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Oratorium in der Nikolaikirche: In zwei Jahren soll es auf die Bühne

Björn O. Wiede will das „Moabiter Requiem“ von Ernst-Ulrich von Kameke aufführen. Der Potsdamer komponierte das Oratorium zum Gedächtnis des Widerstandes im Dritten Reich. Im Gefängnis von Moabit waren während der nationalsozialistischen Diktatur viele Regimegegner inhaftiert.

Das Vorhaben ist alles andere als bedeutungslos. Björn O. Wiede, Kantor an der St. Nikolaikirche will das Oratorium „In Tyrannos - Moabiter Requiem“ von Ernst-Ulrich von Kameke zur Aufführung bringen. Das mit drei Chören, einem Kinderchor, drei Gesangssolisten, drei Sprechern und einem Orchester großbesetzte Werk, 1993/94 entstanden und in der Berliner Philharmonie vier Jahre später uraufgeführt, bedarf langfristiger und intensiver Vorarbeiten. Vor allem für Laienchöre wartet das vorwiegend in spätromantischer Tradition komponierte „In Tyrannos“ mit allerlei Schwierigkeiten auf. Damit eine Aufführung realisiert werden kann, müssen Sponsoren gefunden werden, die sich an der Finanzierung beteiligen. Um genügend Zeit für die organisatorische und künstlerische Umsetzung zu gewinnen, wird Björn O. Wiede mit seinem Nikolaichor und anderen Ensembles Kamekes Oratorium erst in gut zwei Jahren zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges zur Aufführung bringen können. Eine Wiederholung ist zum Luther-Jubiläum 2017 geplant. Es wäre ein Höhepunkt in Ernst-Ulrich von Kamekes Leben, wenn „In Tyrannos - Moabiter Reqiuem“, das er zum Gedächtnis des Widerstandes im Dritten Reich komponierte, in seiner Heimatstadt Potsdam erklingen würde. Im Gefängnis von Moabit waren während der nationalsozialistischen Diktatur viele Regimegegner inhaftiert.

Mit seinen fast 87 Jahren ist Ernst-Ulrich von Kameke ein äußerst vitaler Zeitgenosse. In Großenaspen nahe Bad Segeberg, wo er während der Pensionszeit lebt, ist er auf der Orgelbank der dortigen Katharinenkirche zu erleben. Nicht nur während des Gottesdienstes, sondern auch in Konzerten, für die er bislang verantwortlich zeichnet. Kameke ist ein begnadeter Kirchenmusiker. Er hat in Berlin, Erlangen und Heidelberg studiert und war unter anderem in Düsseldorf und in Hamburg als Kantor und Organist sowie als Musikprofessor tätig. Er gründete auch die erfolgreiche Musik-Akademie für Senioren.

Angefangen hat alles in Potsdam. Der musikalisch begabte Sohn des Senatspräsidenten am preußischen Oberverwaltungsgericht, Karl Otto von Kameke – Nachfahre eines alten pommerschen Adelsgeschlechts –, sang als Kind im Liturgischen Knabenchor der St. Nikolaikirche, der zunächst von Wilhelm Kempff sen. und nach dessen Tod von Fritz Werner geleitet wurde. Beide gehörten zu den einflussreichsten Kirchenmusikern in Potsdam. Auch die erst 1928 erbaute neue Sauer-Orgel in der großen Schinkel-Kirche faszinierte Ernst-Ulrich von Kameke stets aufs Neue. Es bereitete ihn kaum Schwierigkeiten, das Abc des Orgelspiels zu erlernen. Doch nicht an St. Nikolai wurde der Kameke-Sohn mit 13 Jahren Hilfsorganist, sondern an der benachbarten Garnisonkirche, in jenem Gotteshaus, das für das „Preußentum eine Art Heiligtum“ (André Francois-Poncet) war, in dem Propagandaminister Goebbels den „Tag von Potsdam“ als symbolische Verbindung „vom alten und neuen Deutschland" mit Hitler und Hindenburg als Protagonisten inszenierte. An jenem 21. März 1933 zählte Ernst-Ulrich von Kameke erst sieben Jahre. Der Rummel in der Stadt blieb auch ihm nicht verborgen, doch vor allem blieben die interessanten Besucher im Elternhaus in der Seestraße ihm in lebhafter Erinnerung, unter denen sich auch scharfe Kritiker des Nationalsozialismus befanden, unter anderen Birger Forell, der Pfarrer an der schwedischen Kirche in Berlin war, sowie der Diplomat Ulrich von Hassell. Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 wurde Hassell verhaftet und hingerichtet.

„Im Rückblick auf dieses Ereignis sind wir heute dankbar, dass Menschen es gewagt haben, gegen die Diktatur aufzustehen. Es ist für die Geschichte Deutschlands von großer Bedeutung, dass es nicht nur die Alliierten von außen waren, die gegen das Unrechtsregime antraten, sondern dass aus dem Volk selbst Widerstand sich erhob. Gewiss, es waren zu wenige und sie sind gescheitert. Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung daran in unsere öffentliche Kultur aufzunehmen. Eine Gesellschaft, die ihre Zukunft gestalten will, muss sich auf ihre Vergangenheit beziehen. Sonst kann sie Zukunft nicht human gestalten“, sagte im Jahre 2000 die damalige Hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, anlässlich der Aufführung von Kamekes Werk während der Weltausstellung Expo in der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Liturgie und Zeitgeschichte hat der Komponist in seinem Moabiter Requiem vereint. Mit Zitaten von Hitler und Goebbels, literarischen Texten von Reinhold Schneider und Werner Bergengruen, Bekenntnissen von Widerständlern und Bibelworten hat Kameke ein Oratorium komponiert. Vor der Uraufführung in der Berliner Philharmonie meinte der Kirchenmusiker und Komponist Ernst-Ulrich von Kameke, dass das Werk in Zukunft vielleicht manche Ansprache zum Andenken an den 20. Juli 1944 ersetzen könne. Klaus Büstrin

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