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„Die Ehrenamtlichen sind am absoluten Limit“: Hilferuf von der Potsdamer Tafel

Der Tafel in Potsdam fehlen Helfer, Kunden gibt es aber immer mehr. Die Chefin der Einrichtung berichtet von 11-Stunden-Schichten - und von "Ehrenamtlichen am absoluten Limit".

Potsdam - Es wird immer voller: Seit Jahren steigt der Bedarf, melden sich immer mehr Menschen auch bei der Potsdamer Tafel an. Erst seit Anfang Juni hat die Ausgabestelle in der Drewitzer Straße auch am Montag geöffnet, um die anderen Ausgabetage zu entlasten. Doch weil ehrenamtliche Helfer fehlen, könnte dem meistfrequentierten Tag der Woche, dem Freitag, jetzt das Aus drohen.

Ein Brötchen nach dem anderen packt Angelika Bergemann in den Rucksack, den sie in ihren Händen hält. „Der will immer so viel“, sagt sie mit einem leichten Augenzwinkern, während sie in die Körbe mit den Backwaren greift. Mit Schwung gibt sie den Rucksack an den jungen Mann hinter dem Tresen zurück. „Vielen Dank. Ein schönes Wochenende noch“, sagt er. Dann ist auch schon der nächste Kunde dran. Bergemann ist eine der vielen Ehrenamtlichen bei der Potsdamer Tafel. Jeden Freitag bereitet sie mit ihren Kollegen die Lebensmittel vor und gibt am Nachmittag das Obst, Gemüse, Wurst, Käse oder Backwaren an Bedürftige aus.

1200 Kunden pro Woche bei der Potsdamer Tafel

120 Ehrenamtliche helfen aktuell bei der Potsdamer Tafel. „Damit decken wir nicht einmal den Bedarf, den wir brauchen. Das ist jetzt schon das absolute Minimum“, sagt Tafel-Chefin Imke Eisenblätter. Die fünf Teams, die jeweils an einem Tag der Woche für die Ausgabe mit zuständig sind, sollten eigentlich aus rund 15 Helfern bestehen. Manches Mal seien es aber nur zehn oder elf. Zusätzlich braucht die Tafel etwa sechs bis acht Fahrer am Tag, um die Lebensmittel von den Märkten aus Potsdam, dem Umland und Berlin abzuholen.

Etwa zwölf Helfer würden zurzeit fehlen, sagt Carsten Stegemann, zweiter Vorsitzender im Vorstand und einer der Fahrer. Dann gebe es nicht gleich Probleme, wenn mal jemand ausfällt. Auch Fahrer werden dringend gesucht. Von den vier Transportern, in denen eigentlich immer zwei Fahrer sitzen sollen, führen zurzeit nur drei regelmäßig aus. Aktuell betroffen ist vor allem der Freitag. Mit einem Schlag hätten plötzlich sechs Leute gefehlt, sagt Eisenblätter. Einige seien im Urlaub oder krank. Andere, die bei der Tafel für eine Maßnahme zum Wiedereinstieg in den Beruf gearbeitet haben, hätten nun woanders einen festen Job bekommen.

Die Potsdamer Tafel versorgt pro Woche rund 1200 Kunden. Etwa 2500 seien insgesamt angemeldet, so Eisenblätter. Bis Ende 2018 rechnet sie mit 3000. Allein 40 Prozent der Bedürftigen sind Kinder. Vor allem am Freitag, wenn mehr als an anderen Tagen vorbeikommen, um den Kühlschrank vor dem Wochenende zu füllen, seien viele Kinder dabei. Etwa 120 Kunden kommen freitags. Mindestens doppelt so viele werden von den Lebensmitteln versorgt.

Zehn Stunden Arbeit ohne Bezahlung

„Ich bin so gegen 9.30 Uhr hier, die anderen Mitarbeiter kommen um 10 bis 10.30 Uhr“, schildert Sabine Sommer, Leiterin des Freitagsteams, einen typischen Tag. Einige, die neben ihrem Beruf aushelfen, kommen erst am Nachmittag. „Das ist eine sehr schwere körperliche Arbeit“, so Sommer. Die Waren, die von den Fahrern gebracht werden, müssen alle sortiert werden. Jede Packung mit Erdbeeren, Pilzen oder Äpfeln wird geöffnet, die angefaulten, schlechten Waren rausgesammelt. Alles wird je nach Sorte auf dick bepackte Körbe verteilt, die im Ausgaberaum aufeinandergestapelt werden müssen. Nachmittags ist dann Ausgabe. „Wir machen am Freitag von 16 bis 18 Uhr auf. Bis alle weg sind, ist es halb sieben. Dann muss noch alles sauber gemacht und geputzt werden“, erzählt Sommer. Vor halb acht, acht sei da oft nicht Schluss.

Viele der Kunden sind durchaus dankbar für die Arbeit der Ehrenamtlichen. Einer bringe manchmal Wein aus Moldawien mit, die er in kleinen Flaschen abgefüllt an die Helfer verschenkt, so Bergemann. „Das ist so ein kleines Dankeschön an uns. Das kommt schon mal öfter vor“, sagt sie. Die Ehrenamtlichen geben nicht einfach nur Essen aus. Sie fragen die Kunden nach ihrem Befinden oder nach den Kindern, wissen bei so manchem, was er mag und wie viel er will. Für die Kinder gibt es schon mal ein extra Schokobrötchen auf die Hand. Ganz zu schweigen von den unzähligen Taschen und Körben, die die Helfer in den rund zwei Stunden im Akkord immer wieder befüllen und hin und her hieven müssen. „Das kann man gar nicht wieder gut machen, was die hier leisten. Ehrlich“, sagt einer der Kunden.

„Die Ehrenamtlichen sind am absoluten Limit“

Doch auch unter denen, die für Lebensmittel anstehen, ließ sich bisher keiner finden, der bei den Teams mithelfen möchte. Die Potsdamer Tafel hat Aufrufe gestartet und Annoncen geschaltet. „Wir haben das Problem fehlender Helfer leider regelmäßig“, sagt Stegemann, der bereits seit 2009 neben seinem Beruf jeden Freitag bei der Tafel hilft. Vielen sei die Arbeit zu anstrengend oder zu schmutzig. Nach nur einem Probetag würden die meisten schon abspringen. Andere können nicht so oft helfen, weil sie berufstätig sind oder studieren. Gott sei Dank gebe es das Stammpersonal, vor allem Rentner, die größtenteils seit vielen Jahren dabei sind. „Wenn die hier auch noch wegbrechen, weiß ich langsam auch nicht mehr weiter“, so Stegemann. Denn auch sie werden nicht bis in alle Ewigkeit mitmachen können. Erst vor Kurzem habe einer der Beifahrer sogar bei der Ausgabe geholfen. „Das ist eigentlich kein Ehrenamt mehr, so viel wie wir hier arbeiten.“

Eisenblätter will zeitnah das Gespräch mit dem Sozialbeigeordneten Mike Schubert (SPD) suchen. „Ich fordere von der Stadt Unterstützung, in dem wir hier einen Hausmeister kriegen, der Projekte mitbetreut und der dafür sorgt, dass Ordnung und Sauberkeit herrscht“, sagt Eisenblätter. Das würde die Helfer zumindest ein wenig entlasten. „Wir haben hier jetzt Vollbetrieb in der Woche. Die Ehrenamtlichen sind am absoluten Limit.“

Sarah Stoffers

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