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Landeshauptstadt: Im Schutz der Öffentlichkeit

Der Autor Roberto Saviano wurde mit dem M100-Award geehrt. Und der Journalist Can Dündar sprach beim Mediengipfel über die Lage in der Türkei

Von Katharina Wiechers

Sanssouci - Zwei Wochen nach dem OSZE-Treffen war Potsdam am gestrigen Donnerstag erneut der Ort, an dem die großen Fragen Europas diskutiert wurden. In der Orangerie im Park Sanssouci saßen den ganzen Tag über führende Medienvertreter aus Deutschland und anderen europäischen Ländern zusammen, um beim Mediengipfel M100 über den Ukraine-Konflikt, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei oder den Brexit zu diskutieren. Am Abend besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Konferenz und wohnte der Preisverleihung des M100-Awards bei – dieses Jahr ging die Auszeichnung an den bekannten italienischen Journalisten und Autor Roberto Saviano.

Höhepunkt der Konferenz selbst war ein Podiumsgespräch mit dem türkischen Journalisten Can Dündar, das in Kooperation mit „Reporter ohne Grenzen“ organisiert worden war. Die Organisation unterstützt Dündar seit seiner Verfolgung in der Türkei. Dem ehemaligen Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet droht in seiner Heimat eine lange Haftstrafe. Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst hatte Anzeige gegen ihn erstattet, weil er über geheime Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien berichtete. Im Gespräch mit „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann sprach Dündar in Potsdam über die Situation in seiner Heimat und seine Enttäuschung über Europa.

Es gebe viele Menschen in der Türkei, die unter Erdogans Regime litten und sich mehr Unterstützung von den Europäern erhofft hätten, sagte Dündar. Auch Merkel griff er indirekt an. Diese habe sich innerhalb kürzester Zeit fünf Mal mit Erdogan getroffen, was dieser für seine Zwecke genutzt habe. Er wisse nicht, warum sich Merkel in all dieser Zeit nie mit der Opposition getroffen habe, sagte Dündar.

Auch über den Zustand der Pressefreiheit unterhielten sich die beiden Journalisten auf dem Podium. Die Cumhuriyet sei eine der letzten unabhängigen Zeitungen in der Türkei, sagte Dündar. Aus Angst vor dem Regime hätten viele Anzeigenkunden die Zusammenarbeit aufgekündigt, die finanzielle Situation sei schwierig. Auch die Verfolgung der Journalisten in Erdogans „Polizeistaat“ mache der Zeitung schwer zu schaffen. „Wir verbringen mehr Zeit im Gericht als in der Redaktion.“

Dündar nahm auch als regulärer Teilnehmer an der Konferenz teil und verfolgte die Diskussionen in großer Runde, die diesmal unter dem Motto „Krieg oder Frieden“ standen. Die Orangerie war schon in den vergangenen Jahren Veranstaltungsort des Medientreffens, das stets im September stattfindet. Dieses Jahr erwies sich das königliche Gewächshaus mit seiner breiten Fensterfront in Richtung Süden allerdings als weniger geeignet. Angesichts der hochsommerlichen Temperaturen heizte sich der Raum im Laufe des Tages kräftig auf, die Teilnehmer drängten sich in den wenigen schattigen Ecken zusammen. Eine Klimaanlage gibt es in den historischen Pflanzenhallen freilich nicht.

Etwas angenehmer wurden die Temperaturen gegen Abend, als Hunderte Gäste die Preisverleihung an Saviano verfolgten. Merkel, die als Hauptrednerin eingeladen war, nutze ihren Auftritt für ein beherztes Plädoyer für Europa – am Vorabend des EU-Gipfels in Bratislava. Nur wenn Europa zusammenstehe, könne es Einfluss auf die globalen Veränderungen auf der Welt nehmen und mitgestalten. „Ich werde niemals nachlassen, mich für ein geeintes Europa einzusetzen.“

Dem Preisträger zollte Merkel in ihrer Rede „Dank und Respekt“ für den Mut, den er durch seine Veröffentlichungen bewiesen habe. Es sei kaum zu ermessen, welche Ängste er zu erleiden habe und mit welchen Einschränkungen er leben müsse, sagte sie. Der Kampf für die Pressefreiheit erfordere den Mut engagierter Reporter. „Und Sie, Herr Saviano, verkörpern diesen Mut“, sagte die Kanzlerin Sie wünsche, dass „Ihr Mut eines Tages dazu führen wird, dass die Missstände, die Sie beschreiben, beseitigt werden“, so Merkel. Seit Saviano vor mittlerweile zehn Jahren über die napoleonische Mafia Camorra geschrieben hat, lebt er im Untergrund. Er reiste unter hohen Sicherheitsvorkehrungen nach Potsdam.

„Die Preisverleihung zeigt, dass sich die Worte nicht einsperren lassen“, sagte Saviano in seiner Dankesrede. Journalisten müssten auch dem wieder aufflammenden Nationalismus entgegenwirken, mahnte er. Lobende Worte fand Saviano für die Aufnahme von HunderttausendenFlüchtlingen in Deutschland: „Das zeigt, dass es nicht nur ein Europa des Geldes, sondern auch ein Europa des Herzens gibt.“ Den PNN sagte der Journalist, er fühle sich sehr geschmeichelt durch den Preis, den er nicht erwartet habe. Eine solche Auszeichnung bedeute Schutz für seine Person – er sei schließlich auf Öffentlichkeit angewiesen. Angesprochen auf die italienische Architektur der Orangerie sagte er, er fühle sich hier in Potsdam an seine Heimat erinnert. „Erst recht bei diesem Wetter.“

Die Willkommensrede bei der Preisverleihung war wie immer Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) vorbehalten. Das M100 Colloquium sei eine Leuchtturmveranstaltung mit internationaler Ausstrahlung und enormer medialer Präsenz. „Darauf können wir stolz sein.“

Jakobs war einst Gründungsmitglied des Mediengipfels M100, den es bereits seit 2005 in der Landeshauptstadt gibt. Immer wieder gibt es seitdem Diskussionen um die Finanzierung der Veranstaltung, die Potsdam in diesem Jahr mit immerhin 71 500 Euro fördert. Das Rechnungsprüfungsamt der Stadt habe die Veranstaltungen 2012 und 2014 geprüft, hieß es dazu auf PNN-Anfrage von der Stadtverwaltung. Die Hinweise des Amtes seien in diesem Jahr „eingearbeitet“ worden.Katharina Wiechers

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