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Kultur: Im Grenzland zum Ornament

Mit neuesten Arbeiten von Hans-Hendrik Grimmling ist das „Schaufenster Sperlgalerie“ eröffnet

Der international bekannte Maler Hans-Hendrik Grimmling teilt seinen Lebenslauf – und damit sich selbst – nach Art eines Triptychon ein: Zuerst war da eine mehr oder weniger abstrakte Phase, dann folgte eine mehr oder weniger figürliche, um jetzt, jenseits der 60, wieder an seine Anfänge anzuknüpfen. Dem Potsdamer Publikum ist der Mann mit dem kalten Zigarillo im Mund kein Unbekannter, besonders die Galerie Sperl hat den gebürtigen Sachsen mehrfach ausgestellt, zuletzt in den Jahren 2007 und 2010. Nun hat Rainer Sperl neben seiner Galerie am Nikolaisaal amWochenende eine zweite mit dem Namen „Schaufenster Sperlgalerie“ eröffnet. 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche in dem Gebäude der Fachhochschule Potsdam mit 24 Meter langer Fensterfront auf dem Weg zwischen Stadtschloss und Bibliothek. Die erste Ausstellung gehört nun Hans-Hendrik Grimmling.

Dem Titel „201|1|2|3“ nach beherbergt die neue „Schaufenster Sperlgalerie“ offenbar thematisch ausgerichtete Arbeiten der letzten Jahre. Seine Vorliebe für reine Farben und den betont kräftigen Strich hat er sich ja bewahrt. Er kommt von der Form, der Struktur. Man kennt ihn noch, als er mit Balken und gitterähnlichen Rastern experimentierte, die mehrdimensional assoziierbar sind, je nachdem, wie das Auge adaptiert. In seiner jetzigen Phase haben sich abstrakte und figürliche Elemente nur scheinbar auf schier unlösbare Art ineinander verschoben, verkeilt, verbissen, verknäult. Überall ist Kampf, von den beiden Stiefbrüdern bis zum Engelreich, den Leidenden, den Gefangenen. Man spürt dieses starke Ringen selbst da, wo Grimmling es direkt nicht direkt darstellt. Atemberaubend ist das gelegentlich, also fern aller Schönheit, doch haben die Bilder auch nur mehr Fläche als Tiefgang. Ab wer wäre denn immer nur top?

Groß und grob sind seine Figuren, er geht an Gesichter oder Körperteile so nahe heran, bis die Identifikationsfähigkeit des Betrachters kapituliert. Er malt Finger wie Insektenglieder, Riesenhände, an Max Beckmann erinnernd. Er ist ein Maler der Gesten geworden, sich auf das Notwendigste konzentrierend: Vom angerührten „Engel III“, den eine weiße Hand ergreift, sind ihm nur der Arm über den Augen und der schreiend offene Mund wichtig, vom Glöckner Gesicht, Hände und ein übergroßer Schwengel. Manchmal verschwimmt die Komposition in ihrer eigenen Kompaktheit, bei „wir sind alle dabei“ zum Beispiel, oder beim Träumepflücken. Seine großformatigen „Europa“-Bilder indes, darin mit dem Fuchsgesicht und dem Scharfschnabel seine altbekannte Bildsprache im Weltengetümmel von heute zurückkehrt, würde wohl keine Brüsseler Behörde freiwillig kaufen, es ist ein garstiges Bild Europas.

Diese so farb- wie strukturintensiven Arbeiten, allesamt in Acryl, haben etwas Assoziatives. Neben einem Fortträumer, Traumpflücker und Engel findet man seltsam anrührende Titel wie „im wagnis der balancen“ oder „versuch zur demut“, die assoziatief nach innen weisen. Trotzdem hat man in dieser wahrlich großflächigen Ausstellung eine wilde, sehr unruhige Malerei vor Augen. Kraft ist darin, bis zum Übermass. Dies weist auf eine innige, manchmal verzweifelt scheinende Suche nach dem jeweiligen Gegenteil hin, nach Harmonie, nach Ausgleich. Ob Grimmling große oder kleine Formate wählt, stets sprengen ja seine Ideen die Grenzen der Leinwand, der Kampf, das Denken und Ringen setzt sich jenseits des Bildrandes fort. Seine wenigen Farben, Weiß, Schwarz, Gelb, selten auch Rot, scheinen den Betrachter anspringen zu wollen, aggressiv, hart. Mal verdecken sie das Sujet, mal heben sie es angriffslustig hervor.

Nimmt man den Gedanken des curriculären Lebens-Triptychons noch einmal auf, so scheint er nun die Synthese aus Abstraktion und Figürlichkeit gefunden zu haben. Trotzdem: Manche Kompositionen suchen den Weg zur Bildhauerei, andere vielleicht gar das Ornament. Seltsame Wege, die Hans-Hendrik Grimmling da in seinem Leben geht.

Lust zur Abhängigkeit oder zur Freiheit, der fallende, der aufgehaltene Engel, der verzweifelte Glöckner als Warner, die Suche nach dem Behaltbaren in dieser Zeit, alles in schreiender Form und in großem Format: Bei Grimmling, dem Unkulinarischen, bekommt man Kunst wahrlich nicht geschenkt! Anstrengen muss man sich, arbeiten, dann wird man belohnt. Nicht alles wird bleiben, was ausgestellt ist, doch der Geist dieser Malerei scheint zu tragen. Metaphern, Archaïsmen? Klar, hier kriegt man sie bis zur Unkenntlichkeit vorgesetzt, oder nur noch als Titel. Na und? Ob Bibel, Mythen oder Metapher – nichts Zeitloses würde je funktionieren, wenn es der jeweilige Tag nicht zu lesen verstünde.

Die Ausstellung „201|1|2|3“ im „Schaufenster Sperl“, Friedrich-Ebert-Straße 4, ist bis zum 8. Juli, mittwochs, donnerstags und samstags, 13-18 Uhr, geöffnet

Gerold Paul

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