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Torquato Tasso im Potsdamer Schlosstheater: Im goldenen Käfig

„Torquato Tasso“ feierte in der Regie von Tina Engel im Schlosstheater Premiere. Goethes persönlichstes Stück wurde dabei von Regisseurin Tina Engel angenehm von ausuferndem Beiwerk und unverständlichen Anspielungen befreit.

Wenn man im Schlosstheater im Neuen Palais Platz nimmt, ist Goethes Lebens- und Schaffenszeit ganz nah. Doch die Bühne wird von einem leeren Swimmingpool und zwei Liegestühlen eingenommen. Das macht neugierig und wie das am Boden liegende Gemüse Appetit auf mehr.

Das Konzept, mittels Bühnenbild (Alexander Wolf) und Kostümen (Yassu Yabara) das vor über zweihundert Jahren geschriebene Stück „Torquato Tasso“, das am Samstag in der Regie von Tina Engel Premiere hatte, in eine nicht so genau bestimmbare Gegenwart zu holen, ging sofort auf. Die beiden Frauen, die in farbigen seidenen Kleidern auf den Liegestühlen lagen, plauderten über ihre Jugend, die Poesie und den erwachenden Frühling – eine beinahe zeitlose Idylle. Schon zu Beginn wurde deutlich, dass die Regisseurin den Text von mancherlei ausuferndem Beiwerk sowie nur Zeitgenossen oder Bildungsbürgern verständlichen Anspielungen entschlackt hatte.

Wie wohltuend! Und nach einem Blick ins Programmheft wusste man auch, dass einen zwar ein Versmarathon erwartete, der jedoch nicht länger als zwei Stunden andauern würde. Denn Goethes persönlichstes Stück hat im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte nicht völlig zu Unrecht den Stempel „steif und undramatisch“ aufgedrückt bekommen. Beides trifft auf Tina Engels Inszenierung nicht zu, auch wenn sie sehr nah und manchmal eine Idee zu ehrfürchtig an der Vorlage blieb.

Gezeigt wird ein Leben im goldenen Käfig. Da sind die beiden Frauen, Leonore von Este (Franziska Melzer) und Leonore Sanvitale (Meike Finck). Die erste, Schwester des Herzogs, lebt kränkelnd an der Seite ihres viel älteren Bruders. Die zweite, Freundin des Hauses, steht zwar mitten im reichen Oberschichtsleben mit Mann und Sohn, langweilt sich aber ebenfalls. Und auch der Herzog (Peter Pagel), der von Geburt an über Macht und Ansehen verfügt, sucht nach einer Aufgabe. Etwas sehr Lebendiges muss her, damit die eigene Leere nicht so schmerzhaft fühlbar ist. Ein mittelloser junger Dichter (Alexander Finkenwirth) kommt da gerade recht. Und während der Herzog ihn finanziell unterstützt und „väterlich“ autoritär zu lenken versucht, erregt die vitale, aber unfertige Jugendlichkeit Tassos das Interesse beider Frauen.

Das geht so, bis Staatssekretär Antonio – als blendend aussehender und zudem erfolgreicher Jungpolitiker Axel Sichrovsky – die Szene betritt. Ihm ist das sinnfreie Tun des Jungpoeten und der Frauen verliebtes Schwärmen zuwider. Doch beim Tête-à-tête mit Leonore Sanvitale bekennt auch er, dass er neben den offiziellen Lorbeeren die Gunst der Frauen sucht und diese Tasso neidet. Doch Meike Finck, die die Sanvitale als sinnenfreudige und ziemlich desillusionierte Frau gibt, spielt auch mit ihm nur ein Spiel. Denn sie will und kann, genauso wie Leonore von Este, die immer noch auf den idealen Traumprinzen wartet, nicht wirklich aus ihrer Haut.

Franziska Melzer spielt diese Prinzessin, die sich immer wieder auf einen der Liegestühle legt, als geheimnisvoll ätherisches Wesen. Das sich der ungestümen Liebe dieses Jünglings, der ihr buchstäblich an die Wäsche geht, letztlich nur durch Flucht entziehen kann. Und so hocken alle in ihrem eigenen Käfig.

Einzig Tasso, der sich nach der harschen Zurückweisung durch Antonio, die Bestrafung durch den Herzog und seine unerwiderte Leidenschaft, entschließt, das Schloss zu verlassen, spürt die Unfreiheit wirklich. Und während er vorher vor dem Herzog devot buckelte und den Frauen knieend den Hof machte, macht Alexander Finkenwirth jetzt mit großen Gesten seiner Wut Luft. Erst da kommt er wirklich zu sich selbst und ist in seiner eigentlichen Kraft. Schade, dass er danach nicht wirklich die Flucht ergreift.

Aber auch heute wie vor zweihundert Jahren sind (junge) Künstler von privaten und öffentlichen Geldgebern abhängig. Dass er dann allerdings im Schlussbild wie ein Ertrinkender nach jedem Strohhalm greift, ist dann doch – wie auch schon bei Goethe – einigermaßen verwirrend.

Und dass ihn dann ausgerechnet Antonio aus dem Pool zieht, dafür scheint es in dieser Inszenierung noch einen Grund zu geben. Beide Frauen wünschen sich Männer, die scheinbar Unvereinbares verbinden: Macht und Fantasie, Ratio und Gefühl, Härte und Weichheit. Das erinnert an aktuelle Geschlechterrollendiskurse, sodass die Handreichung Antonios auch als Annäherung an ein solches Ideal und Tassos Hinwendung zum wenig Älteren als eigenes Erwachsenwerden verstanden werden können.

Themen wie diese klingen im „Tasso“ an, sodass man sich in der Inszenierung von Tina Engel die meiste Zeit auf das Geschehen konzentriert und nur mit einem kleinen Schwächeln nach der gefühlten Stückmitte auf die gebundene Sprache einlässt.

Zudem gelingt es, die Figuren als Charaktere mit Widersprüchen zu zeichnen. Zum Beispiel ist der Herzog in seinen verbalen Forderungen an den ihm verpflichteten Dichter ganz Herrscher, aber Peter Pagel verkörpert ihn dabei eher als habgierigen Kunstbuchhalter denn als wirklichen Souverän. Tasso, der anfangs in seinen Gesten und seiner Körperlichkeit so schwach rüberkommt, wird erst durch die Bestrafung – er sitzt dann still in einer Ecke des Pools und beobachtet das Geschehen – zu einer wirklich achtenswerten Person, die endlich das tut, was des Dichters eigentliches Geschäft ist: beobachten, was die anderen aus einer Situation machen. Und das geht auch oder möglicherweise besonders gut in so einem goldenen Käfig.

Nächste Vorstellungen am morgigen Mittwoch sowie Donnerstag um 19.30 Uhr, am Karfreitag um 15 Uhr, am Ostersamstag um 19.30 Uhr und Ostersonntag 15 Uhr, im Schlosstheater im Neuen Palais

Astrid Priebs-Tröger

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