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Neue Produktion der "fabirk"-Company: Flüchtige Spuren im Sand

Sabine Chwalisz lotet in dem Tanzstück „Closer to Distance“ die Spielweite von Vertrauen aus. Freiwillige Unterwerfung und kleine Macht, Unterdrückung und Kooperation wechseln sich darin fließend ab.

Sand. Sand. Sand. Zweieinhalb Tonnen liegen auf der Bühne. Eine weite Sandlandschaft ist auch als Hintergrundvideo zu sehen und selbst die Geräusche, die in der neuen Uraufführung der „fabrik“-Company „Closer to Distance“ eingespielt werden, stammen unter anderem von Schritten über beziehungsweise dem Schütteln oder Reiben von Sand. Warum gerade Sand? Choreografin Sabine Chwalisz sagt, dass sie an diesem Material am meisten fasziniert, dass man in ihm Spuren hinterlassen kann, mit dem was man tut. Und: dass diese flüchtig sind.

So sind auch an diesem Probenvormittag unzählige Abdrücke in dem Sandgeviert, das etwa zwei Drittel der großen Bühne der „fabrik“ bedeckt, zu sehen. Und man ahnt, dass die vier Tänzer David Brandstätter, Malgven Gerbes, Sebastian Kurth und Gabriele Reuter auch heute schon viele Wege in ihm zurückgelegt haben. Gerade noch hat jemand mit dem Fuß eine Linie gezogen, die eine Grenze markiert, wenig später umkreisen sich zwei Personen, um kurz darauf lachend rücklings im Sand zu landen. Was in „Closer to Distance“, das am Freitag Premiere hat, wie ein zufälliges Spiel am Strand anmutet, ist jedoch harte Arbeit.

Sechs Probenstunden im Sand zu tanzen erfordere einerseits viel stärkere und längere Muskelbewegungen, um einen Eindruck zu hinterlassen, sagt David Brandstätter, währenddessen man andererseits den Körper jedes Mal neu ausrichten und ausgleichen müsse auf diesem Untergrund, der sich ständig neu ausformt. Das sei ein gutes, aber auch hartes Training, das den Tänzern einiges abverlange. Doch der rieselnde Untergrund eröffne auch technische Möglichkeiten, die man auf normalem Bühnenboden nicht hat. Man muss anders mit dem eigenen Gewicht arbeiten, es ist schwieriger, auf einem Bein zu stehen, wobei fallen jedoch leichter ist, sobald man sich daran gewöhnt habe. Und: Der Sand verlagert die Aufmerksamkeit zu den Händen und Füßen der Tänzer, die bei dieser Arbeit sehr viel präsenter seien als sonst.

Doch nicht nur seine physikalischen Eigenschaften waren der Auslöser für die Entscheidung für dieses Material. Sabine Chwalisz, die neben ihrer künstlerischen Tätigkeit auch zum Vorstand der „fabrik“ gehört, ging es auch um die Zeitdimension – Sand entsteht durch die langwierige Zersetzung von Gestein – und um die Assoziation einer weiten Landschaft. „Ich wollte Wüste haben“, sagt sie, verstanden als einen Ort, wo nichts ist, keine Zivilisation, keine Referenzen. Und nach Erkundigungen bei hiesigen Landschaftsplanern fand die Choreografin nahe Cottbus einen Ort, der alle diese Kriterien erfüllte. Auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz waren Sabine Chwalisz und ihre vier Tänzer dann einen ganz Tag gemeinsam unterwegs und alle berichten fasziniert davon, wie sie auf diesem unendlich weiten Gelände dem Sog der Weite erlagen. Das ging so weit, dass jemand den Rückweg zum Bus nicht von allein wiedergefunden hat.

So konnte das Thema Nähe und Distanz unmittelbar im Raum erfahren werden. Denn während die Tänzer anfangs mittels Improvisationen sehr direkt mit ihren körperlichen Grenzen experimentiert hatten – wie nah kann man jemandem kommen, bevor der die Notbremse zieht – spürten sie jetzt ihre Größe beziehungsweise Kleinheit in dieser scheinbar unendlichen Landschaft. Auf einem Video von Oskar Loeser wird jene besondere Erfahrung auch „Closer to Distance“ – zu Deutsch: Näher an der Entfernung – für das Publikum nachzuvollziehen sein.

Doch die Grundidee von Sabine Chwalisz ist es, in dieser Produktion die Spielweite von Vertrauen auszuloten. Das kann man exemplarisch sehen, wenn die beiden männlichen Tänzer in einer Szene aufeinander herumlaufen. Das klingt ganz einfach, aber es sei ein technisch anspruchsvoller und auch zuweilen schmerzhafter Prozess, der starkes gegenseitiges Vertrauen voraussetze, sagt Gabriele Reuter. Denn es sei eine sehr wackelige und fragile Angelegenheit, dieser Austausch von freiwilliger Unterwerfung und kleiner Macht, der einen fließenden Wechsel von Unterdrückung und Kooperation verlange. „Wir mussten eine Reise machen“, sagt David Brandstätter, und „man kann noch in der Aufführung sehen, wo wir hindurchmussten.“

In einer anderen Szene der insgesamt wie ein Episodenfilm ablaufenden Tanz-Text-Video-Performance werden sich Malgven Gerbes und Sebastian Kurth Fragen stellen zum Thema „Was würdest du machen, wenn ...“. Diese Fragen und Antworten sind jedes Mal neu und es findet eine gegenseitige Entdeckung dabei statt, wie auch im „Duett in Konversation“, das die beiden Tänzerinnen, die einander Bewegungsimpulse geben, zu einer Choreografie, die dabei in Echtzeit entsteht, verführt.

Die Proben zu „Closer to Distance“ begannen im vergangenen Sommer im Sand des Volleyballfeldes auf demGelände der „fabrik“. Jetzt, eine knappe Woche vor der Premiere, sind es zweieinhalb Tonnen gebrannter Bausand auf der großen Bühne der „fabrik“, die das Spielfeld zur Erkundung von Kooperation und Vertrauen bilden. Sabine Chwalisz setzt dabei nicht vordergründig auf konkrete Bilder von Strand oder Wüste, sondern auf das gesamte Feld von Assoziationen, die in jedem einzelnen Zuschauer dabei entstehen können.

Für Sebastian Kurth, der zum ersten Mal in der Potsdamer „fabrik“ tanzen wird, war es in dem zehnwöchigen Probenprozess spannend, die Verschiedenheit der Tänzer, ihre Differenziertheit und Annäherung zu erleben. Malgven Gerbes sagt zum Schluss, dass das poetisch-enigmatische „Closer to Distance“ viele Fragen stelle und konkrete tänzerische Formen für menschliche Beziehungen findet.

Premiere von „Closer to Distance“ am 15. März um 20 Uhr, weitere Vorstellungen am 16. März um 20 Uhr und am 17. März um 16 Uhr sowie am darauf folgenden Wochenende in der „fabrik“ in der Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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