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Landeshauptstadt: Einen Teigling in jeder Hand

Nur noch vier Bäcker in Potsdam arbeiten nach altem Handwerk. Ein Blick hinter die Kulissen von Schröter, Schmidtke und Fahland

Kikeriki! Kikeriki!“ Ein Hahnenschrei in der Bäckerei? Die Uhrzeit stimmt zwar – es ist sechs Uhr früh – aber was da in der Backstube des Babelsberger Traditionsbäckers Schmidtke kräht, ist natürlich kein Federvieh, sondern der mehrstufige Backofen, dem dieser spezielle Alarm-Ton verpasst wurde. „Komme ja schon“, ruft Altgesell Ricardo Leitzmann und eilt zum Ofen: Warmer Teigduft erfüllt die Backstube, als er die Brötchen aus der Hitze zieht. Sie sind nur halb gebacken, werden nun bei zwei Grad kühl gestellt und erst später vorne im Ladenbackofen fertiggebacken, damit es auch am Nachmittag frische Brötchen gibt.

Alles, was vorne in der Auslage liegt, wird hinten in der Backstube größtenteils in Handarbeit hergestellt – Aufgaben wie das anstrengende Teigkneten werden von Maschinen erledigt. Nur vier Bäcker in Potsdam arbeiten heute noch so – Schröter, Braune, Fahland und Schmidtke. Demgegenüber stehen über 80 Bäcker – bzw. „Backwarenverkaufstellen“ in Potsdam – denn ob das, was viele Filialen großer Ketten machen, noch Backen sei, „da scheiden sich die Geister“, meint Bäckermeister Christian Schmidtke: „In den Backshops wird meist Frostware verwendet, die nach der Hälfte des Backens schockgefrostet und in der Filiale zu Ende gebacken wird.“

Senior Rolf-Michael Schmidtke hat für die Backshops wenig übrig: „Jeder Bäcker hat seine eigenen Feinheiten und bäckt ein wenig anders“, so der Obermeister der Potsdamer Bäcker- und Konditoreninnung, „aber in den Filialen großer Ketten schmeckt überall alles gleich, wie bei McDonalds. Die Kunden wollen doch eine Auswahl haben!“ Er beobachte aber seit etwa fünf Jahren den Trend, dass viele Bäcker immer mehr von Fertigwaren und Backmischungen abrücken. „Man kommt wieder mehr zum Handwerk zurück.“

Bei den Kollegen der Bäckerei Schröter in der Charlottenstraße hält dieser Trend bereits seit 60 Jahren an: „Viele Rezepte sind noch von meinem Großvater“, sagt Andreas Schröter, der die seit 1953 in Potsdam ansässige Bäckerei in dritter Generation leitet. Anders als viele Backshops hat Schröter bewusst keinen Backofen vorne im Laden: „Sonst denken die Leute, hinten ist gar keine Backstube mehr.“ In die gelangt man über den Innenhof. Hier zeigt Schröter auf einen langen Tisch, wo die Brote rundgewirkt, also per Hand geformt werden: „Das macht man mit zwei Händen gleichzeitig, einen Teigling in jeder Hand.“ Die werden dann zum Kollegen weitergereicht, „lang gemacht“, in kleine Holzformen gelegt und in den warmen und feuchten Gär-Raum geschoben, damit die Hefe arbeiten kann.

„Viele Leute aus Großbäckereien können nicht mal mehr mit einem Rollholz umgehen und Brote rundwirken“, wundert sich der Bäckermeister. Lehrlinge würden etwa ein halbes Jahr benötigen, um einem Teigling die richtige Form und Spannung zu verleihen, so Schröter. Doch damit ist es nicht getan: „Augenmaß und Handgewicht ist des Bäckers erste Pflicht“, rezitiert Schröter und grinst. „Irgendwann muss man ohne Waage arbeiten und die nötige Teigmenge nach Gefühl abwiegen können, sonst dauert es zu lange. Man muss ein Gefühl für den Teig entwickeln, denn wenn man ihn zu lange rundwirkt, geht irgendwann die Klebestruktur raus.“

Etwa 4000 bis 5000 Brötchen und rund 250 Brote werden so täglich – oder besser gesagt: nächtlich – in der verwinkelten Backstube gefertigt: „Abends um halb neun beginnt die Vorbereitung: Wir fangen mit dem Dauergebäck an, wiegen die Teigzutaten ein und heizen die Öfen vor. Gebacken wird von zehn Uhr abends bis sechs Uhr. Um neun Uhr morgens gehe ich dann ins Bett“, erklärt Schröter. Während der Kernarbeitszeit geht es heiß her in der Backstube: Die Öfen laufen ständig und Temperaturen über 40 Grad bringen die Mitarbeiter ordentlich ins Schwitzen.

Nicht ganz so heiß ist es in der Backstube des Potsdamer Bio-Bäckers Fahland, denn bei der Stube handelt es sich um eine 600 Quadratmeter große Halle im Gewerbegebiet Babelsberg, in der früher Metall geschweißt wurde. Für eine Million Euro wurde das Gebäude umgebaut, das dreimal so viel Platz bietet wie die alte Backstube in Wilhelmshorst, wo bis vor vier Monaten noch produziert wurde. Doch auch, wenn der hohe Raum mit den vier mächtigen Backöfen, von denen glänzende Rohre in die Höhe steigen, beinahe an eine Fabrik erinnert, wird hier nichts anders gemacht als bei den anderen Handwerksbäckern – nur alles etwas größer.

„Das hier sind unsere französischen Landbrote“, sagt Geschäftsführer Frank Fahland und zieht ein Blech aus einem Rollwagen hervor. „Da machen wir nachher noch einen Schnitt rein, dann kann man sie später schön aufklappen.“ Auch wenn die Produktionsmengen enorm sind – 5000 bis 6000 Brötchen und 600 bis 800 Brote stellen die 20 Mitarbeiter der Backstube pro Tag her – wird alles von Hand gemacht: „Natürlich könnte man Maschinen kaufen, die das alles formen“, sagt Fahland, „aber es ist einfach ein anderes Produkt, wenn die Energie des Menschen da reingeht.“

Gegenüber den Öfen stehen große Kühlkammern, die nach dem schweizerischen Patt-Verfahren arbeiten: „Die Brötchen werden hier über Nacht geführt und abwechselnd zwischen null und zehn Grad gekühlt und wieder erwärmt“, erklärt Fahland. Durch die Kühlung können die Brötchen zum einen länger geplant und nach Bedarf abgebacken werden, zum anderen gewinnen sie in den Warmphasen weitere Geschmacksenzyme und mehr Stabilität. „Das machen wir ohne jede Chemie“, sagt Fahland, dessen Bäckerei seit 2008 komplett mit Bio-Zutaten produziert.

Für Fahland rechnet sich das: Das Unternehmen beschäftigt insgesamt 100 Mitarbeiter und hat allein in Potsdam sieben Filialen. Die auf Stammkunden angewiesenen Traditionsbäcker haben es da schwerer: „Sicher nehmen uns die Ketten viele Kunden weg“, sagt Schröter, der drei Viertel seines Umsatzes nicht mit Ladenverkäufen, sondern mit Lieferungen macht, „aber ich hoffe, das sich das Handwerk auf Dauer durchsetzt.“

Dabei seien die Ketten nicht immer billiger, findet Rolf-Michael Schmidtke: „Früher war der Handwerksbäcker immer einen Groschen teurer, aber seit den letzten Preiserhöhungen kann man das nicht mehr sagen.“ Frank Fahland sieht das ähnlich: „Bei den Ketten sind vielleicht einzelne Produkte billiger, aber die müssen an anderer Stelle ihre enormen Logistik-Kosten wieder reinkriegen.“

Zumindest die Nachwuchssorgen, die viele Traditionsbäcker haben, scheinen für die Potsdamer noch kein Thema zu sein: „Man merkt, dass weniger Bewerbungen kommen“, sagt Andreas Schröter, „aber genügend Lehrlinge haben wir immer.“ Auch für seine Nachfolge hat der Bäckermeister schon jemanden im Blick: „Ich bin ja vor drei Jahren Papa geworden – das wird vielleicht die vierte Bäckergeneration bei uns.“

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