zum Hauptinhalt

Ausstellung im "sans titre": Nackt – mehr nicht

Der neue Potsdamer Kunstverein Goldrotschwartz zeigt im „sans titre“ drei Maler – und ein Thema.

Blassrosa ist keine Farbe die schreit. Normalerweise. Blassrosa steht für Jugend, Zartheit und Zurückhaltung – aber nicht in der Ausstellung „Vielschichtig. Die Kunst des Körpers zur Verwandlung“, die derzeit im Kunsthaus „sans titre“ zu sehen ist. Dort bekommt dieses eigentlich lahme Blassrosa eine fast schon penetrante Wucht. In Form von menschlichem Fleisch wabert es hier über die großformatigen Bilder – so viel nacktes Fleisch war im „sans titre“ wohl selten. Das wäre an sich aber keine Sensation. Nacktheit, selbst wenn sie pornografisch wäre – was sie hier definitiv nicht ist –, regt weder an der Bushaltestelle noch im Internet kaum noch jemanden auf. In der Kunst, die ja Tabus brechen soll, schon gar nicht.

Immerhin: Rolf Ohst, dessen Bilder im „sans titre“ neben denen von Ralf Rduch und Hanjo Schmidt hängen, bricht mit seinen nackten Leibern ein anderes, vielleicht eines der letzten Tabus überhaupt: das Diktat des schlanken, straffen Körpers. Seine Modelle sind allesamt Frauen, was konsequent ist, schließlich verzeiht die Gesellschaft ihnen Fettleibigkeit noch viel weniger als Männern. Für jede der Frauen gibt es ein reales Vorbild, was er mit ihren überbordenden Körpern beim Betrachter auslösen will, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Ein wenig erinnern seine üppigen Leiber an die des 2011 gestorbenen britischen Maler Lucian Freud. Auch der beschönigte nichts, bei Ohst aber liegen die Frauen unbeweglich und ausgeliefert an Fantasiestränden. Das wirft den Betrachter auf seine Vorurteile, die tief ins Hirn gebrannten Schönheitsideale zurück, dann steht man plötzlich vor dem lebensgroßen Bild einer jungen Frau, die direkt zurückschaut. Sie ist dem Blick der Besucher nicht einfach ausgeliefert, hier kommt die Würde mit ins Spiel.

Es ist vielleicht das bemerkenswerteste Bild der ganzen Ausstellung, die Achim Künsebeck zusammen mit seiner Frau Dorothee organisiert und kuratiert hat. Es ist die erste ihres Kunstvereins Goldrotschwartz, der in Potsdam noch über keine eigenen Räume verfügt. Für die Schau, erzählen die beiden, mussten sie in Potsdam Klinken putzen. Die meisten Galerien in Potsdam haben nun mal ein straffes Programm. Der Name des Vereins, sagt Künsebeck, soll keine Deutschtümelei sein – eher im Gegenteil. Seine Frau und er gründeten Goldrotschwartz 2010, als sie aus beruflichen Gründen in Hongkong lebten. Kunst sammelten die beiden bis dahin nur privat, dann fanden sie, es sei an der Zeit für eine Online-Galerie. Also fingen sie an, deutsche Künstler im Ausland zu zeigen. Wichtigstes Kriterium bei der Auswahl: Mutig sollte sie sein, die Kunst, unbefangen, abseits des Mainstream. Dafür soll dann auch der Name Goldrotschwartz stehen. „Wir wollten bewusst mit der konträren Reihenfolge der Deutschlandfarben spielen“, sagt Achim Künsebeck. Deutschland andersherum also, tolerant, weltoffen – und mit dem „Art“, der Kunst also im Schwarz gleich mit inbegriffen.

Dass die beiden, zurück in Deutschland, nach Potsdam zogen, war kein Zufall – „das war unser Traum“, sagt Dorothee Künsebeck. Gute Kunst gebe es nicht nur in Berlin zu sehen. „Was hier noch ein wenig fehlt, ist die Öffentlichkeit, die sich die Sachen dann auch anschaut“, sagt Achim Künsebeck. Da wollen die beiden jetzt ansetzen, mit Kunst, die „nicht immer schön ist, aber knallhart und manchmal gar provokativ“, wie Künsebeck sagt.

Und klar: Schön im rein ästhetischen Sinne sind Ralf Ohsts Nackte nicht, auch die oft kopflosen Körper von Hanjo Schmidt sind körperlich bestenfalls Durchschnitt. Dass sich die Männer und Frauen auf seinen Bildern gerne mal beherzt an ihre empfindlichsten Stellen greifen, mag man knallhart finden – muss man aber nicht. Das haben schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Egon Schieles Frauen – um nur ein Beispiel zu nennen. Die Art, auf die Schmidt ihren Hautton trifft, dieses hyperrealistisch rosig Schimmernde, erinnert an eine andere Epoche, die nacktes, quellendes Fleisch feierte – den Barock.

Bei Ralf Rduch hingegen findet man auch in „Vielschichtig“ athletische – also nach gängigem Schönheitsideal richtige – Körper. Einem verborgenen Rhythmus folgend verdrehen und verbiegen sie sich, manche scheinen in einen flirthaften Tanz versunken. Aktstudien in Öl könnte man sie nennen, trügen nicht einige von ihnen Tierköpfe. Hier bleibt Rduch aber eher in einer klassischen Rollenzuweisung: Ein Mann mit Hirschhaupt samt kräftigem Geweih rangelt mit einer dunkelhaarigen Schönheit, eine Frau mit zart geneigtem Fuchskopf lässt, neckisch die Hüfte eingeknickt, einen Mann vor sich knien. Das erzeugt durchaus eine subtile, leicht erotische Spannung – provokativ aber ist es nicht. Reibung im Kopf des Betrachters entsteht tatsächlich vor allem bei Ohsts Feier des Fetts.

„Vielschichtig. Die Kunst des Körpers zur Verwandlung“ ist noch bis zum 1. Juni im Kunsthaus „sans titre“, Französische Straße 18, donnerstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen.

Zur Startseite