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Kultur: Extreme in Balance

Am Sonntag gingen die 25. Potsdamer Tanztage mit fulminanten Balance-Artisten zu Ende

Allein wegen dieser drei haben sich die Tanztage gelohnt. Was die französischen Balance-Artisten des „Cirque Inextremite“ auf ihre Gasflaschen und die darauf schwankenden Bretter stellten, war in Potsdam so noch nie zu sehen. Nicht nur die halsbrecherischen Kunststücke unter Einbeziehung des Publikums, sondern ihr raubeinig-ironischer Umgang mit dem Thema Inklusion suchen ihresgleichen. Klasse, dass der Mann im Rollstuhl seine Stärken genauso wie seine Gemeinheit zeigen konnte.

Zwischen diesem atemberaubend-heiteren Abschluss am vergangenen Sonntag und der feierlichen Eröffnung vor knapp zwei Wochen im Nikolaisaal lagen Welten. Nicht nur thematisch, sondern vor allem stilistisch. Und so mancher Besucher staunte, was sich alles unter Modernem Tanz subsummieren lässt. Da gab es die mit Standing Ovations bedachte Eröffnung mit „Killer Pig“, die mit kongenialer Verschmelzung von Techno und der expressiven Bewegungssprache von Sharon Eyal in ihren Bann zog. Oder die Tänzer des Kanadiers Daniel Léveillé, die mit ihren Körpern schnörkel- und emotionslos die Einsamkeit im Duett zelebrierten. Nicht zu vergessen die Tänzer, die Jan Martens ununterbrochen springen ließ.

Und es gab die beiden Solo-Abende mit dem israelischen Tänzer und Choreografen Arkadi Zaides. Die diejenigen, die sie erleben durften, nicht so schnell vergessen werden. Wegen der beklemmenden Intensität, mit der sich Zaides dem Selbstversuch unterwarf, alltägliche Gesten der Gewalt in seinem Land mit dem eigenen Körper zu reproduzieren. Dieser Abend ging an Schmerzgrenzen, weil er schonungslos das, was man schon lange weiß, körperlich und akustisch so nah heranholte. Ein mutiger Auftritt mit einer klaren politischen Aussage. Wie auch Volmir Cordeiros Auseinandersetzung mit dem Maßlosen und Bizarren abseits der Norm.

Neben Intensität und thematischen Extremen zeichnete sich der 25. – der Jubiläumsjahrgang der Tanztage durch Kontraste aus. Auf der einen Seite wurde – körperlich in Rein- und Hochform – getanzt, auf der anderen gab es Aufführungen, in denen, wie beim Belgier Benjamin Verdonck, einfache Holzdreiecke das Tanzen übernahmen. Oder die Performer der Schwedin Gunilla Heilborn, die mehr sprechend als tanzend über den Kalten Krieg und gegenwärtige Utopien nachdachten. Oder Pieter Ampe und Benjamin Verdonck, die ihr WG-Leben zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ auf die Weihnachtsbaumspitze und ins Chaos trieben – bis real die Feuerwehr mit drei Löschzügen kam. Was nicht inszeniert, sondern einem nicht abgestellten Rauchmelder zu verdanken war.

Die Potsdamer Tanztage sind zum Glück kein konzeptionelles Festival. Das Programm folgt den Vorlieben und Entdeckungen der Macher, ihren über Jahre gewachsenen und gepflegten internationalen Kontakten. Klar, dass man in regelmäßigen Abständen alte Bekannte, wie diesmal Daniel Léveillé, Arkadi Zaides oder Gunilla Heilborn wiedersehen, ihre Entwicklungen verfolgen kann. Es ist zudem beseelt vom Wunsch der Organisatoren, eigene Erfahrungen mit anderen zu teilen und über das Medium Tanz über die gegenwärtige Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Es war horizonterweiternd, sich mit Benjamin Verdonck oder Arkadi Zaides über das Gesehene auszutauschen. Auch die Tänzer waren begeistert, das Publikum erwies sich als offen und kritisch.

Neu in diesem Jahr: Zum ersten Mal wurden Intensivworkshops und Meisterklassen für Menschen mit umfassenden Tanzerfahrungen mit international gefragten Lehrern angeboten. Die Teilnehmerzahlen haben sich dadurch um 30 Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr auf insgesamt 1300 Teilnehmer erhöht. Denn die Potsdamer Tanztage sind vor allem ein Publikumsfestival.

Das liegt auch daran, dass die Macher nahbar sind. Und man ihre Begeisterung für das, was sie tun, immer spüren kann. Sieben Frauen und zwei Männer standen am Abschlusstag als Organisationsteam auf der Bühne. All die, die im Dunkeln arbeiten, sah man zwar leider nicht. Die da jedoch standen, waren glücklich und erschöpft zugleich. Und Sven Till schon wieder kämpferisch. Er forderte das Publikum auf, sich einzumischen in die Leitbilddebatte Potsdams. Apropos Stadt: Warum sah man während der Tanztage nur einmal Vertreter der Stadtverwaltung im Publikum sitzen? Festivalleiter Till plädierte zum Abschluss für eine starke freie Kultur und forderte die Zuschauer dazu auf, sich per Votum dafür einzusetzen. Damit nicht nur die Tanztage, mit in diesem Jahr insgesamt 4600 Besuchern, auch in den nächsten Jahren wieder zum Ziel für sie und andere werden können.

Astrid Priebs-Tröger

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