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Volksaufstand in der DDR 1953: Ein „ernst zu nehmender Gegner“ der Stasi

In der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße stellte Iris Bork-Goldfield am Mittwoch ihr Buch „Wir wollten was tun!“ über ihren Vater Werner Bork und seine Widerstandsgruppe in Werder in der Zeit von 1949 bis 1953 vor

Werder (Havel)/Potsdam - Erst Jahre nach dem Mauerfall hat Werner Bork erfahren, dass sieben seiner Freunde und Bekannten in den 1950er-Jahren in Moskau erschossen worden waren. Bork hatte nach dem Krieg in Werder eine Widerstandsgruppe gegen das SED-Regime mitgegründet. Man kämpfte mit Flugblättern und Spionageaktionen für Meinungsfreiheit und freie Wahlen. Einige der Erschossenen hatten sich an den Aktionen beteiligt – manche dagegen hatten nichts damit zu tun, von den Flugblättern nur gehört oder eine Handvoll Briefe geschmuggelt.

Nun legt seine Tochter, Iris Bork-Goldfield, das Buch „Wir wollten was tun!“ über die Jugendlichen aus Werder vor. Gemeinsam mit ihrem Vater stellt sie es am heutigen Mittwochabend in der Gedenkstätte Lindenstraße vor.

Die promovierte Universitätsdozentin, die in den USA Deutsch unterrichtet, hat erst einen Dokumentarfilm über die Geschichte ihres Vaters und seine Widerstandsgruppe zwischen 1949 und 1953 gedreht und nun das Buch geschrieben. „Ich habe in den USA mit Erschrecken festgestellt, wie uninformiert die 17- bis 24-Jährigen sind, wenn es um Politik geht“, erzählt sie. „Die jungen Leute in Werder haben für Demokratie gekämpft. Heute machen viele davon keinen Gebrauch.“ Eine wichtige Rolle spielte natürlich, ihren Vater als „historische Quelle“ vor sich zu haben.

Zweimal im Jahr besucht die 57-Jährige ihre Eltern. Ihr Vater erzähle dann viel von damals. „Ich war irgendwie stolz auf ihn und fand das toll, dass sich jemand schon in der Schulzeit einsetzt und nicht klein beigibt.“ Ausschlaggebend aber war, dass ihr ein unfertiges Manuskript in die Hände fiel: Benno Kroll, der Jugendfreund ihres Vaters, veröffentlichte Mitte der 90er-Jahre im „Stern“ einen Zweiteiler über den Werderaner Widerstand, aus dem mehr werden sollte. Er hatte diejenigen befragt, die damals Haft und Folter überlebten – und recherchierte in den Stasi-Akten. Noch bevor er sein geplantes Buch beenden konnte, verstarb er.

Der Band von Iris Bork-Goldfield baut auf dem Manuskript von Kroll auf, bezieht weitere Zeitzeugen und Stasi-Akten mit ein. Fotos und Dokumente veranschaulichen, warum Jugendliche gegen die Bevormundung und Repression seitens der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht aufbegehrten – einige von ihnen im Bewusstsein, sich damit einer großen Gefahr auszusetzen, andere im Glauben, ihnen werde nichts Schlimmes zustoßen. Manche, weil sie wie Bork politisch dachten, andere, weil sie durch Freundschaften zu dem Kreis stießen.

„Die Gefahr habe ich gesehen und bewusst in Kauf genommen“, erzählt Bork. Allerdings zog er bereits 1950 wegen drohender Verhaftung nach Westberlin, studierte Politik – und machte von dort aus weiter. Bork knüpfte Kontakt zur antikommunistischen „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, die die Werderaner Widerständler mit Flugblättern und Flugblatt-Raketen versorgte. Gemeinsam mit seinem Freund Herbert Herrmann brachte er sie nach Werder und zündete die Raketen, aus denen es Propagandamaterial regnete, bei offiziellen Anlässen in der Region. Häufig übernahmen Mitglieder der Gruppe, die noch in Werder lebten, den Kurierdienst. Angst habe er damals nicht gehabt, sagt Werner Bork heute, „aber ich war immer vorsichtig, zum Beispiel beim S-Bahn-Fahren“.

Dass die Stasi der Gruppe auf die Schliche kam und sie mit Spitzeln durchsetzte, ließ sich für Werner Bork erst viel später nachvollziehen. „Erst durch die Stasi-Akten konnte ich belegen, in welcher Gefahr ich damals schwebte“, erzählt der heute 83-Jährige. Bork, neben Herbert Herrmann der Kopf der Widerstandsgruppe, sollte „als ernst zu nehmender Gegner“ von der DDR-Staatssicherheit entführt werden. Begnügte sich die Widerstandsgruppe doch längst nicht mehr damit, systemfeindliches Material nach Werder und Umgebung zu schmuggeln.

Herrmann und Bork besorgten für den amerikanischen Nachrichtendienst MID, aber auch für die Organisation Gehlen, den Vorläufer des BND, über selbst angeworbene Informanten in der DDR brisantes Material wie Lagepläne von Militäranlagen, Ministerrats-Protokolle oder Zahlen über Reparationsleistungen an die Russen. „Wir handelten im guten Glauben, das Richtige zu tun“, heißt es im Buch: „Denn wir hofften, dass ein wirtschaftlich geschwächtes Ostdeutschland sich dem demokratischen Westdeutschland anschließen und sich von der totalitären sowjetischen Besatzungsmacht abwenden würde.“

Heute bezeichnet Werner Bork es als Fehler, mit den Geheimdiensten zusammengearbeitet zu haben: „Wir wurden benutzt. Aber wir haben auch sie benutzt, um die Flugblätter zu finanzieren.“ Seine Tochter Iris Bork-Goldfield widerspricht: „Damals wusste man kaum etwas über die Organisation Gehlen. Es wäre falsch, die Geschichte aus heutiger Sicht zu beurteilen.“

Im Mai 1953 wollte die Stasi Werner Bork in Westberlin entführen. Nur weil der damals 21-Jährige Zigaretten für in der Kneipe wartende Freunde holte, überraschte er die zu Hause auf ihn wartenden Entführer. Sie hatten Borks Waffe an sich genommen und trugen Watte, Äther und Schlafmittel bei sich. Bork holte die Polizei, musste dann aber auch für den unerlaubten Waffenbesitz geradestehen.

Heute würde er wieder so handeln, ist Bork überzeugt: „Wenn man sich nicht gegen Autoritäten auflehnt, kann man nichts ändern.“ Vielleicht sei es naiv gewesen, als 17-Jähriger die DDR verändern zu wollen. Auch nachdem er Berlin 1953 als gefährliches Pflaster verließ, eine Unternehmensberatungsfirma gründete und eine Zeitlang im Ausland lebte, blieb er politisch engagiert – etwa im SPD-Wahlkampf für Willy Brandt. Vor einigen Jahren, als die NPD in Hamburg einen Infostand aufbaute, warf Bork diesen um. „Da bin ich sehr impulsiv.“

Mittlerweile erinnert ein Ehrengrab auf dem Friedhof in Werder an die sieben in Moskau Erschossenen. Werner Bork und sein Mitstreiter Sigurd Blümcke haben es bezahlt: „gegen den Willen der Parteien“.

Isabel Fannrich-Lautenschläger

Buchvorstellung Iris Bork-Goldfield: „Wir wollten was tun!“, Gedenkstätte Lindenstraße 54/55, Mittwoch, 19 Uhr

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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