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DDR-Aufarbeitung: Bilanz zur Enquete-Kommission: Dieses entsetzlich quälende, lange Schweigen

Die Enquete-Kommission des brandenburgischen Landtags legt ihren Abschlussbericht vor – nach teils heftigem Streit in den vergangenen vier Jahren in überraschender Einmütigkeit. Lediglich der Politologe Helmut Müller-Enbergs gibt ein Minderheitenvotum ab. Wir dokumentieren es in Auszügen

Der Abschlussbericht und die daran anschließenden Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission zur „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ stellen, wer mit den Möglichkeiten des Landtags Brandenburgs vertraut ist, eine beachtliche und beeindruckende Leistung dar. Beiden ist daher von Herzen zuzustimmen. Tatsächlich bleiben sie in zentralen Punkten hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurück.

Der Konsens mit der Abgeordneten Klara Geywitz (SPD)

Das war eine zweifellos alle beeindruckende Rede der Abgeordneten Klara Geywitz am 24. Mai 2010 im Plenarsaal. Die Ausführungen rochen nach frischer Luft in der Schweigekammer auf dem Brauhausberg, lockten endlich ergebnisoffene Fragen heraus und waren von einer Aufrichtigkeit und Gradlinigkeit, wie sie sich ein jeder Brandenburger nur wünschen konnte. Denn sie sagte: „Es darf in diesem Land dauerhaft keine weißen Flecken der Erinnerung, keine Kultur des Schweigens und auch nicht des desinteressierenden Achselzuckens geben.“ „Ich bin sicher, dass wir in dieser Kommission gemeinsam Resultate für unser Brandenburg erarbeiten können, dass es uns nicht um parteipolitische Punktsiege geht, nicht um Verklärung und nicht um Schlussstriche.“ „Das erfordert, unbequeme Fragen zu stellen, auch uns selbst, der Politik. Bei den Parteien hier im Landtag, die es schon vor 1989 gab, sind personelle Kontinuität und Wandel zu beleuchten sowie ihre jeweilig ganz unterschiedliche Rolle in der DDR. Bei den Parteien, die seit 1990 in diesem Land regierten, sind Fehler, Unterlassenes und die Intensität der Suche nach Wahrheit zu beleuchten. Ich denke, wir sind gut beraten, hier nicht auf jeden gedrückten roten Knopf, den wir alle haben, mit einem Schrei zu antworten, sondern innezuhalten und nachzudenken.“ „Ich möchte, dass wir unser Land in ein großes, intensives Gespräch verwickeln, in dem Menschen ihre Erfahrungen und Meinungen austauschen, in dem die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft eine Stimme erheben. Die Enquetekommission soll und darf keine Veranstaltung im Landtag und für den Landtag werden.“

Was blieb von der Kultur des Schweigens?

Das Land Brandenburg setzt bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur Maßstäbe wie kein anderes Bundesland. Es gab vielfach den Weg vor, wie diese Aufarbeitung zu gestalten ist. Der wichtigste Mentor dieses Brandenburger Wegs ist beinahe unstreitig in Manfred Stolpe (SPD) zu sehen. Schon als Spitzenfunktionär des Bundes der Evangelischen Kirchen und schließlich als Ministerpräsident des Landes Brandenburg wird ihm nicht abzusprechen sein, nachhaltig den integrativen Takt vorgegeben zu haben. Brandenburgs Geschichte besteht in dieser Lesart wesentlich aus dem Untergang Preußens, auch des deutschen Faschismus und ist – nach einigen nicht zwingend zu skizzierenden Jahren – als Land Brandenburg im Oktober 1990 wieder auferstanden.

Wie die Abgeordnete Klara Geywitz gesagt hatte – darf es „in diesem Land dauerhaft keine weißen Flecken geben.“ Nur haben wir uns im Abschlussbericht der Enquetekommission hierzu nicht bekannt. Die Abgeordneten Susanne Melior (SPD) und Dieter Dombrowski (CDU) hatten es tatsächlich gewagt, von der „Kultur des Schweigens“ in der Einleitung dieses Berichtes zu sprechen, brachen jedoch unter der Last ihres Mutes zusammen und beugten sich dem Antrag von Die Linke, die verlangte, den entsprechenden Satz aus dem Entwurf zu streichen. Was noch unter dem Beifall der Abgeordneten von SPD und Die Linke nach Klara Geywitzens Rede bedacht wurde, sollte später nicht mehr gelten. Damit geht freilich der Versuch einher, mit dem Ende der Enquete-Kommission wieder ins Schweigen zu verfallen.

Was bleibt von der Aufdeckung der Wahrheit?

Die Aufdeckung der SED-Diktatur im Land Brandenburg wäre eine politische, ökonomische, juristische und gesellschaftliche Aufgabe und beträfe die Aufklärung über Akteure, Geschichte, Strukturen und Wirkungen in den drei ehemaligen Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam und die Auseinandersetzung damit. Mehr noch bedeutete sie aber den politischen Auftrag, bei nachrückenden Generationen in Erinnerung zu halten, wie die SED-Diktatur funktionierte, welche menschlichen Kosten sie verursachte. Zugleich kann politische und gesellschaftliche Aufarbeitung für gelegentlich versäumte Glasnost als Korrektiv dienen, was meist durch eine letztlich unergiebige justizielle Würdigung (23 000 Ermittlungsverfahren im Land Brandenburg führten zu 80 Verurteilungen) oder einen versäumten Elitenwechsel entstanden ist.

Die tragende Partei in den Bezirken Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam war die SED. Sie verlor mit der Herbstrevolution ihre Machstellung und vollzog in ihren Reihen selbst schon einen vorsichtigen Elitenwechsel. Mit Lothar Bisky, der sich später dem Vorhalt, IM „Bienert“ gewesen zu sein, zu stellen hatte, und Michael Schumann, der auf dem außerordentlichen SED-Parteitag 1989 die wohl anti-stalinistischste Rede in der Parteigeschichte gehalten hatte, verfügte die PDS über zwei vorzeigbare Funktionäre, hinter denen sich andere aus den Bezirks- und Kreisleitungen bequem verstecken konnten (...), sodass es im Landtag Brandenburg zu dem Kuriosum kam, dass das ehemals rührige Mitglied der SED-Kreisleitung Potsdam und der kurzzeitige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Heinz Vietze für die PDS im Parlament saß. Trotz des Machtverlustes blieb Fortuna den Genossen halbwegs treu. Zum einen standen sie stets in der Wählergunst und konnten die Anzahl unter den 88 Abgeordnetenmandaten von Wahl zu Wahl steigern. Zum anderen war die Zahl der SED-Genossen mit 2,3 Millionen (im Land Brandenburg 1990 mit 43 000 und 2005 mit 10 000 Mitgliedern immer noch stärkste Partei) einstmals so beachtlich gewesen, dass ihr beinahe jeder fünfte Erwachsene zugehörte. Diese Konstellation erzwang die Suche nach einem Hauptschuldigen für die Misslichkeiten der SED-Diktatur aufzunehmen, die zunächst beim MfS mit lediglich 91 000 Hauptamtlichen endete. Gleichsam wurde damit die gefürchtete Rechte eines Boxers abgestraft, nicht der Boxer selbst, der die Hiebe steuerte. Von dort war es ein kleiner Schritt, um bei den zuletzt 189 000 IM anzugelangen. Nicht der Boxer, sondern sein Handschuh war’s.

Doch sein eigentlicher Durchbruch war die Folge eines Antrages vom Februar 1992 auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Landtag Brandenburg, der sich mit den Beziehungen Manfred Stolpes zum MfS auseinandersetzen sollte. Damit waren die Nachfolger der SED und der Blockparteien (CDU und FDP) von der Notwendigkeit entlastet, ihre eigene Rolle in der SED-Diktatur erörtern zu müssen. Das Augenmerk der Zuschauer schielte auf das unwahrscheinliche und extravagante Duell Manfred Stolpes mit der Wahrheit. Mit Stolpe kühlte die Debatte um den Boxhandschuh der Partei deutlich, aber nicht vollends ab. Von den Parteien selbst ist Die Linke bei der Aufarbeitung eigener Geschichte führend, vom allgemeinen Publikum fast unbemerkt.

Die Enquetekommission aber dokumentierte mehrheitlich ihr mangelndes Interesse an einem Kernpunkt ihres Auftrages, der Geschichte der SED-DiktaturDIE LINKE]. Damit unterlief sie der Absichtsbekundung der Abgeordneten Geywitz zur Aufdeckung der Wahrheit. Es handelt sich somit um einen parteipolitischen Punktsieg und trägt Züge von Verklärung.

Wofür braucht die Zukunft Herkunft?

Der erste für das Publikum erkennbare Konflikt um die Aufarbeitung der SED-Diktatur war das Bemühen einiger Abgeordneter, gewisse Lebensstationen aus ihren Biografien auszuklammern. Es handelte sich um einen allgemeinen Volkssport. Es wurde vor allem bei den Eintragungen in das Abgeordnetenhandbuch gespart. Daraus zog die Enquete-Kommission in ihren Handlungsempfehlungen begrüßenswerte Schlussfolgerungen: „Die Enquete-Kommission 5/1 empfiehlt künftigen Mitgliedern des Landtages, Inhabern und Inhaberinnen anderer politischen Spitzenämter und Kandidatinnen und Kandidaten für politische Wahlämter und -funktionen, ihre politische Biografie vollumfänglich darzustellen. Das schließt Angaben zum gesellschaftlichen und politischen Engagement sowie eine Tätigkeit für das MfS ein.“ Es handelt sich bei dieser Handlungsempfehlung bloß um einen Papiertiger, der für die Abgeordneten der SPD als bedeutungslos anzunehmen ist.

Matthias Platzeck gibt zu seiner „politischen Laufbahn“ über den Zeitraum von April 1988 bis Februar 1990 an: „April 1988 Gründungsmitglied der Potsdamer Bürgerinitiative Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung (ARGUS) sowie der AG Pfingstberg, November 1989 Gründungsmitglied und Sprecher der Grünen Liga, Dezember 1989 bis Februar 1990 Teilnehmer an den Verhandlungen des Zentralen Runden Tisches der DDR.“ Vollumfänglich ist das nicht, denn es fehlen die Angaben zu seiner Mitgliedschaft bei der Blockpartei Liberaldemokratische Partei Deutschlands (LDPD) in Potsdam, die er hätte nicht nur spätestens 1991 angeben müssen, als sich seine Fraktion Bündnis 90 mit der Thematik intensiv zu befassen hatte, sondern allerspätestens mit Einsetzung der Enquete-Kommission.

Die Abgeordnete Sieglinde Heppener gibt zu ihrer politischen Laufbahn an: „Seit 1993 Mitglied der SPD, Mitglied des Landtages seit 21. Oktober 2005.“ Folglich teilt sie den Wählern im Land Brandenburg mit, dass sie in den Jahren von 1952 an bis 1993 keiner politischen Partei oder Jugendorganisation angehört hat, mithin – wie es in ihrem Lebenslauf heißt – „1955 bis 1963 Hilfsassistentin beim Institut für Marxismus-Leninismus Berlin, 1963 bis 1965 Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, Diplomphilosophin, 1965 bis 1990 Dozentin an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften Berlin“ ohne Anbindung an SED, FDJ oder gar MfS war. Dabei könnte den Wähler schon ihr möglicher Beitrag in dem Buch „Sozialismus – Der reale Humanismus unserer Epoche“ (1980), ihre Dissertation mutmaßlich beim Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 12. Juni 1970 oder ihre Arbeit vielleicht als Wissenschaftlicher Rat für marxistisch-leninistische Philosophie (1983) interessieren.

Mithin leben Abgeordnete in der gegenwärtigen Zukunft recht komfortabel ohne Angaben zur Herkunft, daran ändert offenbar auch die Enquete-Kommission nichts.

Hat die Kommission das „Land in ein großes, intensives Gespräch verwickelt?“

Das gesellschaftliche Interesse an der Geschichte der SED-Diktatur im Land Brandenburg ist vorhanden. Ausweislich einer von der Enquete-Kommission veranlassten Umfrage im Jahre 2011 war das Thema für 69 Prozent der Befragten relevant, 67 Prozent sprachen sich sogar gegen die Integration von ehemals Inoffiziellen und Hauptamtlichen des MfS in den öffentlichen Dienst aus. Das führte jedoch nicht in der Enquete-Kommission zu der Erkenntnis, die Trutzburg am Brauhaus zu verlassen, die Gesellschaft in ein großes, intensives Gespräch zu verwickeln, sondern weiter die Enquete-Kommission zu einer Veranstaltung im Landtag und für den Landtag verkümmern zu lassen. Die Umsetzung des von der Abgeordneten Klara Geywitz formulierten Selbstverständnisses hätte es erforderlich gemacht, dem Raumschiff zu entsteigen und in den Regionen die Sitzungen abzuhalten. Es brauchte allein drei Jahre und das Überwinden einiger Widerstände unter den Mitgliedern der Enquete-Kommission, bis es überhaupt gelang, den auf der ersten Sitzung artikulierten Wunsch, im Potsdamer „Lindenhotel“ zu tagen, zu entsprechen. Ein großes, intensives gesellschaftliches Gespräch war nicht wirklich gewollt.

Wurde Geschehenes benannt?

Der Landtag Brandenburg hatte ohnehin eine vergleichsweise seltsame Variante der Überprüfung gewählt, indem die Fraktionsvorsitzenden (nicht das Parlament) zwei Kirchenvertreter baten, die Bescheide der Stasi-Unterlagenbehörde zu bewerten. Einer der beiden Kirchenvertreter hatte geäußert, dass die Unterlagen in ihrer Relation betrachtet werden müssen. Berührungen mit dem MfS waren nach seiner Feststellung Voraussetzung für berufliches Fortkommen. Es komme deshalb auf die Art der Berührung an. Manche Berührung könne überdies bedeutungslos sein, da sie lange Jahre und folgenlos zurückliege. Dieses Verständnis für den Umgang mit IM deutete bereits Großzügigkeit an. Ende November 1991 traten diese dann an die Öffentlichkeit: „Nach dem von uns gewonnenen Erkenntnisstand wagen wir die Aussage, dass sich in der Landesregierung und im Landesparlament nach menschlichem Ermessen keine Mitglieder befinden, die aufgrund der Beziehungen, die der Staatssicherheitsdienst zu ihnen hatte, des parlamentarischen und öffentlichen Vertrauens unwürdig wären.“ Mit diesen Worten war für sie und die Parlamentarier das Thema MfS vorerst abgeschlossen. Die Kirchenvertreter stellten zehn Grenzfälle fest und empfahlen zwei weiteren „Belasteten“ den Rücktritt, der längst vollzogen war. Auf einen Abschlussbericht verzichteten die beiden Kirchenvertreter.

Zwei Monate später brachte sich Manfred Stolpe ins Gespräch. Im Vorabdruck seines 1992 erschienenen Buches „Schwieriger Aufbruch“ berichtete er von seinen seit Anfang der 70er-Jahre bestehenden „regelmäßigen Treffen und Gesprächen“ mit dem MfS, die in seinem Büro, in Restaurants, Klubhäusern und in einer Wohnung stattfanden und mitunter von ihm „aktiv“ herbeigeführt wurden. Dabei hatte er sich „angewöhnt, mehrfach zu wiederholen, was wichtig war. Faktisch habe ich auf diese Weise Dutzende von Berichten diktiert“. Aus Sicht des MfS handelte es sich bei Manfred Stolpe um ihren IM „Sekretär“. Der dann einberufene und bis 1994 tagende Untersuchungsausschuss des Landtages brachte in der Sache nicht mehr hervor, als der Betroffene eingeräumt hatte. Der Landtag verzichtete in der zweiten Legislaturperiode auf die Überprüfung der Abgeordneten bei der Stasi-Unterlagenbehörde, nachdem sie in der ersten Legislaturperiode als Komödie angeboten worden war.

Dem ist die Enquete-Kommission nachgegangen, doch die Kraft, das Geschehene in ihrem Abschlussbericht zu benennen, brachte sie nicht auf. Dabei ist es ein einfacher Satz: In der 1. Legislaturperiode gehörten dem Parlament 19 ehemals Inoffizielle oder Hauptamtliche des MfS an (19 Prozent), der 2. Legislaturperiode 12 (13 Prozent), in der 3. Legislaturperiode 8 (8 Prozent) und in der 4. Legislaturperiode 10 (10 Prozent). Den Namen des Ministerpräsidenten Dr. Manfred Stolpe sucht man im Abschlussbericht vergeblich, obgleich sein Bildnis an der Stirnwand jenes Raumes hängt, wo der Bericht nahezu einstimmig angenommen wurde. Der Altministerpräsident taucht im Bericht ohnehin lediglich in Verbindung mit dem Stolpe-Untersuchungsausschuss der ersten Legislaturperiode auf, ohne sich mit dem Inhalt der damaligen Untersuchung erwähnenswert zu befassen. Mit allerlei erläuternden und begründenden Erklärungen vermochten die Mitglieder der Kommission ihm nicht die Chance einzuräumen, sein Aufarbeitungs- und Integrationswerk vor ihnen erläutern zu lassen. Er wurde – anders als die Minister Marianne Birthler, Hans-Otto Bräutigam oder Alwin Ziel – vor dem Licht der Kommission versteckt. Der im Saal stets präsente Personenkult – faktisch ein Gradmesser für Aufarbeitungsbereitschaft im Landtag – hielt es für unstatthaft, dessen rüde Attacken zurückzuweisen, die darin bestanden, von einem „Missbrauch der Enquete-Kommission“ zu sprechen, von der „Hetze“ und „Lüge“, die von diesem parlamentarisch gewählten Gremium ausgehen würde, sogar von einigen zu behaupten, „sich hysterisch auf die Vergangenheit“ zu stürzen. Er wurde ferner mit den Worten kolportiert, es gebe „eindeutig“ eine Linie, die von der Stasi-Unterlagenbehörde seit 1991 gegen ihn geführt und in der Kommission fortgesetzt werde.

Die Anarchie bei der Überprüfungspraxis auf Kooperation mit der Staatssicherheit, die in einigen Bereichen gerade einmal nur symbolischen Charakter eingenommen hatte – wie beim Finanzministerium oder der Staatskanzlei –, wird im Abschlussbericht der Enquete-Kommission zu einer „Lücke“ bei den Überprüfungen verniedlicht, was durchaus den Anspruch erheben kann, in der Tradition der SED- Wortkünste zu stehen, wo dann von „Überspitzungen“ die Rede war und der Subtext lautete: keine Fehlerdiskussion. Es wird im Abschlussbericht schöngefärbt, was von den Gutachtern und Experten klar angesprochen wurde. Und selbst diese klagten nahezu unisono über die unzulängliche Bereitstellung von Unterlagen durch die Ministerien. Ein Wille, engagiert die Kommission bei ihrer Arbeit zu unterstützen, darf den Ministerien keinesfalls unterstellt werden. Diese Disposition galt dann noch, als längst bekannt war, dass offenkundig Bescheide der Stasi-Unterlagenbehörde vom Landtagspräsidenten versteckt worden waren, die Kirchenvertreter wissentlich unvollständig das Parlament über Inoffizielle im Landtag unterrichtet hatten, und es der Regierung mit ihrem Landesarchiv nunmehr unmöglich gemacht wurde, das Versteckspiel fortzusetzen. Dieses skandalöse Geschehene mochte die Kommission in ihrem Abschlussbericht nicht bewerten. In dieser Konstellation war die Souveränität der Kommission nicht zu erwarten, sich im Namen ihrer Mitglieder für den miesen Umgang des Landes mit den Betroffenen und Verfolgten zu entschuldigen, die in der Demokratie teils dem entwürdigenden Empfinden überlassen blieben, ein zweites Mal für ihre während der SED-Diktatur gezeigten Courage bestraft zu werden.

Fazit – vier Jahre Enquete-Kommission

Auffallend an der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Brandenburg ist, dass die wesentlichen Aktivitäten allesamt recht spät erfolgten. Im Zentrum stehen sowjetische Haftlager der frühen Jahre (also die Repression durch die Besatzungsmacht), während die von Deutschen getragene SED-Diktatur in Brandenburg selbst, also die regionale Diktaturgeschichte und die Rolle von SED, Blockparteien und Staatssicherheit, auch mehr als 20 Jahre nach der Herbstrevolution – mir raten Ausnahmen – zu den Tabus zählen. Das darf als Zeichen dafür gelesen werden, dass noch Akteure der SED-Diktatur auf der Bühne stehen, deren Interesse an Reflexion ihrer Rolle im System wohl noch zu entwickeln ist. Bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Brandenburg werden die Zuschauer mit der Darstellung von unwahrscheinlichen oder extravaganten, aber denkbaren Situationen, Verkleidungen und Verwechslungen unterhalten – mit Humor, Wortspielen und Anspielungen. In einem Wort: als Komödie. Es kommt auf den Standpunkt an, ob dieser Brandenburger Weg als gescheiterte Aufarbeitung oder als erfolgreiche Integration von Genossen und Freunden der Partei beziehungsweise Blockparteien oder der Staatssicherheit anzusehen ist.

Aber noch glimmt die Geschichte. Das hat die Arbeit der Enquete-Kommission eindrucksvoll bewiesen, und wenn es denn dem Landtag noch zukünftig um die Geschichte der SED-Diktatur im Land gehen sollte, wird sicherlich achtungsvoll auf die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Folgen kommunistischer Diktatur, die Stiftungsprofessur, den mühsam abgerungenen Verbesserungen für die Verfolgten und auf die endlich gesicherte Untersuchungshaftanstalt des MfS in Potsdam, auf das „Linden-Hotel“, verwiesen. Die Abgeordneten haben damit, scheint zu befürchten, im Weiteren nichts mehr zu tun. Wir haben nicht die Kraft aufgebracht, das Geschehene in der SED-Diktatur eindrucksvoll und in gesellschaftlicher Breite zu untersuchen, und das Aufgefundene in unserem Abschlussbericht nur verklärt zu benennen.

Der Abgeordnete Peer Jürgens (Die Linke) befand, die Kultur des Schweigens habe es so nicht gegeben. Der Abgeordnete Dieter Dombrowski (CDU) stellte fest: „Es wurde nicht geschwiegen, sondern es gab unterschiedliche Auffassungen.“ Und die Abgeordnete Susanne Melior (SPD) schloss sich dem „ausdrücklich“ an, sie habe kein „Schweigekartell“ bemerken können.

Sie haben recht: Es gab in der Enquete-Kommission nicht eine Kultur des Schweigens, sondern des Verschweigens – durch das Hinnehmen zurückgehaltener und versteckter Akten für Gutachter durch Ministerien, das Nennen falscher Angaben zu Kooperationswilligen des MfS etwa aus dem Justizbereich, dem Ausblenden vorgesehener, teils beschlossener Untersuchungsfragen wie geschürfter Ergebnisse, das Beschädigen des Ansehens und des Wegstimmens von Sachverständigen und Zeitzeugen – sowie eine Kultur der „Lücken“ im Abschlussbericht.

Der Historiker und als Sachverständiger vor die Enquete-Kommission gebetene Christian Meier sah das am 26. November 2010 so: „Ein wichtiger Punkt ist, dass das Schweigen überwunden wird, das heute noch weitgehend vorhanden ist, das wir ganz ähnlich in Westdeutschland mit der Geschichte 1945 gehabt haben, dieses entsetzlich quälende, lange Schweigen, das für mein Empfinden sehr verständlich ist: Es braucht sehr viel Zeit, bis man sich selbstkritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt.“

Helmut Müller-Enbergs, 53, ist Politikwissenschaftler und Mitglied der Enquetekommission zur DDR-Aufarbeitung im Landtag. Tätig ist er in der Stasi-Unterlagenbehörde des Bundes.

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