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Gastbeitrag von Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg: Gegen Rechtspopulismus hilft kein „Beschweigen“

Die Probleme der Flüchtlingskrise müssen benannt werden, meint Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg in seinem Gastbeitrag für PNN.

Als ich 1992 ins Land Brandenburg kam, wurde ich mit Überfremdungsängsten konfrontiert, die sich bei vielen Einheimischen zeigten. Als sozialisierter Niedersachse konnte ich deren stille Wut nachvollziehen, wenn in den damals wenigen Potsdamer Kneipen Nordrhein-Westfalen sich zu vorgerückter Stunde lautstark wie Angehörige einer Besatzungsmacht gerierten. 1999 hat der damalige „Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“, Joachim Gauck, in einer Rede im Deutschen Bundestag die Überfremdungsängste der Ostdeutschen zu Beginn der 90er-Jahre wie folgt zum Ausdruck gebracht hat: „Viele fühlten sich fremd im Land. Sie hatten vom Paradies geträumt und wachten in Nordrhein-Westfalen auf.“

Vorbehalte unter Deutschen hatte ich bereits in Süddeutschland zwischen Badenern und Württembergern erlebt, aber noch als folkloristische Erscheinungsformen einordnen können, wie die auf rheinischen Karnevalssitzungen regelmäßig thematisierte „Feindschaft“ zwischen Kölnern und Düsseldorfern. Doch nun wurde eine andere Dimension der Fremdenfeindlichkeit sichtbar, die gegenüber allen Nichtdeutschen in Ausländerfeindlichkeit mündete, für die mir jedes Verständnis fehlte. So war ich zunächst auch ein Gegner der Änderung des Grundgesetzes, mit der im Mai 1993 das Asylrecht eingeschränkt wurde, um der Migrationswelle zu begegnen, die seit Ende der 80er-Jahre die EU und insbesondere die Bundesrepublik getroffen hatte.

Was eine Kneipenrunde in Neuruppin über ostdeutsche Fremdenfeindlichkeit verrät

Meine Einstellung zum Asylkompromiss änderte sich aber, nachdem ich im Dezember 1993 Leiter der Staatsanwaltschaft in Neuruppin geworden war. Ich wohnte anfangs über einer Kneipe, in der ich abends mein Bier trank. An der Theke fielen in meiner Anwesenheit nicht nur abfällige Bemerkungen über die Westberliner Tagesgäste und deren arrogantes Auftreten, sondern auch ausländerfeindliche Sprüche, die der Wirt mit einer aus DDR-Zeiten adaptierten Geste zu unterdrücken versuchte, indem er beide Hände von oben nach unten bewegte. Doch irgendwann kam ich mit den anderen Stammgästen ins Gespräch und wenn die Wirtin zu vorgerückter Stunde das Lokal abgeschlossen hatte, führten wir als „geschlossene Gesellschaft“ eine offene Diskussion. Ich versuchte unser Asylrecht zu erklären und zu rechtfertigen, was mir auch leidlich gut gelang, doch die „Ossis“ verwiesen auf dessen Missbrauch und wetterten gegen die „Wirtschaftsflüchtlinge“, die sie nach dem politischen Umbruch als Konkurrenten im Existenzkampf um die knapp bemessenen staatlichen Ressourcen betrachteten.

Sie fühlten sich in der Erwartung enttäuscht, dass sich der Staat zunächst um sie als „Deutsche“ zu kümmern habe, die in der DDR unter ökonomisch schlechteren Bedingungen als in der BRD gelebt hatten. Eine Begebenheit, die Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der „Amadeu Antonio Stiftung“, während einer Veranstaltung in der Berliner Akademie der Künste im Juni 2006 geschildert hat, belegt diese Erwartungshaltung schlaglichtartig: Am Tag nach dem Mauerfall sagte ein Ostdeutscher zu einem Türken in Kreuzberg, dass er „gehen“ könne, „denn jetzt sind wir da!“. Jedenfalls waren sich die „Ossis“ damals in der Neuruppiner Kneipe in ihrem Hass auf die Wirtschaftsflüchtlinge einig; von bekennenden Mitgliedern der PDS war nichts anderes zu hören. Nun verstand ich, weshalb junge Menschen damals Ausländer tätlich angriffen, denn sie hörten zu Haus noch drastischere Sprüche als man mir zumutete.

1997 war die dominante rechte Jugendkultur noch nicht wie ein böser Spuk verflogen

Vom spürbarem Rückgang der Zahl der Asylbewerber nach dem Asylkompromiss versprach ich mir einen Rückgang der ausländerfeindlichen Einstellungen und von einer konsequenten Strafverfolgung eine Zurückdrängung der widerwärtigen ausländerfeindlichen Gewaltstraftaten. Doch das Kind war bereits in den Brunnen gefallen, die Jugendkultur wurde weiter von ausländerfeindlichen und rechtsextremistischen Vorstellungen dominiert, und die Zahl der potentiellen Straftäter stellte sich als unüberschaubar heraus. Dies führte zu der Erkenntnis, dass das Problem nicht allein mit den Mitteln von Polizei und Justiz zu lösen war, sondern alle staatlichen Stellen sich an der Problemlösung gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zu beteiligen hatten, die es allerdings erst aufzubauen galt. So kam es in Brandenburg 1997 zur Gründung des „Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ und ein Jahr später zu dem Beschluss des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ durch die Landesregierung. Dies führte zu Erfolgen, und die dominante rechte Jugendkultur ist schon längst wie ein böser Spuk verflogen.

Doch nun sind wir wieder mit einer Migrationswelle konfrontiert, die mit der Grenzöffnung des Jahres 2015 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Wiederum ist die Folge Ausländerfeindlichkeit. Diese zeigt sich nicht mehr in der Gestalt prügelnde Horden alkoholisierter Jugendlicher und Heranwachsender, sondern in dem Agieren sogenannter Wutbürger – von denen mir viele von der Jugendkultur der 90er-Jahre geprägt zu sein scheinen – und deren Wahlverhalten, durch das die AfD in den Bundestag gelangt ist. Dies geht mit der Zunahme ausländerfeindlicher Straftaten einher.

Trotz voller Kassen hat die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Flüchtlingspolitik versagt

Die unkontrollierte Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen von September bis Dezember 2015 steht meines Erachtens einer Nation, die den industriell betriebenen Mord von Millionen zu verantworten hat, gut zu Gesicht, und wir sollten uns darüber freuen, dass die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch in ihrer Rede im Deutschen Bundestag am 31. Januar 2018 von einer „unglaublich mutigen, generösen, menschlichen Geste“ gesprochen hat. Leider hat aber die Bundesregierung, die diese richtige Entscheidung getroffen hatte, bei der Umsetzung versagt, was bei der mangelhaften Ausstattung des vor allem für die Identitätsfeststellung zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge begonnen und sich in der nicht adäquaten Unterstützung der Kommunen fortgesetzt hat, obwohl anders als Anfang der 90er die Staatsfinanzen nicht notleidend sind.

Staatliche Defizite sind aber auch beim Umgang mit denen auszumachen, die nicht unter das Asylrecht oder die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, sondern die man in der Bevölkerung eben als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen pflegt. Hier wird man – wie während der ersten Migrationswelle – bei der großen Mehrheit für ihren Aufenthalt keinerlei oder nur wenig Sympathie finden, ohne dass man dagegen die „Faschismuskeule“ schwingen sollte. Deshalb war der dezente Hinweis des Bundespräsidenten während seiner Jordanienreise Ende Januar richtig und wichtig, dass diejenigen, die auf der Suche nach einem besseren wirtschaftlichen Leben sind, nicht dieselben Rechte haben wie politisch Verfolgte und daher anders zu behandeln sind, um den politisch Verfolgten auch in Zukunft gerecht werden zu können.

Die Zeit des „Beschweigens“ der Probleme ist vorbei

Damit scheint nun auch die Zeit des „Beschweigens“ der Probleme, die die Flüchtlingskrise mit sich gebracht hat, endgültig vorbei zu sein. Die Mehrheit der Politiker und Medienvertreter hatte sich davon eine Schwächung der AfD versprochen, doch mit dieser Strategie wesentlich zu deren Erfolg bei der Bundestagswahl beigetragen.

Diejenigen, die dies voraussahen und die Probleme als erklärte Gegner der AfD ansprachen, waren Anfeindungen ausgesetzt. Bereits im Februar 2016 wies der in der brandenburgischen Provinz wohnhafte Journalist Stefan Berg im „Spiegel“ (7/2016) auf die Spaltung der Gesellschaft durch die begrenzte Aufnahmebereitschaft eines Teils der Bevölkerung hin und der Historiker Heinrich August Winkler äußerte in einem Interview mit dem „Focus“ (38/2016), dass kein Staat eine unbegrenzte Zahl an Asylanten und Flüchtlingen aufzunehmen vermöge.

Als ich unter Bezugnahme auf diese Positionen während einer Anhörung im Landtag Brandenburg im November 2016 äußerte, Grenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen würden gesetzt durch die Finanzkraft des Staates, die auch den Umfang der zur Verfügung stehenden Integrationsressourcen bestimme, und die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung, erntete ich noch böse Blicke, auch von Seiten meiner eigenen Partei, und hatte noch Glück, medial nicht als Sympathisant der AfD verortet zu werden.

Zwar werden diejenigen, die sich im linken Lager wie Oskar Lafontaine nun gegen offene Grenzen für alle Flüchtlinge aussprechen, als „linke Populisten“ beschimpft, doch hat sich nach der Bundestagswahl weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass man die Benennung der durch die Migrationswelle entstandenen Probleme nicht den rechten Populisten überlassen darf und nur Problemlösungen ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sind.

Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit sind zweierlei Phänomene

So ist auch nur wenig Kritik laut geworden, als nun für Cottbus (nach Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven) ein Zuzugsstopp für Flüchtlinge, von denen dort besonders viele aufgenommen worden waren, im Interesse des „sozialen Friedens“ angeordnet wurde. Dieser wäre übrigens aber auch gestört, wenn man in einem Dorf im Norden Brandenburgs oder gar in Mecklenburg-Vorpommern ein größeres Kontingent Sachsen zwangseinquartieren würde. Dahinter verbirgt sich nämlich nicht „Ausländerfeindlichkeit“, sondern „Fremdenfeindlichkeit“, die im kollektiven Bewusstsein tief verwurzelt zu sein scheint und immer dann virulent wird, wenn der Fremdenanteil eine bestimmte Grenze überschreitet. Das beste Beispiel hierfür finden wir in der deutschen Geschichte: Als nach dem Zweiten Weltkrieg Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten geflüchtet waren, wurden sie diesseits der neuen Oder-Neiße-Grenze von ihren Landsleuten vielfach mit Ablehnung empfangen, obwohl zuvor die „deutsche Volksgemeinschaft“ das Maß aller Dinge gewesen war.

Mein Großvater hat mir anschaulich berichtet, wie die katholischen Flüchtlinge aus dem Osten in dem zuvor rein protestantischen Dorf, in dem er als Pastor tätig war, behandelt wurden. Er musste sogar von der Kanzel rügen, dass die Bauern an katholischen Feiertagen absichtlich Mist fuhren. Doch da man sich der Flüchtlinge nicht entledigen konnte, musste man sie integrieren, was dann als Erfolgsgeschichte propagiert wurde. Das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit darf also nicht mit Ausländerfeindlichkeit oder gar Rassismus gleichgesetzt werden. Doch wenn man die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung in der aktuellen Flüchtlingskrise überstrapaziert, können diese drei Phänomene miteinander verschmelzen und Rechtspopulisten und Rechtsextremisten davon profitieren. Auch eine weitere Zunahme ausländerfeindlicher Straftaten dürfte dann die Folge sein.

Flüchtlingspolitik in Deutschland: Was nun zu tun ist

Was ist zu tun? Der Forderung einer jährlichen Obergrenze für Flüchtlinge ist entgegenzuhalten, dass weder eine erneute Änderung des Grundgesetzes zur Verschärfung des Asylrechts noch eine Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention in Betracht kommt. Vielmehr müssen endlich die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen schnellstmöglich entschieden wird und diese Entscheidungen schnellstmöglich umgesetzt werden. Dies bedeutet nicht nur zügige Abschiebungen, sondern auch eine gleichmäßige Verteilung derer, die sich zu Recht im Land aufhalten, und verstärkte Anstrengungen bei der Integration. Zudem ist zur Verminderung des Migrationsdruckes und auch im Interesse der Wirtschaft endlich ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Ich bin guter Hoffnung, dass dadurch den Überfremdungsängsten in der Bevölkerung wirksam begegnet und der Forderung nach einer Obergrenze der Boden entzogen werden kann.

Schließlich müssen Straftaten von Migranten selbstverständlich ebenso konsequent verfolgt werden wie ausländerfeindliche Straftaten, zu deren Begehung die Hetze der Rechtsextremen wesentlich beiträgt. Solange sich die AfD nicht eindeutig vom Rechtsextremismus abgrenzt, muss sie von den demokratischen Parteien gemeinsam bekämpft werden. Dabei sollte immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass auf dem Parteitag im April 2017 ein Antrag nicht zur Abstimmung gebracht worden ist, wonach für „rassistische, antisemitische, völkische und nationalistische Ideologien kein Platz“ in der AfD sei. Da somit dieser Platz vorhanden ist, fehlt mir auch jedes Verständnis für die Einbeziehung der AfD in die parlamentarischen Gebräuche der demokratischen Parteien und dass nun ein Mitglied der AfD ausgerechnet zum Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages gewählt worden ist, halte ich für skandalös. Sollte die AfD weiterhin Rechtsextreme in ihren Reihen dulden, wären die Parteimitglieder, die sich als Teil des demokratischen Spektrums empfinden, gut beraten, eine eigene rechtskonservative Partei zu gründen, für die jedenfalls außerhalb Bayerns genügend Platz wäre.

Der Autor Erardo C. Rautenberg ist seit 21 Jahren Generalstaatsanwalt in Brandenburg. Bei der Bundestagswahl 2017 trat er für die SPD als Direktkandidat an.

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