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Potsdamer Ausstellung zur Defa-Fotografin Pathenheimer: Die Unsichtbare

Das Gedächtnis der Defa: Ein Buch und eine Potsdamer Ausstellung feiern die Fotografin Waltraut Pathenheimer.

Potsdam - Fragt man Dieter Chill, wie die Fotografin Waltraut Pathenheimer gearbeitet hat, dann weicht er statt einer Antwort ein paar Schritte zurück. Drückt sich in eine Nische unter den Treppenabsatz im großen Raum des Zentrums für Medienwissenschaft (ZeM) in der Fachhochschule, bis er fast eins wird mit der Betonwand. Und sagt dann: So in etwa. So hat Waltraut Pathenheimer das Geschehen beobachtet. Als Unsichtbare.

Pathenheimer war erste Frau unter Defa-Standfotografen

Der Kameramann Dieter Chill, der zusammen mit der Medienwissenschaftlerin Anna Luise Kiss ein Buch über Waltraut Pathenheimer herausgegeben hat, muss es wissen. Er lernte Pathenheimer kennen, als er selbst noch Assistent war. Damals eilte ihr, der ersten Frau unter den Defa-Standfotografen, bereits der Ruf einer großen Dame voraus. Man wagte sie kaum zu grüßen, sagt Chill heute lachend. Nicht weil sie so furchteinflößend gewesen wäre, sondern weil der Respekt vor ihr und ihrer Arbeit so groß war. Und Waltraut Pathenheimer muss eine Frau gewesen sein, die wusste, was sie wollte. Wenn sie, die Unsichtbare, die Proben beobachtet hatte und dann mit dem Fotografieren dran war, machte sie genaue Ansagen, forderte ihre zehn oder zwölf Minuten sehr bestimmt ein – heute, in der auf größtmögliche Effizienz hin getakteten Zeit, ein unvorstellbarer Luxus. Aber wenn sie eins nicht duldete, dann waren das Abstriche in der Qualität.

Ihre Aufnahmen, Standfotografien, die zwischen 1954 und 1991 für die Bewerbung von Defa-Filmen während der Dreharbeiten entstanden, sind ab morgen im ZeM zu sehen. Die Schau „Pathenheimer: Filmfotografin“ ist Querschnitt durch ein Lebenswerk und zugleich ein Best-of des Defa-Films, natürlich inklusive damals schnell im Giftschrank verschwundener Filme wie „Jahrgang ’45“ von Jürgen Böttcher oder „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig. Die Filme sind nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet – nach Küssen, Paaren, Bewegungen. Gerade in Letzteren zeigt sich die große Kunst von Waltraut Pathenheimer: Auch im größten Trubel, in der Pferde-Action für den Winnetou-Streifen „Die Spur des Falken“ etwa, sieht sie das wesentliche Detail – einen Pfeil, eine Geste, einen Blick. Oder, berührendestes Beispiel, das schmerzverzerrte Gesicht eines Jungen in „Nackt unter Wölfen“, hinter einem Mann in KZ-Kleidung.

Die Defa als Forschungsgegenstand

Das Kuratorenduo Chill und Kiss ist eine Idealbesetzung, die Innenschau und äußeren Blick zusammenbringt: Er arbeitete selbst ein paar Jahre in der Defa, bevor es mit ihr zu Ende ging. Sie, die 1981 in Westdeutschland Geborene, entdeckte über ihre Arbeit als Wissenschaftlerin die Defa als Forschungsgegenstand. Der Anlass für Schau und Buch ist der 85. Geburtstag von Waltraut Pathenheimer im Februar. Aber auch zum noch längst nicht abgearbeiteten Feld der Defa-Forschung wollen Kiss und Chill etwas beitragen. Und weil das Zentrum dieser Forschung, die Defa-Bibliothek, staunenswerter Weise in Massachusetts liegt, kommt das Buch international daher. Auf Deutsch und Englisch.

Wenn man die Bilder von Waltraut Pathenheimer ansieht, dann versteht man plötzlich, dass auch die Defa im Herzen das Internationale suchte. Viele der Bilder erinnern an die große, damals unerreichbare Welt, Viscontis Italien, den französischen „film noir“ der Sechziger. Sogar Mondlandschaften, die man, wären sie nicht schwarz-weiß, dem Hollywood der Siebziger zuordnen könnte. Die ganze Welt findet man in dieser kleinen Traumfabrik, und nur hier und da das Land, in dem sie stand, die DDR.

Viel mehr als Werbung, viel mehr als Dokumentation

Die gewagten Hochformate, die vollendeten Kompositionen: Jedem Bild sieht man den hohen Anspruch der Fotografin an. Viel mehr als Werbung ist hier entstanden, viel mehr als Dokumentation. Die Standfotos von Waltraut Pathenheimer sind große Kunst. Die meisten von ihnen sind bewusste Arrangements der Fotografin, die von sich selbst sagte, sie eigne sich nicht als Sportfotografin. Statt der Geschwindigkeit des Geschehens hinterherzuhecheln, organisierte sie sich das Geschehen selbst – im Rahmen der Geschichte des jeweiligen Films natürlich. Viele der Bilder, die in der Ausstellung zu sehen sind, kommen so in keinem Film vor. Ihre Fotos erzählen den jeweiligen Film also nicht nur nach – indem sie die Essenz der Geschichte in einem Bild verdichten, erzählen ihn neu. Und sieht man diese Bilder dicht nebeneinander, erzählen sie ein aufwühlendes Kapitel deutscher Filmgeschichte, so lebendig, als wäre es nicht schon vor einer kleinen Ewigkeit zu Ende gegangen.

„Pathenheimer: Filmfotografin“, Ch. Links, Berlin 2016, 20 Euro. Die Ausstellung eröffnet am Freitag um 18 Uhr im ZeM, Friedrich-Ebert-Straße 4. Bis 17. Februar 2017

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