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Landeshauptstadt: Mit Schaf und Beuteltier durch den Winter

Im „Just Merino“ gibt es Textilien aus Wolle und Seide – hauptsächlich vom neuseeländischen Merinoschaf

Bevor man etwas sieht, hört man etwas. Vor diesem Haus in der Gutenbergstraße blöken Schafe. Aus einem kleinen, versteckten Lautsprecher kommt diese Naturtonkulisse, die bei Passanten und vor allem bei Kindern unweigerlich dazu führt, dass man sich nach den Tieren umschaut. „Sie können gerne bis zur Fütterung warten“, sagt Inhaberin Tina Wrede bisweilen, wenn Kunden das Geschäft „Just Merino“ betreten.

Natürlich werden hier keine Paarhufer gefüttert. Hier gibt es nur – und ausschließlich – Produkte aus der Wolle des Neuseeländischen Merinoschafs, Kleidung aus reiner Merinowolle oder kombiniert mit anderen Wollsorten, von Possum, Alpaka und Yak, Kaschmirwolle – und Seide. „Alles wunderbare Produkte gerade für Menschen mit Hautproblemen, mit Allergien oder Neurodermitis“, sagt Tina Wrede. Sie selbst war davon betroffen und spürte eines Tages, dass sie die feine Merinowolle im Gegensatz zur einfachen Schafwolle gut vertrug. Unermüdlich und gern erklärt sie neuen Kunden, was es mit dieser Merinowolle auf sich hat, listet die positiven Eigenschaften auf. Dass die Wolle, gewonnen aus der ungewöhnlich langen und feinen Unterwolle dieses Hochlandschafes, Feuchtigkeit aufnimmt und abtransportiert, weshalb Merino schon lange für Funktionswäsche und Sportbekleidung genutzt wird. Dass sie leicht ist – und sehr weich. Mit kratzigen Winterpullis und dicken, pieksigen Strickstrümpfen, die bei vielen Kindern Strick-Traumata auslösten, habe das nichts mehr zu tun. Deshalb werde Merinowolle sehr gern für die Kleidung von Babys und insbesondere Frühchen genommen. Tina Wrede nimmt dabei gern ein paar Oberteile aus dem Regal und lässt den Kunden selbst fühlen.

„Die meisten brauchen Zeit, kaufen zunächst einen Schal, kommen im nächsten Herbst wieder und kaufen dann die Jacke dazu“, sagt sie. Sie kann das verstehen. Die Wollsachen sind nicht gerade günstig, die Preise werden schnell dreistellig. Handschuhe, Mützen, T-Shirts gibt es schon für weniger. Und doch hat Tina Wrede viele Stammkunden, aus Potsdam, dem Umland, auch aus Berlin.

„Ich verkaufe hier keine Trendmode, sondern Basics und Klassiker, an denen Sie ein paar Jahre Freude haben“, sagt sie. Vieles importiert sie direkt aus Neuseeland, manches kauft sie bei Herstellern in Europa, in Schottland, Deutschland, Slowenien. „Wenn die Qualität stimmt und zu meiner Philosophie passt“, sagt sie. Das heißt: wenn auf die Verwendung von Kunstfasern verzichtet wird.

Seit zwei Jahren gibt es das Geschäft „Just Merino“. Tina Wrede, heute 46 Jahre alt, verschlug es aus beruflichen Gründen 1999 nach Potsdam. Viele Jahre hatte sie im Finanzmanagementsektor zu tun, dann wollte sie näher an den Kunden, an den einzelnen Menschen ran. Sie fand passende Räume, ließ Fenster vergrößern und Mauern entfernen, damit es hell und offen wurde. Sie erstellte einen „stringenten Businessplan“, sagt sie, und suchte Designer, die die Geschäftsräume individuell gestalteten. Alles ist genau durchdacht und besteht aus Naturmaterialien. Das war ihr wichtig. Der Fußboden wurde mit Stahlplatten ausgelegt, gerostet und mittels Wasserstrahl gebürstet. Der Tresen aus Holz bekam eine ungewöhnliche Form und kommt ohne rechte Winkel aus. „Der braune Boden symbolisiert die Mutter Erde“, sagt Tina Wrede: „Der Tresen das darauf thronende Festland.“ Lichtkränze an der Decke sollen an Wolken erinnern. Auch die kleinen, weißen Auslagetische sind eine Spezialanfertigung: Sie sehen von der Seite aus wie stilisierte Schafe. „Gibt’s nur bei mir“, sagt Tina Wrede vergnügt.

Letztlich aber ist es das umfassende Merino-Sortiment, was ihr Geschäft auszeichnet: überwiegend Oberteile, kühlende, hauchzarte Pullis oder ärmellose Tops für den Sommer, Wärmendes, Kuscheliges für den Winter. Unterwäsche für Damen und Herren, sportlich, hautsympathisch, um endgültig mit dem Vorurteil kratziger Wolle aufzuräumen. Kleider, Kostüme, Röcke, auch vereinzelt Hosen finden sich im Sortiment – modernes Design, das mit herkömmlichem Ökostrick nichts gemein hat. Dazu kommt jetzt im Oktober eine umfassende Auswahl an herbstlichem Stick, Pullover, Jacken, kurze Mäntel.

Die Mischung Merino und Possum sei dafür besonders geeignet – warmes, weiches Material. „Das Possum, ein kleines, waschbärartiges Beuteltier, stammt aus Australien und kam von dort nach Neuseeland, wo es eigentlich als Schädling gilt. Aber seine Haare sind innen hohl, wie die des Eisbären – und sorgen dadurch für zusätzliche Isolation gegen Kälte“, erklärt Tina Wrede den Kunden. So eine hochwertige Jacke mit Possumhaar kann 600 Euro kosten. Den Pflegehinweis gibt es gratis dazu. Wolle nur kalt waschen, mit der Hand oder im Wollwaschgang. „Auf Weichspüler verzichten und nie schleudern, sonst verfilzt sie. Anschließend auf einem Handtuch liegend trocknen.“

Eine kleine Auswahl an Designer-Handtaschen aus Leder und wollenen Hausschuhen ergänzt das Bekleidungsangebot. Derzeit ist Tina Wrede auf der Suche nach einem Hersteller von Herrenanzügen aus leichtem Woll-Tuch, auch so etwas möchte sie gern anbieten – aber das sei gar nicht so leicht zu finden.

Zur Anprobe gibt es im „Just Merino“ eine Umkleide, die ebenfalls ein Designerkunststückchen ist. Eine Drehtür schließt die Kabine und gibt dabei gleichzeitig im Inneren den Spiegel frei, eine witzige, pfiffige Lösung. Diese Idee, Kunst und Kommerz zu verbinden, findet sich überall. So sind die Kleidungsstücke auch ungewöhnlich sortiert – regenbogengleich nach Farben, nicht nach Größen. Im Sommer stellte hier ein Potsdamer Künstler seine Werke aus, über den Regalen hingen Bilder, zwei Staffeleien mit größeren Werken standen zwischen den Schaf-Regalen. Im Garten, zu sehen durch die Ladenfenster, steht noch immer eine Skulptur der Potsdamer Künstlerin Annette Messig – mehr Kunst, auch wieder im Laden, ist geplant. Und wird dann zwischen der neuen Winterware zu sehen sein.

Gutenbergstraße 99, Tel.: 979 333 10

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