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Vom Gestern und Morgen: Göran Gnaudschuns Bilder im Ministerium

Jeden Montag hat er ein Bild gemacht, oder auch jeden Dienstag. Das war von Jahr zu Jahr unterschiedlich.

Jeden Montag hat er ein Bild gemacht, oder auch jeden Dienstag. Das war von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Für Göran Gnaudschun, Fotograf und Dozent für Fotografie an der Fachhochschule Potsdam, war das eine Art der Tagebuchführung. Ein fast mechanischer Vorgang. Er brauchte das, sagt Gnaudschun. Brauchte einerseits das Raster, die Struktur, brauchte andererseits die Abwechslung. „Ich hatte davor an Porträts gearbeitet und das Gefühl, ich fahre mich fest.“ Jetzt ist beides im Ministerium für Kultur in der Dortustraße zu sehen, die Porträts als auch die Tagebuchbilder, entstanden in den Jahren 2006 bis 2012.

Beiden Bilderserien ist gemein, dass Gnaudschun sie von allem interpretatorischen Ballast befreit. Von möglichen Botschaften, von Material, dass sich deuten ließe. Es ist die Welt, wie sie da ist, wie sie ihm zufällig vor die Füße fiel, manchmal wortwörtlich. Es konnte passieren, sagt er, dass ihm abends einfiel, dass er noch kein Bild gemacht hatte. „Also lief ich irgendwo hin oder trat hinaus auf den Balkon und machte ein Bild. Oder fotografierte einfach meine Füße.“ Gnaudschun spricht gern vom „Bilder machen“, als wolle er sich in seiner Rolle als der Fotograf, der er nun mal ist, zurücknehmen. Das ist für den Betrachter ein wenig gewöhnungsbedürftig – man stutzt erst einmal ob der Aufnahmen von Hauswänden, von Wolken über einem Stadtrandpanorama, herbstlichem Gestrüpp am Wegrand, daneben ein Kohleofen mit Flammen hinter dem Sichtfenster oder ein zielloser Blick aus dem Auto heraus fotografiert. Mit einer gewissen Zärtlichkeit hat Gnaudschun diese Welt-Fitzelchen festgehalten. „Was ich fotografiere, ist völlig irrelevant“, sagt er. Beiläufig ergebe sich das Bild. „Aber durch diese Beiläufigkeit entsteht etwas Direktes, dass dazu führt, dass wir das Unbewusste spielen lassen“, sagt er. Auch die privaten Bilder aus dem Leben des Göran Gnaudschun, dem Alltag mit Familie, drei Jungs, heute drei, sechs und acht Jahre alt, berühren, weil sie in ihrer Neutralität und Zurückhaltung Angriffsfläche bieten. Andockfläche. „Meine privaten Bilder können dann persönlich werden“, sagt er. Bei jedem etwas anderes auslösen, bewirken. Antriggern nennt er es. Jeder wird anders umgehen mit einem Bild, das ein Kind zeigt, eine Szene in der Badewanne, eine verlassene Couch mit einem Gebirge von Decken, unter denen gerade eben noch jemand gelegen haben könnte. „Ich mache die Bilder und lasse sie dann einfach los, sie sind frei.“

Als erstes begegnet man in der Ausstellung allerdings den Porträts – wie ein Empfangskomitee. Göran Gnaudschun hat hauptsächlich Kinder, Jugendliche und alte Menschen fotografiert. Auch hier: keine Inszenierung. Gesichter ohne sichtbare Gefühlsregung. Teenager der Generation Selfie, die normalerweise nur noch mit Grimassen in eine Kamera schauen, blicken ernst und entspannt, gelöst, zu dem Fotografen. Gnaudschun nennt es das Fernsehgesicht, das entsteht, wenn Menschen in den Fernseher starren. Beim Fotografieren starren sie durch ihn hindurch. Gesichter mit einem Lächeln will er nicht. Der Mensch ist zu vielschichtig, sagt er, als dass man ihn auf einen Ausdruck festlegen kann. „Wenn ich ein neutrales Gesicht fotografieren kann, dann ist das das höchste.“ Eine liebevolle Weichheit liegt dennoch über der Porträtserie. Gnaudschun hängt außerdem alt und jung nebeneinander, Paarungen, die ihm einfach gut gelingen. Und seine Tagebuch-Bilder wunderbar ergänzen. Steffi Pyanoe

Ministerium für Kultur, Dortustr. 36, 2. OG, bis 26 Oktober. Geöffnet Montag bis Freitag 7 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

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