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Von Sabine Schicketanz: Emmerichs Rückkehr

Spektakuläre Kulissen, große Frage: Der „Katastrophen-Meister“ dreht in Babelsberg „Anonymous“

Babelsberg - Für Mücken ist es ein Paradies. Knöcheltiefer Schlamm und Frühlingswärme, die in der dunklen, engen Straße hängen bleibt. Die hungrigen Biester, ihr Summen in der Luft, passen zur frühneuzeitlichen Kulisse: 16. Jahrhundert, London. Auf 35 Meter Länge erstreckt sich der Straßenzug neben den Hallen des ehemaligen Babelsberger Orenstein & Koppel-Werks. Zwölf Fachwerkfassaden, den längst zerstörten Londoner Originalen in Perfektion nachempfunden. Dazwischen unbefestigter Boden, Schlamm. Vor allem aber das Theater, das legendäre „The Rose“, erbaut 1587 an der Londoner Bankside: Das Fachwerk-Rund, knapp 14 Meter hoch, drei hölzerne Emporen mit strohgedeckten Dächern, die Mitte geöffnet gen Himmel, steht jetzt an der Wetzlarer Straße.

Für Roland Emmerich ist es der Ort der Rückkehr. Fast zwanzig Jahre hat der gebürtige Stuttgarter nicht mehr in Deutschland gedreht. Seit sechs Wochen arbeitet er nun schon in Babelsberg an seinem neuen Film „Anonymous“, gerade feierte seine Crew Bergfest. Wie immer bei Emmerich, dem Macher von „Independence Day“ und „The Day after Tomorrow“, dem „Katastrophen-Meister“, geht es auch in „Anonymous“ um ein „big issue“, eine große Frage: War es wirklich William Shakespeare, der 36 Dramen, 154 Sonette und zwei Epen verfasst hat?

Emmerichs Antwort: Nein. Um sie zu untermauern, hat der Regisseur eine Riege angesehener britischer Schauspieler engagiert: Vanessa Redgrave und ihre Tochter Joely Richardson spielen die alte und junge Queen Elizabeth I., Rafe Spall ist Shakespeare, Rhys Ifans, Hugh Grants Mitbewohner in „Notting Hill“, gibt Edward de Vere, den Earl of Oxford, nach Ansicht der Oxfordianer und des Regisseurs der wahre Autor des Shakespeare-Werks. Darauf, dass kein „Hollywood-Gesicht“ dabei ist, sei er stolz, sagt Emmerich: „Ich mache exakt den Film, den ich machen will.“ 30 Millionen US-Dollar kostet er, ein Bruchteil der 200 Millionen US-Dollar, die sein jüngster Streifen „2012“ verschlungen haben soll. „Es ist nicht viel Geld“, sagt der 54-jährige Regisseur: „Ich nutze alles, jeden Trick, den ich in den letzten zwanzig Jahren gelernt habe.“

Dass Emmerich „Anonymous“ in Babelsberg dreht, hat mit Geld zu tun – 4,4 Millionen Euro bekommt er aus dem Deutschen Filmförderfonds, dazu 900 000 Euro regionale Förderung vom Medienboard Berlin-Brandenburg – aber vor allem mit einer „gewissen Zuneigung“ zu dem Standort, der als Wiege des deutschen Films gilt. Vor Jahren habe er Hollywood-Produzent Joel Silver durch die legendäre Marlene-Dietrich-Halle geführt. „Roland, sagte der damals, der Boden ist voller Schlamm – drehte sich um und ging“, erinnert sich Emmerich. Für ihn aber sei klar gewesen: „Eines Tages möchte ich in Babelsberg drehen – jetzt mache ich es und habe fürchterlich Spaß dabei.“ Das gilt im Übrigen auch für Joel Silver. Er ließ im Studio bereits fünf Hollywood-Streifen produzieren.

Bei „Anonymous“ ist Studio Babelsberg Koproduzent, die Crew von der Kamerafrau bis zu den Experten für die visuellen Effekte komplett deutsch. „Sie arbeiten fantastisch“, lobt Emmerich. Keine Szene des Films wird in England aufgenommen, alle Einstellungen entstehen in den 70 verschiedenen Sets in Babelsberg oder am Computer. Dort lassen Volker Engel, der 1997 für die Visual Effects in „Independence Day“ den Oscar bekam, und Marc Weigert mit ihrem 30-köpfigen Team das London des 16. Jahrhunderts samt monumentaler London Bridge auferstehen. Eingesetzt werde auch eine Technik, die so noch nicht angewandt worden sei: Normale Fotos erscheinen dreidimensional, so dass der Zuschauer denkt, die Schauspieler bewegten sich in Räumen.

Alle realen Sets stammen aus der Feder von Sebastian Krawinkel. Erstmals in seiner Karriere fungiert der 40-Jährige, der seit zehn Jahren als Freiberufler in Babelsberg arbeitet, bei einem Hollywood-Film als „Production Designer“. Eine Woche hatte er in Vorbereitung mit Emmerich in London verbracht. Danach war die Entscheidung gefallen, sagt Krawinkel: Gedreht wird nicht an Originalschauplätzen. Für die Kulissen setzen 40 Leute Krawinkels gestalterische Ideen um, Zeichner, Architekten, Ausstatter, Requisiteure und „Supervising Art Director“ Stephan Gessler.

Unter „Construction Manager“ Dierk Grahlow bauen in Spitzenzeiten 100 Handwerker die Kulissen. Das „The Rose“, sagt Grahlow, sei eine ähnliche Herausforderung gewesen wie das Innere des New Yorker Guggenheim-Museums, das er für Tom Tykwers „The International“ im Babelsberger Lokschuppen-Denkmal errichtet hatte: Der Nachbau des Theaters ist ein freitragendes Rund im Originalmaßstab von 21 Metern Durchmesser mit Platz für 1000 Menschen. Spektakulär, faszinierend, magisch. Der Ort für Emmerichs Rückkehr.

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