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Ruanda 20 Jahre danach: „Drei Monate Apokalypse“

Vor 20 Jahren erlebte Ruanda einen Gewaltexzess, der etwa 800 000 Menschen das Leben kostete. Gerd Hankel, der am heutigen Mittwoch in Potsdam spricht, über Ruanda nach dem Genozid

Herr Hankel, auch 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda stellt man sich Angesichts der unvorstellbaren Gewaltexzesse immer wieder die Frage, wie es dazu kommen konnte?

Dieser Völkermord stand im ganz engen Kontext zu dem Bürgerkrieg, der schon drei Jahre zuvor das Land fest im Griff hatte. Es gab also eine Vorgeschichte und der Völkermord ist der Extrempunkt einer damit verbundenen Gewaltentwicklung. Nun lässt sich darüber streiten, ob diese extreme Gewalt absehbar war oder ob sie sich erst durch den Abschuss des Flugzeugs des Präsidenten Habyarimana am 6. April 1994 innerhalb kürzester Zeit entwickeln konnte. Da gehen auch die Meinungen in der Wissenschaft auseinander. Aber unabhängig von dieser Diskussion: Der Völkermord ist von dem Bürgerkrieg nicht zu trennen. Denn nur durch eine jahrelange Propaganda, eine Radikalisierung der Gesellschaft und durch die zahlreichen Flüchtlingslager, in denen mehr als ein Zehntel der Bevölkerung über ein bis zwei Jahre hinweg vegetieren musste, lässt sich der Boden bereiten für einen solchen Ausbruch, wenn man diesen Leuten dann sagt, an denen dort könnt ihr euch rächen. In Europa und Amerika war man einfach nur überrascht von dieser abrupten Entfesselung einer solchen Gewalt.

Auch heute hören wir regelmäßig von Konflikten in Afrika. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen und Massakern zwischen ethnischen, aber auch religiösen Gruppen. Besteht die Gefahr, dass es noch einmal zu solchen Exzessen wie in Ruanda kommen kann?

In der Zentralafrikanischen Republik hätte es durchaus zu solchen Exzessen kommen können. Auch in Kenia nach den Wahlen 2008. Aber ein wirkliches Vermächtnis dieses Völkermordes in Ruanda besteht darin, dass wir heute genauer hinschauen und auch schneller reagieren. Das sage ich zwar mit aller Vorsicht, aber in der Zentralafrikanischen Republik ist es deshalb nicht so weit gekommen, weil dort sehr schnell französische Soldaten, jetzt auch unterstützt durch deutsche Kräfte, interveniert haben. Dieses frühe Eingreifen ist ein kleines Hoffnungszeichen.

Am heutigen Mittwoch sprechen Sie im Lepsiushaus über Ruanda 20 Jahre nach dem Genozid. Was ist Ruanda heute für ein Land?

Ruanda ist heute ein Land, in dem man in Frieden lebt. Es gibt keinen Krieg, keine gewaltträchtigen Spannungen, ganz im Unterschied zum benachbarten Burundi und vor allem zum Osten des Kongos. Auch die Wirtschaft entwickelt sich positiv und es gibt große Bemühungen, Krankheiten wie Malaria, Cholera und Aids zu bekämpfen. Mittlerweile gibt es in Ruanda sogar eine Kranken- und Rentenversicherung. Das ist schon sehr viel für ein afrikanisches Land dieser Größe. Aber das alles wird bezahlt mit einer immensen Unfreiheit der Bevölkerung. Denn Ruanda ist ein Land, das unter der eisernen Faust von Präsident Paul Kagame lebt, der mit seiner Armee den Völkermord beendet hat. Und Ruanda und seine Bevölkerung sollen sich gefälligst so entwickeln, wie es die herrschende Partei von Paul Kagame, die Ruandische Patriotische Front, sich vorstellt.

Gerd Hankel, geb. 1957, Jurist, Sprachwissenschaftler und Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, untersucht seit 2002 den Genozid in Ruanda.

Zugespitzt gefragt: Vielleicht aber braucht gerade ein Land wie Ruanda, wo solche Gräueltaten möglich waren, derzeit eine solche rigide Regierung?

Das ist auch die offizielle Argumentation in Ruanda, also das bestimmte Grundfreiheiten wie beispielsweise die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden müssen. Denn es war ja die Meinungsfreiheit, die damals den Völkermord erst möglich gemacht habe, unter anderem über das berühmte „Hass-Radio“. Aber dieser Völkermord kennt nicht nur Schwarz und Weiß, nicht nur Gut und Böse. Die Tutsi-Milizen der Ruandischen Patriotischen Front unter Paul Kagame haben das Morden beendet. Doch dabei ist es auch zu Überschreitungen gekommen, sind die Befreier zu Tätern geworden. Doch diese Täterschaft ist in Ruanda ein absolutes Tabu. Und das kann, wenn es dem Land ökonomisch wieder schlechter geht, alte Hassgefühle reaktivieren. Darin sehe ich ein großes Problem.

Um diesen Hassgefühlen zu begegnen, gab es ja das landesweite Versöhnungsprogramm. Aber ist nach diesen massenhaften Morden Versöhnung überhaupt möglich?

In Teilen funktioniert dieses Projekt tatsächlich. Aber Versöhnung ist ein wirklich großes Wort. Ich würde sagen, es gibt ein friedliches Zusammenleben. Und aus diesem friedlichen Zusammenleben kann Versöhnung auf den lokalen Ebenen entstehen, wo das nicht als staatliche Verordnung angesehen wird. Wenn dort den Überlebenden die Orte gezeigt werden, an denen ihre Angehörigen umgebracht, wo deren sterbliche Überreste verscharrt wurden und sie so die Möglichkeit haben, zu trauern. Wo das möglich war, wurde auch ein Fundament für eine mögliche Versöhnung geschaffen.

Gilt dieses Versöhnungsprogramm sowohl für die Tutsi als auch für die Hutu?

Wo die Hutu selbst zu Opfern wurden bei der Rückeroberung des Landes durch die Ruandische Patriotische Front, ist das nicht möglich. Denn sie gelten ja bis heute pauschal als die Täter, was so nicht stimmt. Und dann kommt noch hinzu, dass die Täterschaft der Befreier als absolutes Tabu gilt. Wo das nicht aufgearbeitet wird, gibt es zwar ein friedliches Zusammenleben, aber das nur an der Oberfläche. Und auch wenn die Regierung sagt, es gibt keine Tutsi oder Hutu mehr, wir sind alle Ruander, weiß jeder, wer zu welcher Ethnie gehört.

Also bleibt das oft nur ein staatlich verordnetes Wunschdenken?

Ja, und dort, wo keine wirkliche Aufklärung und Aufarbeitung stattfindet, wo nicht wirklich die Trauer verarbeitet werden kann, bleibt die Oberfläche, unter der die alten Spannungen weiterhin zu spüren sind, nur sehr dünn.

Wie viele der Täter sitzen heute noch in Haft?

Etwa 40 000, also nicht mehr so viele, wenn man bedenkt, dass es eine Million Verfahren gab, davon fast 70 Prozent wegen Plünderungen und Diebstahl, in den restlichen 30 Prozent ging es um Mord und Massenmord.

Wie gehen die Betroffenen mit ihren Traumata um? Gibt es da Hilfe von offizieller Seite oder sind die Menschen auf sich gestellt?

Es gibt nennenswerte Versuche, diese Traumatisierungen aktiv anzugehen, aber das erst seit 2005. Davor gab es vor allem dilettantische Versuche nach dem Motto: Wir trommeln jetzt und tanzen und dann geht es uns besser. Am Anfang wurden diese Traumataaufarbeitungen vor allem von Entwicklungshelferinnen initiiert, die die Sprache nicht sprachen und die Kultur nicht kannten. Aber es brauchte Zeit, vor allem Ruanderinnen in dieser Aufarbeitung auszubilden, weil es hier ja auch sehr viel um sexuelle Gewalt ging. Das alles bezieht sich nur auf die Opfer, auf der Täterseite passiert eine solche Aufarbeitung nicht. Aber diese Täter waren ja nicht von Anfang an böse Menschen, sondern sind, wie sie auch selbst sagen, durch die Apokalypse, durch diese drei Monate Völkermord erst zu Tätern geworden. Und auch damit muss man lernen umzugehen.

Es wurden zahlreiche Bücher über den Genozid in Ruanda veröffentlicht, vor zehn Jahren kam der Film „Hotel Ruanda“ von Terry George in die Kinos, der am morgigen Mittwoch im Anschluss an Ihren Vortrag gezeigt wird. Was kann ein solcher Spielfilm überhaupt leisten, wenn er versucht, uns solche Gräuel näherzubringen?

Da bin ich zweigeteilter Meinung. Zum einen gibt der Film sehr gut wieder, was in diesem Hotel geschehen ist. Also das verzweifelte Bemühen des Hotelmanagers, unterstützt von UN-Soldaten, die etwa 1100 Tutsiflüchtlinge in diesem Hotel zu retten. Aber der Film selbst zeigt nicht das Hotel des Mille Collines in Kigali, sondern ein Fantasiehotel, denn „Hotel Ruanda“ wurde in Südafrika gedreht. Und das hat mit dem Originalschauplatz nichts gemein. Für Leute, die das Hotel des Mille Collines kennen, verliert der Film dadurch sehr stark an Authentizität.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Gerd Hankel spricht am heutigen Mittwoch um 18 Uhr über „Ruanda. 20 Jahre nach dem Genozid“ im Lepsiushaus in der Großen Weinmeisterstraße 45. Im Anschluss an den Vortrag wird der Film „Hotel Ruanda“ (2004) von Terry George gezeigt. Der Eintritt ist frei

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