zuzug Schritt gehalten – Baugebiete angeboten, Schulen und Kitas gebaut. Jetzt brauchen wir aber mehr Angebote für Senioren, etwa im Kultur und Gesundheitsbereich.“ Die Zahl der älteren Menschen über 65 Jahre werde sich bis zum Jahr 2030 von 8000 auf 14 000 fast verdoppeln.

Weil der Speckgürtel wächst, wird es auch in den Regionalzügen und S-Bahnen immer enger. Der Anteil der Pendler ist in Falkensee besonders hoch, fast 8000 Falkenseer fahren jeden Tag nach Berlin zur Arbeit. „Die Züge sind inzwischen so proppenvoll, dass sich viele inzwischen wieder für das Auto entscheiden“, sagte Müller. Viermal pro Stunde halten Regionalzüge in Falkensee. Das reicht offenbar nicht. Müller fordert seit Jahren mehr Züge im Regionalbahnverkehr, wenn nötig ein weiteres Gleis in Richtung Spandau. Doch zwischen Berlin und Brandenburg herrscht Funkstille. Auch andernorts, in Potsdam-Mittelmark, wird eine bessere Anbindung gefordert – Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow etwa wollen seit Jahren eine Verlängerung der S-Bahn-Trasse über Teltow hinaus und einen weiteren S-Bahn-Anschluss in Stahnsdorf. Auch Velten (Oberhavel) fordert seit Jahren die Anbindung ans S-Bahn-Netz.

Für den Bürgermeister von Königs Wusterhausen, Lutz Franzke, geht es bei den Problemen in den Speckgürtel-Städten auch um die wirtschaftliche Zukunft. Es ist eine Boom-Region rund um den neuen Hauptstadtflughafen, die Zahl der Beschäftigten wächst. „90 Prozent der neuen und gut bezahlten Jobs bekommen Berliner“, sagt Franzke. „Wir müssen ihnen ein Angebot machen, damit wenigstens ein Teil auch bleibt und hier wohnen will. Wir brauchen Wohnraum, um die Fachkräfte im Land zu halten.“ Die Landesregierung müsse sich etwas überlegen, die Kommunen im Speckgürtel „schwimmen nicht im Geld“.

Zumindest, so loben es die Bürgermeister unisono, habe die Landesregierung das Problem erkannt. „Besser spät als nie“, sagte Hans-Joachim Laesicke aus Oranienburg.

Tatsächlich driften die berlinfernen Regionen und das Berliner Umland immer weiter auseinander. „Die Schere öffnet sich weiter“, sagt Daniel Föste, Regionalforscher vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung. Und die Lage in Brandenburg mit seinem Berliner Umland sei deutschlandweit einmalig. Im Speckgürtel wird die Bevölkerung um fünf Prozent wachsen, fast 42 Prozent aller Brandenburger werden dort, auf zehn Prozent der Landesfläche, leben. In den entfernten Regionen dagegen wird die Einwohnerzahl um knapp 20 Prozent sinken. Staatssekretärin Katrin Lange kündigte nach der Runde an, den „notwendigen Ausbau von Verkehrswegen und die soziale Stadtentwicklung“ aktiv zu unterstützen. Bei weiteren Konferenzen in diesem Jahr soll es noch um den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und notwendige soziale Einrichtungen gehen.

Lutz Franzke aus Königs Wusterhausen ist zufrieden: „Es hat lange gedauert, den Blick der Landesregierung zu schärfen. Der Speckgürtel erwirtschaftet den Aufschwung des Landes, da muss man etwas zurückgeben.“

nbsp;Alexander Fröhlich

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