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Potsdamer Forscher: Klimawandel bringt Kälte

UPDATE Keine Entwarnung: Trotz der für die Jahreszeit ungewöhnlichen Kälte gibt es wohl keine Anzeichen dafür, dass der Klimawandel ausbleibt. Im Gegenteil: Genau der könnte künftig für kalte Winter sorgen.

Durch den Klimawandel könnte es künftig sogar häufiger zu kalten Wintermonaten kommen. Grund für die derzeit anhaltende Kältewelle ist ein stabiles Hochdruckgebiet über Skandinavien. Atmosphärenforscher der Potsdamer Forschungsstelle des Alfred Wegener Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) konnten nun zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sich in den Wintermonaten solche stabilen Hochdruckgebiete über Nordeuropa ausbreiten, steigt, wenn im vorhergehenden Sommer die arktische Eisdecke stark geschrumpft war.

Der ungewöhnlich lange anhaltende Spätwinter ist laut AWI auch kein Anzeichen dafür, dass der Klimawandel eine Pause eingelegt hat. Peter Lemke, Leiter des Fachbereiches Klimawissenschaften des AWI empfahl dazu einen Blick auf den gesamten Globus: Die durchschnittlichen Oberflächentemperaturen der gesamten Erde für den Monat Februar 2013 würden deutlich zeigen, dass es in vielen Ländern der Welt, vor allem aber in Russland, Kanada, Australien und Alaska, bis zu fünf Grad Celsius wärmer gewesen ist als normal. Eine Ausnahme hätten lediglich die Region Kalifornien und Mitteleuropa gebildet. Deren Februar-Mitteltemperatur habe um ein bis zwei Grad unter dem Normalwert gelegen. „Insgesamt betrachtet aber war es im Februar auf der Erde 0,5 Grad Celsius zu warm“, erklärte Lemke in einer AWI-Publikation. „Das bedeutet, die globale Erwärmung ist weiter am Werke, auch wenn regionale Unterschiede, die wir Mitteleuropäer vor allem im Winter zu spüren bekommen, einen anderen Eindruck vermitteln“, sagte der Klimaforscher. Die typischen Wintermonate Dezember und Januar seien in Deutschland für Winterverhältnisse sogar etwas zu warm gewesen. Im Februar lag die Durchschnittstemperatur dann leicht unter dem Normalwert, die drei Monate glichen sich so aus. „So hatten wir rückblickend betrachtet tatsächlich einen ganz normalen Winter“, erklärte Peter Lemke. Dieser habe allerdings erst im Januar und damit verhältnismäßig spät so richtig angefangen und ziehe sich jetzt bis weit in die Frühlingszeit hinein. Der März wurde daher deutlich kälter als normal.

Aus der aktuellen Entwicklung in diesem Frühjahr lasse sich allerdings kein Trend für die kommenden Jahre ableiten. „Wir Klimawissenschaftler können solche Vorhersagen bisher nicht treffen – und vermutlich werden wir auch in Zukunft nicht in der Lage sein, glaubwürdige Aussagen über das Wetter der nächsten eins, zwei oder drei Jahren zu machen“, so Lemke. Die Schwierigkeit liege darin, dass die Genauigkeit von Wettervorhersagen abnimmt, je größer der Vorhersagezeitraum wird. Wie das Wetter in den nächsten zwei oder drei Tagen wird, können Meteorologen mittlerweile ziemlich genau vorhersagen. „Bei allem darüber hinaus steigt die Ungewissheit: Zum einen weil wichtige Wetterfaktoren wie Temperatur, Wind, Sonneneinstrahlung oder Luftfeuchtigkeit turbulenten Prozessen unterliegen, die im Prinzip deterministisch – im Sinne einer Wettervorhersage – nicht über mehr als etwa zehn Tage vorhersagbar sind“, erklärte Lemke. Zum anderen komme es zu nahezu unkalkulierbaren Rückkopplungen, die deterministische Klimavorhersagen über Monate hinweg unmöglich machen würden. „Klimavorhersagen sind – anders als Wettervorhersagen – Prognosen für den mittleren Zustand und die Variabilität des Wetters in einem Monat oder einer Jahreszeit.“ Zurzeit würden die Klimamodelle bei der regionalen Vorhersage noch nicht weiter helfen. Auch dies ein Ergebnis der Potsdamer AWI-Forscher Klaus Dethloff und Dörthe Handorf. „Da ist noch einige Arbeit zu tun. Aber wir sind auf einem guten Weg, denke ich“, so das Fazit von AWI-Forscher Peter Lemke.

Dass es in Europa in den letzten Jahren extreme Kälteeinbrüche wie im Februar 2012 oder jetzt im März gab, deckt sich auch mit Forschungsergebnissen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Mehrere Klimastudien hatten diese bereits vorhergesagt oder bestätigt, erklärte Stefan Rahmstorf vom PIK. Eine Ursache sei demnach das mit der Erderwärmung immer stärker schmelzende Arktiseis. PIK-Forscher Vladimir Petoukhov hatte bereits 2010 in einer Modellrechnung eine Verdreifachung extremer Wintereinbrüche in Europa und Nordasien prognostiziert. Grund: Das dunkle, offene Meer in der Arktis heize untere Luftschichten weiter auf. Das führe zu einer Luftströmung, die in der Computersimulation kalte Winterwinde nach Europa brachte.

US-Forscher hätten die Modellrechnungen bestätigt, erläuterte Rahmstorf. „Sie haben durch eine Datenauswertung gezeigt: Wenn weniger Seeeis in der Arktis ist, dann wird es wahrscheinlicher, dass sich dort ein Hochdruckgebiet bildet, das uns Kälte bringt.“ Die derzeitigen Kälterekorde seien sehr ungewöhnlich, wenn man längere Messreihen betrachte. Daher sei es wahrscheinlich, dass sie als Ursache eine bislang ungekannte Entwicklung wie die starke Eisschmelze der Arktis hätten.

Die Fläche des arktischen Eises schwankt im Jahresverlauf, geht aber generell zurück. Im September 2012 war die Eisfläche der Arktis nach Angaben des US-Datenzentrums für Eis und Schnee (NSIDC) so klein wie nie in den 33 Jahren Beobachtung. Auch die maximale Eisausdehnung im März geht zurück: „Die zehn kleinsten Maxima seit Satellitenbeobachtung gab es in den zehn vergangen Jahren von 2004 bis 2013“, berichtete das NSIDC.

Die Sonne jedenfalls sieht der Potsdamer Klimaforscher Rahmstorf im Gegensatz zu anderen Berichten nicht als Ursache für die winterlichen Temperaturen. „Nur fünf Prozent der Temperaturunterschiede von Winter zu Winter können durch Schwankungen der Sonnenaktivität erklärt werden.“ Die Sonnenaktivität wirke sich mit einem Monat zeitlicher Verzögerung im geringen Umfang auf das Erdklima aus, habe aber keine größeren Einfluss: „2010 hatten wir ein besonders tiefes Minimum in der Sonnenaktivität und zugleich das global wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1880.“ Unterm Strich bleibtz es für die Klimaforscher dabei: so warm wie heute war es früher auch im Winter nicht. „Der diesjährige Winter in Deutschland war gar nicht besonders kalt, um Weihnachten herum hatten wir sogar extrem hohe Temperaturen“, erklärte Stefan Rahmstorf. „Wenn man alle drei Wintermonate mittelt, dann sind die Temperaturen in den vergangen Jahrzehnten jedenfalls nicht gesunken, sondern klar gestiegen.“ Der wärmste Winter seit Beginn der Aufzeichnungen sei 2006/2007 gewesen. Als letzten „richtig kalten“ nennt Rahmstorf 1962/63. Damals sei der Bodensee komplett zugefroren, seitdem nicht mehr. (mit dpa)

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