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Potsdam-Mittelmark: Die Wannseeroute ist gekippt

Oberverwaltungsgericht sieht Restrisiko vom Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums nicht hinreichend berücksichtigt

Berlin / Teltow - Die Flugroute über Teltow, Kleinmachnow und den Wannsee ist rechtswidrig. Das Oberverwaltungsgericht hat gestern um 20.40 Uhr nach einem langen Verhandlungstag die Wannseeroute gekippt. Schon im Verlauf der Verhandlung zu den Flugrouten am neuen Großflughafen in Schönefeld hatte der Vorsitzende Richter am Mittwoch erhebliche Bedenken an der Route geäußert, die nur in knapp drei Kilometern Entfernung am Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums vorbeiführt. Für den späten Mittwochabend wurde vom Gericht eine „Verkündung“ angekündigt, bei der es sich dann überraschend bereits um das Urteil handelte.

Schon im Verhandlungsverlauf waren deutliche Worte gefallen: Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung habe in einem Abwägungsvermerk selbst von einem Restrisiko gesprochen, sollte der Atomreaktor von einem Flugzeug oder Teilen eines Flugzeugs getroffen werden, sagte der Vorsitzende Richter. „Das ist ein Punkt, der dem Senat zu denken gibt.“ Das Bundesaufsichtsamt habe dieses Risiko kaum betrachtet. Die Frage sei, ob es bei einer entsprechenden Risikostudie überhaupt zur Wannsee-Route gekommen wäre. Auch der TÜV habe in einer Untersuchung gewarnt, dass sich die Absturzwahrscheinlichkeit in der Nähe des Reaktors mit der Zunahme der Überflüge nach der BER-Eröffnung erhöhen kann.

Die Flugroutengegner fühlten sich schon vor der Urteilsverkündung in ihren Bedenken bestärkt. Aus Sicht der Kläger, darunter die Kommunen Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow, geht eine „massive Gefahr“ von der Flugroute in Reaktornähe aus. Sollte ein Jet abstürzen, würde eine ganze Region zum atomaren Notstandsgebiet, erläuterte Rechtsanwalt Remo Klinger von der Kanzlei Geulen & Klinger, die 2009 das Urteil zum Aus für das Bundeswehr-Bombodrom bei Wittstock durchgesetzt hatte. Bei einem denkbaren Unfall könnte die Hälfte der Menge an radioaktiver Strahlung freigesetzt werden, die beim Atomunfall im japanischen Fukushima ausgetreten ist. Auch Terroristen könnte die Route am Reaktor anlocken.

Die strittige Routenvariante führt vom BER zunächst nach Teltow, wo die Jets in Richtung Norden nach Kleinmachnow abbiegen und weiter über den Wannsee in der Nähe des Reaktors und schließlich in Richtung Spandau fliegen (siehe Grafik). Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung sieht keine Gefahr, denn der Reaktor werde nicht direkt überflogen. „Der Reaktor stand schon immer da und war nie gegen Abstürze gesichert“, so ein Anwalt. Mit einem solchen Unfall sei nur einmal in einer Million Jahren zu rechnen. Und das Risiko eines Absturzes begrenze sich in der Regel auf den Start oder den Landeanflug.

Wenn die Flugzeuge am Reaktor entlangfliegen, seien sie in stabiler Fluglage, sodass sie bei Problemen weitersegeln könnten. Übrig bleibe ein „irrelevantes Restrisiko“. Die Gefahren von terroristischen Überfällen könne man nie ausschließen. Dafür sei der Flughafen zu dicht am Reaktor gebaut. „Wir haben uns nicht intensiv mit dem Atomrecht auseinandergesetzt. Wir waren der Meinung, das brauchen wir nicht.“ Der Abstand der Flugroute von drei Kilometern zum Reaktor sei ausreichend.

Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers, dessen Kommune ebenfalls von der Wannseeroute betroffen ist, zeigte sich nach der ersten Hälfte des Verhandlungstages hoffnungsvoll, dass die Richter den Bedenken der Flugroutengegner Recht geben. „Ich habe den Hinweis des Richters gehört: Wenn es kein Risiko gibt, warum hat sich das Bundesamt dann damit auseinandergesetzt?“

Nikolaus Herrmann, Direktor des Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, warnte indes vor einer größeren Belastung für Anwohner im Raum Potsdam, Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf. Die Idee der Wannsee-Route sei gewesen, einen Kanal für kleinere Maschinen anzubieten. Wenn dieser Kanal wegfalle „stellt sich das Thema Einzelfreigabe vielmehr“. Konkret sei damit zu rechnen, dass Piloten nicht um Potsdam herumfliegen, sondern schon vorher in Richtung Norden abbiegen wollen.

Solche Freigaben würden dann öfter erteilt und die Flugrouten fächern sich auf, wie Herrmann weiter erklärte, selbst wenn das heißt, dass die Jets wieder am Reaktor vorbeifliegen. Dass sie dort nicht mehr fliegen dürfen, müsste erst noch in einem Gutachten festgestellt werden. Das gibt es noch nicht.

Rechtsanwalt Remo Klinger zeigte sich zufrieden. Das Risiko Helmholtz-Reaktor sei bei der Flugroutenfestlegung nicht ausreichend ermittelt worden. „Das ist ein schwerwiegendes Defizit.“ Die Jets könnten statt über der Region Teltow auch außen herum fliegen.

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