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Die kleinen Drahtzieher aus Potsdam: Fäden aus Gold und Silber

Kinder des ehemaligen Militärwaisenhauses in Potsdam wurden zu Drahtziehern ausgebildet. Zum Tag des offenen Denkmals erinnert eine Ausstellung daran.

Von Sarah Kugler

Beim Betrachten einer Militäruniform aus dem 18. Jahrhundert fallen sofort die reich verzierten Schulterstücken, die sogenannten Epauletten auf, die durch ihre große Goldbordüre besonders prächtig wirken. Dass die wie Fransen aussehenden Zierelemente allerdings nicht aus Stoffäden, sondern aus vergoldeten Drähten bestehen, ist nicht sofort ersichtlich. Erst beim näheren Hinsehen sind die spiralförmigen Drähte erkennbar, die im Licht auch nach mehreren hundert Jahren noch immer golden schimmern.

Hergestellt wurden solche Metallfäden zu Preußenzeiten unter anderem von Kindern, die im Potsdamer Militärwaisenhaus untergebracht waren. Das Haus hatte von 1763 bis 1809 einen Vertrag mit der Berliner Gold- und Silbermanufaktur, die in Potsdam Kinder zu sogenannten Drahtziehern ausbildete. Zum Tag des offenen Denkmals am 13. September eröffnet die Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam zu diesem Thema die Ausstellung „Handwerk hat (nicht immer) goldenen Boden. Die Gold- und Silberdrahtzieher am Großen Waisenhaus zu Potsdam“, die zu dem Handwerk informiert und einige Schaustücke aus der Zeit präsentiert.

„Das Drahtziehen ist eine sehr alte Kunst, die schon in der Antike ausgeführt wurde“, erklärt René Schreiter, Historiker der Waisenhaus-Stiftung. „Im deutschen Raum existiert sie etwa seit 800 bis 900 Jahren.“ Der Name ist dabei wörtlich zu nehmen: Die Handwerker zogen einen Metalldraht immer wieder durch verschieden große Öffnungen, bis er die gewünschte Dicke erreicht hatte. Als Größenvorgaben dienten dazu die Zieheisen, eiserne Platten, die mit Löchern in unterschiedlichen Durchmessern versehen waren. Einige dieser Zieheisen sind auch in der Ausstellung im Waisenhaus zu sehen. „Damit konnten nicht nur runde, sonden auch eckige Drähte gezogen werden“, erklärt Schreiter. „Und natürlich wurden verschiedene Metalle verwendet, in Potsdam sind allerdings nur Gold und Silber verarbeitet worden.“ Das Waisenhaus bekam dazu Metallstangen geliefert, die etwa 30 Zentimeter lang, vier Zentimeter dick und 300 bis 400 Reichstaler wert waren. Da pures Gold zu weich für eine Verarbeitung war, handelte es sich dabei um Silberstangen, die vergoldet wurden. Wie Schreiter sagt, wurde die Vergoldung durch das Drahtziehen nicht zerstört. „Das Metall wurde ganz regelmäßig gezogen und die Arbeit war so präzise, dass die Goldschicht einfach mitgezogen wurde.“ In Potsdam wurden die Drähte allerdings nur bis auf die Dicke eines Pfeifenstiehls gezogen, die Feinarbeit wurde in Berlin übernommen. „Tatsächlich wurde von den entsprechenden Handwerkern ganz viel in Heimarbeit erledigt“, erklärt Schreiter. „Hier in Potsdam wurden quasi nur die Grundsteine gelegt.“

30 Jungen sind jedes Jahr zum Drahtzieher ausgebildet worden, in den ersten 30 Jahren haben es dabei gerade mal zehn von ihnen zum Gesellen geschafft. „Natürlich wurden die Kinder als billige Arbeitskräfte benutzt, aber es diente schon auch ihrer späteren Berufsausbildung“, so der Waisenhaus-Historiker. „Da sind diese Zahlen natürlich eher bitter.“

Er betont auch aber auch, dass die Quellenlage zu diesem historischen Komplex schwierig ist. So ist nicht ganz klar, ob manche Azubis es auch zum Meister geschafft haben. Laut Schreiter war die Ausbildung schwierig, weil es keine eigene Zunft für Drahtzieher gab. „Somit schwebte um 1800 immer der Konflikt im Raum, ob sie sich überhaupt Meister nennen dürfen.“ Dabei war die Ausbildung kein Spaziergang: Sieben Jahre dauerte sie eigentlich. Da die Kinder bis zu ihrer Konfirmation allerdings auch noch die Schule besuchten, verlängerte sie sich auf insgesamt neun Jahre. In den Lehrstätten des Waisenhauses, die sich unter anderem in den Räumen des heutigen Naturkundemuseums befanden, wurden die Drähte mit Hilfe von Handkurbeln gezogen. Es gab aber auch noch das Windenziehen, bei dem mehrere Arbeiter den Draht mit einem großen Rad in Form zogen. In der Ausstellung gibt es neben den Werkzeugen auch Schulterstücke aus dem Jahr 1815 sowie einige Grafiken in einer Schauvitrine zu sehen. Die Objekte sind alle Leihgaben von Ralf Maehmel, ein Nachfahre der ersten Potsdamer Drahtzieher. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Drahtinstallation und verschiedene Informationstafeln.

René Schreitel führt zum Tag des offenen Denkmals am 13. September um 11, 13 und 15 Uhr durch die Ausstellung und über das Gelände des ehemaligen Militärwaisenhauses in der Lindenstraße 34a

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