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Studieren am Hasso-Plattner-Institut: „Die Spannung ist der neue Kick“

HPI-Direktor Christoph Meinel über den Ansturm auf die Onlinekurse OpenHPI und die Bedeutung des herkömmlichen Studiums.

Herr Meinel, das HPI hat mit seinen Onlinekursen im vergangenen Jahr in 114 Ländern rund 50 000 Studierende erreicht. Das klingt überwältigend.

Das ist es für uns auch. Der neue Kurs ist bereits mit 12 000 neuen Teilnehmern gestartet. Wohlgemerkt geht es in den Kursen für die Internetnutzer um sechs Wochen harte Arbeit, drei bis sechs Stunden pro Woche. Es wird viel über die neuen Moocs – Massive Open Online Courses – in den USA berichtet, aber nur wenig darüber, dass wir auch in Deutschland damit Erfolg haben.

Aber nur durchschnittlich 17 Prozent der Teilnehmer machen auch einen Abschluss.

Das sind nicht nur, sondern sogar 17 Prozent. Vergleichbare Onlinekurse aus den USA kommen oft gerade mal auf eine Abschlussquote von einem Prozent. Meistens liegt der Wert unter zehn Prozent. Hintergrund ist auch, dass jeder mitmachen kann, es wird nicht nach dem Abitur gefragt wie an der Uni. Manchem sind die Anforderungen zu hoch, es gibt wöchentlich Hausaufgaben, mindestens 50 Prozent der Punktezahl muss erreicht werden, um am Ende zur Klausur zugelassen werden. Mit der Abschlussprüfung für das Zertifikat stehen sieben Prüfungen in sechs Wochen an.

Christoph Meinel (59) ist Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts für Softwaresystemtechnik (HPI) am Griebnitzsee. Er leitet auch den Fachbereich Internet-Technologien und -Systeme

E-Learning ist nicht neu. Was ist an OpenHPI anders?

E-Learning hat sich bislang hauptsächlich an autodidaktisch veranlagte Personen gerichtet, die alleine mit dem Material klarkommen. Die Moocs koppeln nun die Lerninhalte mit interaktiven Elementen, den sozialen Medien und Diskussionsforen. Damit können nun auch Personen, die nicht autodidaktisch begabt sind, im Internet lernen. Attraktiv wird das Angebot zudem durch permanente Selbsttests, in denen abgefragt wird, ob man die Materie verstanden hat. Das Feedback ist sehr wichtig, das fehlte bislang beim E-Learning. Die hohen Zugriffszahlen werden schließlich benötigt, damit die Diskussionsforen interessant werden.

Wodurch bleiben die Nutzer bei der Sache?

Beim E-Learning war bisher das Problem, dass man eine Lerneinheit zu Hause viel schneller unterbricht als eine herkömmliche Vorlesung. Wenn man den Laptop drei-, viermal zugeklappt hat, lässt das Interesse stark nach. Die Koppelung an die sozialen Netzwerke schafft nun eine andere Grundlage. Man verpasst etwas, wenn man abbricht. Bei den Massen von Teilnehmern gibt es minütlich neue Diskussionsbeiträge. Da das Ganze mit strukturiertem Wochenplan läuft, fokussiert sich die Diskussion zu einem bestimmten Zeitpunkt auf das aktuelle Thema. Das hebt die Spannung. Das bindet die Teilnehmer an die Inhalte. Das ist der Kick, das ist die neue Qualität im Vergleich zum bloßen Anschauen von aufzeichneten Lehrveranstaltungen. So werden auch Personen mitgenommen, die sonst aufgegeben hätten. Das ist wie beim Lernen in sozialen Gemeinschaften, hier eben nur in einer virtuellen Gemeinschaft.

Mit den Onlinekursen erreicht eine kleine Anzahl von Dozenten doppelt so viele Studierende wie beispielsweise alle drei Potsdamer Hochschulen zusammen. Zeichnet sich hier das Ende der herkömmlichen Hochschulausbildung ab?

Nein, durch die Kurse wird die Universität nicht abgeschafft. Die Hochschule hat ja nicht nur die Funktion der Bildungsvermittlung, sondern soll auch sozialisieren. Für junge Menschen ist das meist der erste Lebensabschnitt außerhalb des Elternhauses in einer gewissen Eigenverantwortlichkeit. In der Studienzeit wird nicht nur Fachwissen geprägt, sondern der Mensch wird darin auch ein Stück erwachsener. Dazu muss man eine Hochschule besuchen. Auch laufen die Onlinekurse auf einer anderen Ebene. Die Zertifikate entsprechen nicht den Leistungsnachweisen der Hochschulen. Auch kennen die Dozenten nur die Email-Adresse der Studenten. Ob das eine Person oder eine ganze Lerngemeinschaft ist, weiß man nicht.

In Zukunft werden also nicht alle am Rechner lernen?

Das erwarte ich nicht. Das Ganze ist vielmehr eine Ergänzung. Ein Angebot vor allem für diejenigen, die nicht an einer Universität studieren können und sich trotzdem für die Thematik interessieren. Der Aufwand ist zudem recht hoch. Denn die Diskussionsforen müssen von einem Teaching-Team – fünf bis sechs Personen – betreut werden. Positiver Effekt: Die Lernenden helfen sich online untereinander, das muss nicht alles das Team machen.

Wer loggt sich bei den Kursen ein?

Der Jüngste war bisher acht Jahre alt, der Älteste 91 Jahre. Alle können mitmachen. Die 30- bis 40-Jährigen sind am stärksten vertreten. Wir sind also weniger bei der Jugend und den Studenten als bei den Erwachsenen beliebt.

Die machen das neben dem Job?

Mit Sicherheit, denn die stärkste Gruppe hat bereits zehn Jahre Berufserfahrung. Die 40- bis 50-jährigen Teilnehmer schließen besonders erfolgreich ab. Wer im höheren Alter mitmacht, will auch ein Zertifikat haben. Es nehmen mehr Männer als Frauen teil, was am IT-Thema liegen mag.

Die Nutzung findet vornehmlich abends statt.

Das ist typisch für das Onlinelernen, es wird nach der Arbeit oder dem Uni-Tag erledigt. Die Leute sitzen eben nicht bloß vorm Fernsehen, sondern einige stecken ihre Kraft in solche Bildungsangebote. Neu ist auch, dass sich hier 80-Jährige mit 16-Jährigen messen können. Das ist eine ganz neue Facette der Bildungsgesellschaft.

Welcher Kurs lief bislang am besten?

Der erste Kurs von HPI-Stifter Hasso Plattner hat in den vergangenen zwölf Monaten am meisten Teilnehmer angezogen. Auch für seinen zweiten, der am Montag angelaufen ist, haben sich schon mehr als 12 000 Interessenten angemeldet. Wenn Hasso Plattner über die neue In-Memory-Technologie spricht, die er selbst mitentwickelt hat, dann hat das natürlich etwas Exklusives. Hier werden von einer prominenten Person sehr innovative Dinge aus dem IT-Bereich vermittelt, sozusagen aus erster Hand. Das vermittelt Authentizität. Hinzu kommt, dass der Kurs in Englisch angeboten wird, das erhöht die Reichweite ziemlich.

Wie sieht die Zukunft des Formats aus?

Wir entwickeln eine neue Plattform, die noch mehr interaktive Elemente ermöglicht. Dabei sind neben den Selbsttests auch spielerische Elemente dabei, die das Lernen befördern.

Spielen lenkt doch eher ab?

Es geht nicht um Spiele, sondern spielerische Elemente. In das Lernen hinein sollen diese Elemente helfen, in der Gruppe bestimmte Faktoren zu befördern. Das ist schon aus der Grundschule bekannt. Das wird exakt auf die Lehrinhalte abgestimmt. Bei der spielerischen Betätigung soll das Gelernte überprüft und vertieft werden. Wir bieten zum Beispiel auch virtuelle Labore an, in denen der Student das Erlernte im Experiment ausprobieren kann. Die Selbsterfahrung spielt beim Lernen ja eine wichtige Rolle. Das ist auch eine Herausforderung für uns.

Inwiefern?

Wenn sich 10 000 Personen auf einer Lernplattform tummeln, wird eine hohe Rechnerleistung gebraucht, damit es nicht zu Verzögerungen oder Zusammenbrüchen des Systems kommt. Der Vorteil im Onlinekurs ist, dass Dinge möglich werden, die in einer herkömmlichen Vorlesung nicht denkbar sind. Und jeder kann mitmachen. Die Diskussionen lassen die Kurse zu einem einmaligen Event werden. Wenn man den Kurs wiederholt, wird etwas anderes daraus.

Ist OpenHPI Vorreiter oder Vorbild?

Vorreiter auf jeden Fall, weil wir die ersten in Deutschland waren. Wir hatten die Nähe der Vorläufer in Stanford durch unsere Kooperation. Als leistungsfähiges Institut waren wir dann in der Lage, in relativ kurzer Zeit eine solche Plattform ins Leben zu rufen. Vorbild sind wird sicher auch. Der französische Präsident wird im Oktober etwas Ähnliches starten.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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