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Brandenburg: Geschürte Gewalt

In Jüterbog wurde ein Jugendklub angegriffen, in dem auch Flüchtlinge verkehrten – vermutlich von Rechtsradikalen. Der Bürgermeister der Kleinstadt hatte zuvor Panikmache gegen Asylbewerber betrieben

Jüterbog - Vom Sofa sind nur verkohlte Fetzen geblieben, unter den Füßen knirscht zersplittertes Glas. Skatkarten und zwei zerfetzte Weltkarten liegen in den Ecken, sogar die hölzerne Deckenverkleidung wurde durch die Explosion teilweise herabgerissen. Eine junge Frau, Mitglied der Jüterboger St. Nikolai-Gemeinde, steht inmitten des völlig zerstörten Raumes und kämpft mit den Tränen. „Hier haben wir immer gemütlich mit Freunden und den Flüchtlingen Tee getrunken“, sagt sie.

Aber Maria will sich nicht einschüchtern lassen. Deshalb ist die 18-Jährige am Samstagmittag zur protestantischen Jugend-Begegnungsstätte geeilt, auf die mutmaßlich Rechtsradikale am späten Freitagabend nach einer NPD-Demo in Jüterbog einen Anschlag verübt haben. Mehr als 100 Einheimische, Menschen aus dem Umland, Berliner sowie hohe Vertreter von Kirche und Politik sind gleichfalls spontan den Aufrufen zu dieser Solidaritätsversammlung gefolgt.

Jüterbog, Mönchenstraße 1: Das kleine, einstöckige Haus der Gemeinde lehnt sich direkt an die historische Stadtmauer und den mächtigen Wehrturm am Dammtor. Über dem Eingang steht noch der Sternsingerspruch vom vergangenen Christfest: „Christus, schütze dieses Haus.“ In dem Treff, genannt „Turmstube“, finden regelmäßig Begegnungen mit Flüchtlingen statt, Deutschkurse werden gegeben, vielerlei Hilfen organisiert.

Die Ermittlungen nach dem Anschlag hat inzwischen die Staatsanwaltschaft Potsdam an sich gezogen. Der Staatsschutz ist eingeschaltet. Nach ersten Einschätzungen haben vermutlich Rechtsextreme im Schutz der Dunkelheit „eine geballte Ladung Böller und andere Pyrotechnik“ durchs zerschlagene Fenster in die Stube geworfen, die zur Straße hin liegt. Im Gebäude hielt sich zum Tatzeitpunkt niemand auf, es gab keine Verletzten.

Davor setzt nun ein Posaunenchor punkt 12.40 Uhr die Instrumente an die Lippen. Die Herbeigeeilten, darunter Familien mit Kindern, Jugendliche und viele Ältere, singen gemeinsam: „Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.“ Auch Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Markus Dröge, stimmen kräftig mit ein.

Danach ergreift der Innenminister das Wort. Er ist sichtlich aufgebracht. „Diejenigen, die vorgeben, das christliche Abendland zu verteidigen, aber zugleich Anschläge auf kirchliche Einrichtungen verüben, haben die letzte Maske fallen lassen“, sagte Schröter. Und schiebt nach: „Wir sind stolz darauf, dass Sie sich hier für Flüchtlinge einsetzen.“ Nach ihm spricht Bischof Dröge, sagt, der Anschlag sei nicht nur ein Angriff auf die Kirche, sondern auf „unser ganzes Gemeinwesen“. Menschenverachtung fange „mit der Wortwahl“ an. „Wenn manche Politiker jetzt Flüchtlinge pauschal verunglimpfen und verächtlich machen, schürt das solche Gewalt.“

Er nennt ihn nicht direkt, aber Dröge meint damit wohl auch den parteilosen Bürgermeister von Jüterbog im Kreis Teltow-Fläming, Arne Raue. Der erregte vor zwei Wochen bundesweit Aufsehen, weil er auf der Website der Stadt Panikmache gegen Flüchtlinge betrieb. Er warnte die Bürger „selbst vor geringfügigen Kontakten“ zu Flüchtlingen, weil diese Infektionskrankheiten, etwa Tuberkulose, übertragen würden.

Dabei bezog er sich auf angebliche schriftliche Äußerungen einer im städtischen Auftrag beschäftigten Ärztin. Das Potsdamer Gesundheitsministerium wies die Behauptung sofort entschieden zurück. Und inzwischen stellte sich heraus, dass Raue diese Warnung offenbar selbst verfasst hat. Den zitierten Brief der Medizinerin hat er trotz mehrfacher Aufforderungen bisher nicht vorgelegt.

Dennoch steht seine Warnung bis heute auf der städtischen Website. SPD und Linke versuchten vor einigen Tagen im Stadtparlament, die Löschung per Antrag zu veranlassen, aber sie scheiterten. Nur acht von insgesamt 22 Stadtverordneten, die mehrheitlich freien Wählerinitiativen angehören, unterstützten ihre Initiative. „Jüterbog sei bis zum Amtsantritt von Arne Raue sehr liberal gewesen“, sagt Stadtverordnetenvorsteher Falk Kubitza (SPD).

Seit der Wende hatten durchweg freidemokratische Rathauschefs das Sagen. Aber danach habe Raue Fronten geschaffen. Am Sonnabend kam er nur kurz vor dem Beginn der Versammlung zur Begegnungsstätte, hielt dort keine Rede, sondern besichtigte nur die Schäden – dann ging er wieder. Am Sonntag teilte er mit, er sei auf einer Beerdigung gewesen.

In Jüterbog gibt es bislang zwei Flüchtlingsheime mit insgesamt 250 Bewohnern, viele kommen aus Syrien. Ein drittes in der Innenstadt sollte am Freitag eröffnet werden. Aber dies wurde verschoben, weil die NPD am selben Tag einen Aufmarsch gegen Asylbewerber in Jüterbog veranstaltete. Rund 200 Rechtsradikale reisten an. Jüterboger Bürger- und Flüchtlingsinitiativen protestierten auf dem Markt und in der Nikolaikirche dagegen, etwa 800 Teilnehmer kamen. Innenminister Schröter vermutet deshalb hinter dem Anschlag eine „Frust- oder Wutaktion“ der Rechten, weil die Gegendemonstration am Freitagabend sehr viel größer und von Einheimischen getragen war.

In der Stadt hat sich die Stimmung bislang offenbar noch nicht spürbar gegen die neuen geflüchteten Nachbarn gekehrt. Das zumindest versichert Pastorin Mechthild Falk. Noch am frühen Vormittag, bevor der Anschlag bekannt wurde, häkelten 50 Frauen öffentlich vorm Rathaus Decken für Flüchtlingskinder. In der Adventszeit ist ein „Weihnachtsmarkt der Begegnung“ geplant.

Und am Eingang der im Inneren teilweise zerstörten Begegnungsstätte stehen am Sonnabend auch Matilda aus Albanien und Anne aus Jüterbog, beide 13 Jahre alt. Anne bringt Matilda seit neun Monaten als Lesepatin im Treff Deutsch bei. Das Mädchen vom Balkan hat keine Chance zu bleiben. Seine Familie soll abgeschoben werden. Aber die beiden wollen ihre Freundschaft bewahren. „Klar, wir halten Kontakt“, sagt Anne. „Wenn Matilda etwas braucht, schicke ich Pakete.“

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