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Landeshauptstadt: Im Schatten der Nikolaikirche

Der Journalist Matthias Grünzig hat zur Geschichte der Garnisonkirche recherchiert. Sein Fazit: Die Kirche räumte ihr keine Priorität beim Wiederaufbau ein. Ex-Ministerpräsident Stolpe widerspricht

Innenstadt - Wie stark die Evangelische Kirche sich vor der Sprengung der Garnisonkirche für deren Wiederaufbau eingesetzt hat, bleibt auch nach jüngsten Forschungsergebnissen umstritten. Der Architekturjournalist Matthias Grünzig hat am Donnerstagabend an der Potsdamer Fachhochschule aus bisher unveröffentlichten Dokumenten zitiert, wonach die Leitung der „Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg“ der im Zweiten Weltkrieg bis auf den Turmstumpf zerstörten Kirche keine Priorität für den Wiederaufbau einräumte. Nach Grünzigs Recherche in staatlichen und kirchlichen Archiven hatte demgegenüber bis 1963 die Instandsetzung der Nikolaikirche klaren Vorrang. Und auch danach sei die Garnisonkirche zweitrangig behandelt worden, weil die Evangelische Kirche neue Prioritäten hatte und sich durch den Bau neuer Gemeindezentren modernisieren wollte. Die Sanierung und der Wiederaufbau alter Kirchenbauten standen damals hinten an. „Es besteht eine Kluft zwischen dem, was über die Garnisonkirche erzählt wird und dem, was aus den Unterlagen hervorgeht“, begründet Grünzig seine Recherche.

Martin Sabrow, Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung, begrüßte nach dem Vortrag die Herangehensweise Grünzigs, durch Quellenrecherche „bekannte Überzeugungen und vorgefasste Denkschemata zu zerlegen“. Die neuen Ergebnisse über die Kirchenbauten sowie das Verhältnis von Garnison- und Nikolaikirche zeigten, dass „die üblichen Legenden von Schwarz und Weiß so nicht stimmen. Die Evangelische Kirche war keine Institution zur Wiederherstellung historischer Kulturgüter, sondern sie wollte bessere Bedingungen für die innere Mission finden“, so der Historiker. „Zugleich zielte die kirchenfeindliche SED-Politik darauf, Menschen in muffige alte Kirchen abzuschieben statt in helle Kirchenräume.“ Er wies jedoch darauf hin, dass die kirchlichen und staatlichen Akteure damals nicht gleichberechtigt gehandelt hätten. Inwiefern die Kirche damals aus ihrer „bedrängten Lage“ heraus taktierte, müsse noch genauer erforscht werden.

Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe bestätigte auf PNN-Nachfrage, dass die neuen Erkenntnisse von Matthias Grünzig in „vielen Teilen“ richtig seien. Dass aber die Garnisonkirche beim Wiederaufbau zerstörter Kirchengebäude keine Priorität genossen habe, entspreche „nur der halben Wahrheit“. Damals sei entschieden worden, zunächst mit der Nikolaikirche zu beginnen. „Sie war wegen ihres besseren Bauzustandes schneller in Ordnung zu bringen. Das war aber keine Entscheidung gegen die Garnisonkirche“, betonte der frühere Kirchenmann. „Wir haben bis zur letzten Minute zum Turm der Garnisonkirche mit seiner Kapelle gestanden.“ Nach dem Einbau von Zwischendecken, der mit Unterstützung der Stadt und der damaligen Oberbürgermeisterin stattfand, habe sich die Kirche intern „völlig unbestritten“ dafür ausgesprochen, den Turm eines Tages wieder aufzubauen. „Hier muss man klar unterscheiden zwischen dem Aufbau des Kirchenschiffs und dem des Turms.“

Matthias Grünzig hatte in Archiven wie dem Bundesarchiv, dem Brandenburger Landeshauptarchiv und dem Domstiftsarchiv Brandenburg Prioritätenlisten des kirchlichen Bauamtes aus den 40er- und 50er-Jahren gefunden. Die Potsdamer Nikolaikirche stand über Jahre hinweg auf Platz eins der wiederaufzubauenden Gotteshäuser, gefolgt von Kirchen in Prenzlau und Frankfurt/Oder – von der Garnisonkirche keine Spur. So stellten Staat und Kirche bis 1960 1,2 Millionen Euro zur Verfügung, um die Nikolaikirche teilweise instand zu setzen. „Sie war in den 50er-Jahren die mit Abstand am höchsten geförderte Kirche in der DDR“, fand Grünzig heraus. Die Kehrseite war, dass die Garnisonkirche bis Ende 1949 lediglich enttrümmert und in der Öffentlichkeit als Schandfleck wahrgenommen worden sei. Erst personelle Veränderungen im kirchlichen Bauamt in Berlin-Brandenburg hätten dazu geführt, im Turmstumpf die Kapelle für die infolge des Krieges stark geschrumpfte Gemeinde einzurichten.

Dass in der DDR – und in der BRD – der 60er-Jahre die alten Baudenkmäler als „überkommene Gotteshäuser“ und Ballast galten, sei durch den Zeitgeist zu erklären. In ihre neuen Gemeindezentren wollte die Kirche mit Angeboten wie Film und Konzerten – und jenseits von autoritären Strukturen – junge Leute locken. „Mit wenig Geld viel erreichen“, sei damals die Haltung gewesen.

Matthias Grünzig wiederholte bei der Podiumsdiskussion seine These, Stolpe habe damals möglichst viele Gemeindezentren bauen lassen wollen. Dieser verwahrte sich im Gespräch mit den PNN dagegen, die kirchliche Baupolitik habe sich in den 60er-Jahren generell auf die preisgünstigen Zentren konzentriert. „Dies trifft nur für Neubaugebiete zu wie Potsdam-Stern.“ Dort hätte es sonst keine einzige Kirche gegeben.

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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