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Der Helmertturm auf dem Telegrafenberg: Potsdams vergessenes Erbe

Einst wurde vom Helmertturm auf dem Telegrafenberg aus die Welt vermessen. Jetzt soll eine Spendenaktion das Wissenschaftsdenkmal vor dem Verfall retten. Der Finanzbedarf ist hoch, sehr hoch.

Potsdam - Er war einst so etwas wie der Nabel Europas. Ein zentraler Punkt für die Geodäten des Kontinents. Heutzutage fristet der Bau hingegen ein jämmerliches Dasein: Der Helmertturm auf dem Potsdamer Telegrafenberg ist mächtig in die Jahre gekommen. Rostspuren sind unübersehbar. Rotbraune Flächen und Streifen verunzieren das Äußere des Turms. Die eigentliche Außenhaut hat man dem Gebäude schon vor Jahrzehnten genommen. Gleichsam nackt und bloß steht er heute da, mitten im Wissenschaftspark Albert Einstein. Der Helmertturm ist so baufällig, dass man nicht einmal mehr die Treppen in seinem Inneren erklimmen darf.

Damit dieses Wissenschaftsdenkmal nicht weiter verfällt, nicht ein Körnchen im Staub der Geschichte wird, hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz eine Werbekampagne zur Rettung des Turms gestartet. Der Finanzbedarf ist immens: Auf eine Million Euro schätzt Martin Pestke vom Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ) die Restaurierungskosten für den Turm sowie für das historische Meridianhaus und das Uhrenhaus am Fuß des Turms. Die Gebäude gehörten einst zum Geodätischen Institut. Vier spezielle, teils merkwürdig aussehende Häuser bildeten in früheren Zeiten gemeinsam mit dem Helmertturm und noch weiteren kleinen Bauten das sogenannte Observatorium für Winkelmessungen. In den Jahren 1889 bis 1893 entstand dieses Ensemble aus Blech- und Steinhäusern.

Ehemalige Turm-Kuppel mit Spitze erinnert an eine Pickelhaube

Das auffälligste Gebäude des Observatoriums war freilich der 15 Meter hohe Turm, ein für die Landvermesser Preußens zentraler Bezugspunkt. Der Bau trug ursprünglich – anders als heute – eine weithin sichtbare Kuppel, darüber eine Spitze, die ein wenig an eine Pickelhaube erinnert. Vom Turm aus nahm man wissenschaftliche Messungen im Gelände vor. „Er war eigentlich gedacht zur Untersuchung von Richtungsmessungen“, erzählt Physiker Ludwig Grunwaldt, der seit fast 40 Jahren auf dem Telegrafenberg arbeitet. Von dem 1893 eingeweihten Turm aus wurden die Gestirne und vier Mirenhäuschen auf dem Telegrafenberg sowie zwei Fernmiren – die Südmire auf dem Kleinen Ravensberg und die Nordmire im Königswald bei Sacrow – anvisiert (lat. mirare - verehren, bewundernd anschauen). Für das sogenannte Europäische Datum ED50, nach dem sich ab 1950 in weiten Teilen Europas die Landvermessung ausrichtete, wurde der Helmertturm als Fundamentalpunkt festgelegt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute man den Turm um. Er erhielt statt der Kuppel einen flachen Deckel sowie die heute für das Bauwerk so charakteristischen Ausleger, auf denen der Turmdeckel auseinandergeschoben werden konnte, um auf diese Weise ein freies Blickfeld für Himmelsbeobachtungen zu bekommen. In den 1960er-Jahren installierten die Wissenschaftler auf dem Turm eine Satellitenkamera von Carl Zeiss Jena, berichtet Physiker Grunwaldt. „Man hatte die Satelliten recht schnell als Hochziele der Geodäsie erkannt.“ Später, in den 1970er-Jahren, kam ein Lasermessgerät hinzu. Damit vergrößerten sich die Untersuchungsmöglichkeiten der Wissenschaftler, Bahnen von Himmelskörpern konnten nun direkt gemessen werden. „Das war viel genauer als das fotografische Verfahren“, sagt Grunwaldt. Betrugen die Abweichungen bei jenem Verfahren noch zehn bis 20 Meter, so schrumpften mit dem Laser ab 1974 die Ungenauigkeiten bei ähnlich entfernten Objekten auf ein bis zwei Meter zusammen, erklärt der Physiker. Heutzutage seien in der Forschungswelt allerdings Abweichungen von nur noch wenigen Millimetern üblich.

Wichtig für die Zeitbestimmung

Eine wichtige Funktion der Geodäsie war früher die Zeitbestimmung. Zu diesem Zweck wurden die Meridianhäuser am Fuß des Turms errichtet. Eines der historischen Meridianhäuser ist noch erhalten – allerdings in einem äußerst schlechten Zustand. Hier maßen die Geodäten einst die Durchgangszeit und die Höhe von Sternen. Nach diesen Messergebnissen wurden früher die Uhren gestellt. „Die Astronomen waren die Bewahrer der Zeit“, sagt Grunwaldt.

Für den Helmertturm hatten sich die Erbauer eine interessante Konstruktion ausgedacht. Im Innern befindet sich noch heute ein gemauerter, isoliert gegründeter Kern, also quasi ein Ziegelsteinturm, auf dem oben die Messinstrumente standen. Dieser Kern war umschlossen von einer konstruktiv gänzlich von ihm getrennten zweischaligen Blechhülle. Sie erzeugte zwischen den beiden Schichten aus Blech ganz automatisch einen Luftstrom, sodass der Kern mit seinen empfindlichen Messinstrumenten wirkungsvoll vor Sonneneinstrahlung und Temperaturschwankungen geschützt werden konnte. Zu DDR-Zeiten entfernte man die äußere Hülle, weshalb heute die Stützkonstruktion von außen sichtbar ist.

Künftig als Aussichtsturm genutzt?

Wenn der Turm auch nicht mehr für wissenschaftliche Zwecke benötigt wird, so soll dennoch wieder Leben dort einziehen. Das GFZ und der Potsdamer Architekt Philipp Jamme haben bereits Pläne entwickelt. Der imposante, nach Friedrich Robert Helmert – dem 1917 verstorbenen Direktor des Geodätischen Instituts – benannte Bau könnte künftig als Aussichtsturm genutzt werden. Um an die frühere Bedeutung des Turms zu erinnern, gibt es Überlegungen, hier eine GPS-Station zu errichten. Das Uhrenhaus gleich nebenan könnte nach seiner Sanierung für Ausstellungen und Vorträge genutzt werden, das historische Meridianhaus als begehbares Denkmal und für Himmelsbeobachtungen. Doch zunächst muss alles umfangreich saniert werden. Auf die Frage, wann vielleicht mit dem Baubeginn zu rechnen sei, sagt Pestke nur: „Überhaupt keine Ahnung“ und schüttelt dabei energisch den Kopf.

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