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INTERVIEW: „Jede Veränderung an einem Denkmal ist anzumelden“

Axel Klausmeier, Direktor der Berliner Mauerstiftung, über Kiddy Citnys „Herzköpfe“, Authentizität und Mauergedenken

Herr Klausmeier, wie würden Sie reagieren, wenn ein ehemaliger Mauerkünstler ungefragt über Nacht ein Mauerteil der Gedenkstätte bemalen würde?

Überhaupt nicht erfreut. In erster Linie ist das eine eigentumsrechtliche und denkmalpflegerische Frage. Den Aspekt der Kunst würde ich in die zweite Reihe schieben. Der Künstler ist kein Unbekannter und seine Werke waren zu Mauerzeiten sehr bedeutend. Aber: Jede Veränderung an einem eingetragenen Denkmal muss angemeldet werden. Das ist der Kernpunkt des Problems. Wenn diese Anmeldung nicht erfolgt, handelt es sich schlichtweg um die Verletzung eines Eigentumsrechtes.

Mauerkünstler Kiddy Citny hat in Potsdam ungefragt einen Mauerrest bemalt. Spielt er eine andere Rolle als ein namenloser Graffitisprayer?

Nein, wenn er das Denkmal unangemeldet bemalt hat, dann sehe ich hier keinen Unterschied. Wir handhaben es an der Gedenkstätte Bernauer Straße so, dass jedes Graffiti sofort wieder beseitigt wird. Ein Denkmal bleibt ein Denkmal, ob es sich um das Schloss Sanssouci, den Einsteinturm oder die Mauerreste handelt, macht keinen Unterschied.

Verdreht Citny nicht auch historische Tatsachen? Die Grenzbefestigung in Griebnitzsee war zu Mauerzeiten nie bemalt.

So ist es. Die Mauer war hier von Westberliner Seite gar nicht zugänglich, sie stand vollständig im Osten. Damit sprechen wir eine schwierige Frage an: den prozessualen Charakter der Mauer. Denn die als Denkmal gelisteten Mauerteile sind natürlich nicht unverändert bis heute über die Zeit gekommen. Auch der weiß gestrichene Zustand ist nicht das ursprüngliche Erscheinungsbild. Fotos von 2008 etwa zeigen auf der nach Westen zugewandten Wasserseite ein großes Graffiti. Die Mauer war seit dem Mauerfall und auf Westberliner Seite bereits davor eine riesige Leinwand.

Weiß getüncht hatte das Potsdamer Mauerfragment der ehemalige Bürgerrechtler und Künstler Bob Bahra, noch bevor es 2009 ein Denkmal wurde. Um darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Mauerstück eben nie bunt gewesen war.

Es gibt unterschiedlichste Behandlungen der Mauer an verschiedenen Orten. An der Gedenkstätte Bernauer Straße ist sie kahl und grau, andernorts im „Parlament der Bäume“ von Ben Wargin hinterm Reichstag wird an dem historischen Ort weitergearbeitet, anders wieder wird mit der Mauer an der East-Side-Gallery umgegangen oder im Mauerpark. Bei Letzterem ist an der denkmalgeschützte Hinterlandmauer das Sprayen zugelassen. Man kann diesen Ort ganz unterschiedlich definieren. Dieses uneinheitliche Erscheinungsbild mag für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar sein, aber es macht für die einzelnen Orte Sinn. Auch fünf denkmalgeschützte Fachwerkhäuser, die nebeneinander stehen, kann man individuell behandeln. Letztlich entscheidet die Festlegung der Denkmalpflege.

Hat die Mauer überhaupt einen ursprünglichen Zustand? Wann soll man den Schnitt machen: vor 1989, 1995 oder 2009?

Die Sperranlagen haben sich vom ersten Tag ihrer Existenz kontinuierlich verändert, vom Stacheldraht zur perfektionierten „Grenzmauer 75“. Das ist das Problem. Man kann einen solchen Ort nicht einfrieren. Ein Denkmal sollte nicht unter eine Glocke gesetzt werden. Die Denkmale, die wir geerbt haben, stehen alle mitten im Leben. Sie sind dann lebendig, wenn man mit ihnen umgeht und agiert. Letztlich geht es aber um die Definition des Denkmalwertes. Wenn ein solches Mauerteil als Teil der Sperranlagen definiert ist, kann man es eben nicht einfach über Nacht verändern.

Gehört nicht auch das, was sich im Umfeld der Mauer nach dem Mauerfall ereignet hat – etwa die Schäden der Mauerspechte, neue Graffiti, von Bürgern gepflanzte Bäume –, zum historischen Kontext?

Selbstverständlich. Das spiegelt das Beispiel Berlin sehr gut wider. Über das dezentrale Gedenkstättenkonzept definieren wir unterschiedliche Mauer-Orte auf spezifische Weise. An der Bernauer Straße zeigen und erhalten wir im Bereich des „Denkmals“ den Zustand der 1980er Jahre, andernorts wurden japanische Kirschen gepflanzt oder es werden Konzerte in Erinnerung an Mauertote gegeben. Das ist so gewollt, weil es die ganze Bandbreite der Auseinandersetzung mit dem Bauwerk Mauer und den Folgen des SED-Regimes widerspiegelt. Es geht um eine vielfältige Aneignung der Geschichte. Aber, wie schon gesagt, bei ausgewiesenen Denkmalen müssen die Denkmalpfleger das letzte Wort haben.

In Potsdam haben wir nur noch sechs Fragmente der Mauer.

Soweit ich weiß, wollte das Landesamt für Denkmalpflege in Potsdam viel mehr als diese sechs Elemente unter Schutz stellen. Man wollte ursprünglich eine Denkmalbereichssatzung festlegen, womit auch erhaltene Lampen und Reste der Hinterlandzäune unter Schutz gestellt worden wären. Das wäre ein Instrument für die Stadt gewesen. Doch die hat sich damals wegen der Problematik des Uferwegs da nicht herangetraut. So kam es zu der Reduktion des Denkmals auf die sechs Teile.

Wie sollte Potsdam nun damit umgehen?

In der Zeit nach dem Mauerfall ging es den Potsdamer wie den Berlinern, sie wollten die Mauer so schnell wie möglich loswerden – vor allem auch in dem Bereich der historischen Gärten. In Potsdam gab es bis vor Kurzem in der Bertinistraße ein langes Stück Hinterlandmauer, das abgebaut und eingelagert wurde, um später wieder errichtet werden zu können. Auch der ehemalige Wachturm an der Bertini-Enge soll erhalten werden. In Groß Glienicke gibt es ebenso noch zwei Mauerelemente und einen längeren Abschnitt Grenzzaun. Das Erhaltengebliebene muss nun gesichert werden.

Fehlt es in Potsdam an historischer Begleitung?

Immerhin gibt es in Potsdam das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), wo auch einer der ausgewiesensten Mauerspezialisten, Hans-Hermann Hertle, sitzt. Als unabhängige Forschungseinrichtung kann das ZZF natürlich nur Anregungen geben, zumal wenn es um Fragen des Denkmalschutzes geht. Erster Ansprechpartner bleibt die Denkmalpflege als Sachwalter und Anwalt der Denkmale.

Ist es denn überhaupt der richtige Weg, die Mauersituation wieder zu inszenieren? Kann das nicht leicht zum Disneyland für Gruseltouristen werden?

Es kann nicht um die Rekonstruktion eines vollständigen Mauerabschnittes gehen. Ob man am Griebnitzsee noch sechs oder 60 Mauerteile stehen hat, macht insofern keinen Unterschied, als dass der Schrecken des Systems ohnehin nicht durch diese Reste vermittelt werden kann. Dieser Schrecken gehört vielmehr den Menschen, die ihn durchleben mussten. Das können wir nicht rekonstruieren, das will auch niemand. Man will ja auch die politischen Zustände der DDR nicht rekonstruieren. Aber, diese Mauerteile sehe ich mehr als Denkanstöße. Sie stehen im Weg herum und machen nachdenklich. Sie stoßen dazu an, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Insofern erfüllen sie ihren Zweck, als materielle Zeugen, die sagen, dass sie dabei waren. Sie verankern die Geschichte gewissermaßen im Boden.

Muss man nicht auch die Menschen, die unter dem Mauerregime gelitten haben und den Erhalt der Mauerreste als Zumutung empfinden, respektieren?

Absolut. Der Mauerverlauf ist ein extrem emotionalisierter Ort. Für Ost wie für West, vor allem wenn man dann auch noch persönliche Erinnerungen damit verbindet. Wir können uns die Geschichte leider nicht aussuchen. In Deutschland gibt es viele Orte, die an unbequeme Geschichte erinnern, auch an die Zeit des Nationalsozialismus. Eine wesentliche Stärke der Mauergedenk-Orte ist, dass sie mitten im Stadtraum vorhanden sind, so muss man sich zwangsläufig damit auseinandersetzen. Der Streitwert der Mauer ist eine ganz wichtige Denkmalqualität. So lange über diese Orte gesprochen wird, bewegt sich etwas. So wird die historische Bedeutung deutlicher. Das Wunderbare daran ist ja, dass wir darüber diskutieren können, weil diese Mauer gefallen ist. Das ist eine Botschaft, um die uns die ganze Welt beneidet. Menschen aus Diktaturen der ganzen Welt kommen gerade deshalb zu uns.

Wie schützt man nun solche Relikte, die mitten im Stadtraum liegen, vor Zerstörung und Schändung?

Wir haben bewusst keine Videoüberwachung an der Bernauer Straße. Diese Mauer wurde über 28 Jahre aufs Schärfste bewacht, daher verbietet sich das schon von selbst. Wir müssen diese materiellen Zeugnisse bewahren. Aber ein Patentrezept dafür haben wir nicht. Es gibt auch heute noch Mauerspechte, die sich ein Stück Mauer als Trophäe mit nach Hause nehmen. Insofern müssen wir auf den ideellen Wert dieses materiellen Zeugnisses nachdrücklich hinweisen.

Bleibt der Zahn der Zeit, der an der Mauer nagt. Müssen die Mauerreste konserviert werden wie alte Burgmauern?

Grundsätzlich gilt selbstverständlich auch für dieses Denkmal, dass es gepflegt werden muss. Wir haben Gutachten dazu in Auftrag gegeben. Wir wissen nun, wie schnell die Mauer zerbröselt. Man kann feststellen, dass die Mauer aus sehr gutem Material gebaut ist. Sie wird nach unseren Erkenntnissen noch relativ lange halten. Natürlich müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Verfall zu verlangsamen. Aber ich befürchte nicht, dass die Mauerreste in den nächsten 50 Jahren verschwinden. So schnell geht das nicht und unsere Aufgabe ist es, sie so lange wie möglich auch als „Denkzeichen“ und materielle Geschichtsquelle zu bewahren.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Axel Klausmeier (Jg. 1955) ist seit 2009 Direktor der Stiftung Berliner Mauer. Der Historiker war zuvor unter anderem als Wissenschaftler bei der Potsdamer Schlösserstiftung tätig.

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DIE HERZKÖPFE

Der Berliner Mauerkünstler Kiddy Citny hat ein denkmalgeschütztes Mauersegment am Potsdamer Griebnitzsee im September 2011 ungefragt mit dem Bild „Herzköpfe“ bemalt. Das Bild hatte er bereits 1986 an die Westseite der Mauer in Berlin-Kreuzberg gemalt.

GEMÄLDE ENTFERNT

Nach einer längeren Debatte um das Bild hatte die Stadt Potsdam das Gemälde am 19. November dieses Jahres weiß übermalen lassen – ohne dies dem Maler vorher mitzuteilen. Bereits vorher hatte ein Unbekannter einen weißen Strich über das Bild gezogen.

WEISS BEMALT

Der Bürgerrechtler und Künstler Bob Bahra hatte das Mauerteil bereits nach der Wende weiß bemalt, weil die Mauer hier nie bunt gewesen sei. Kix

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