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Interview: „Die Ölkrise hat das Ende der DDR mit befördert“

ZZF-Co-Direktor Frank Bösch über die Folgen der Ölkrise 1973, autofreie Sonntage, die Krise im Osten und die neue Lust am Radfahren

Herr Bösch, woran erinnern Sie sich persönlich, wenn Sie an die Ölkrise denken?

Bei der ersten Ölkrise 1973 war ich zu klein, um mich selbst daran zu erinnern. Meine Schwester wurde während der autofreien Sonntage geboren. Sie per Auto im Krankenhaus zu besuchen war damit eigentlich nicht erlaubt. Bei der zweiten Ölkrise 1979 erinnere ich mich an den kalten Winter in Norddeutschland. Es gab Stromausfälle und gerade dies verstärkte die Angst vor der erneuten Energiekrise. Die vier autofreien Sonntage und das Ausschalten der öffentlichen Beleuchtung sparten zwar wenig Energie ein, aber sie sensibilisierten die Bevölkerung für die Endlichkeit der Rohstoffe. Die Ölkrise gilt zudem als wichtige Zäsur, weil sie zu einer weltweiten Wirtschaftskrise führte und die globale Verflechtung verdeutlichte.

Frank Bösch (43) ist neben Martin Sabrow Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung und Professor für deutsche und europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Uni Potsdam.

Ist die Ölkrise der Grund dafür, dass Sie heute lieber mit dem Fahrrad fahren?

Indirekt ja. Energiesparen wurde danach zumindest im Westen zu einem neuen Schlagwort. Die Kinder der Energiekrise kaufen heute oft sparsamere Autos und bevorzugen es, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. In den 1970er-Jahren war dem Autofahrer der Verbrauch seines Wagens kaum bekannt. Erst nach der Ölkrise tauchte die Angabe des durchschnittlichen Spritverbrauchs in der Werbung auf und wurde zu einem Kaufargument. Unmittelbar nach den beiden Ölkrisen hatten in Westeuropa kleinere Autos Erfolg, wie der VW Golf.

Warum ist das Thema heute, nach 40 Jahren, für uns noch relevant?

Im Moment ist die Energiewende ja in aller Munde. Die erste große Ölkrise 1973 ist ein wichtiger Anfangspunkt dieser Diskussion und auch der Begriff kam nach der Ölkrise auf. Bis 1973 war Energie etwas, das die Industrie und die Verbraucher in den Industrienationen für selbstverständlich nahmen. Energie schien unendlich günstig verfügbar. Seit der Ölkrise gab es eine breite Diskussion, wie man die Erschließung, Produktion und den Verbrauch von Energie verändern kann. Nicht nur für Historiker ist es interessant, zu sehen, wie im Zuge von Krisen Lösungen gefunden wurden.

Energie scheint primär kein historisches Thema.

Energie war lange auch für Historiker etwas Unsichtbares und Selbstverständliches. Spätestens mit der Ölkrise ist aber deutlich geworden, dass Energie viele grundsätzliche Fragen berührt, in der Politik, Wirtschaft, der Alltagsgeschichte, aber auch der Diplomatie.

Die Krise 1973 war ein Wendepunkt in der Energiepolitik.

Tatsächlich gab es seit den 1970er-Jahren hier eine fundamentale Änderung, die in hohem Maße mit der Krise zusammenhängt. So kamen neue Energieträger auf. Das Erdöl wurde nun stärker durch Atomkraft, mehr Erdgas und die eigentlich eher abgeschriebene Kohle ersetzt. Auch die Forschung zu erneuerbaren Energien erhielt nun Schwung. In Kalifornien und Dänemark entstanden die ersten großen Windparks. Bezeichnenderweise glaubte man damals, dass Wind- und Solaranlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfügung stehen würden. Was dann ja auch eintrat.

Die Industrieländer haben also aus der Energiekrise gelernt?

Bei der Ölkrise kann man tatsächlich Lerneffekte ausmachen, die von Land zu Land stark unterschiedlich ausfielen. In der alten Bundesrepublik zählte dazu das Energiesparen mit subventionierter Wärmedämmung oder lokalen Blockheizkraftwerken. Der Industrie wurden sparsame Haushaltsgeräte abverlangt. Zudem entwickelten die Verbraucher durch die Sparappelle ein Energiesparverhalten, das beibehalten wurde, als ab 1985 die Ölpreise wieder sanken.

Hatte man denn bei der zweiten Ölkrise bereits aus der ersten gelernt?

Diese zweite Krise 1979, die durch den Ölausfall nach der iranischen Revolution ausgelöst wurde, ist heute weitgehend vergessen. Vielleicht auch, weil es kein ikonisches Bild wie die leeren Autobahnen gab und die Bilder von Khomeini schnell anders konnotiert waren. Die zweite Krise machte deutlich, dass Ölkrisen nicht zufällig entstanden, sondern auf strukturellen Problemen basierten. Nach 1979 wurden viele Konzepte, die 1973 zunächst gefordert wurden, konkret umgesetzt.

Die Ölkrise 1973 wurde vom Jom-Kippur-Krieg ausgelöst. War das der einzige Hintergrund?

Der Ölpreis stieg bereits seit 1969 langsam an. Der plötzliche Anstieg dann wurde allerdings durch den Krieg mit Israel verursacht. Die arabischen Länder drosselten die Fördermengen, um westliche Länder in ihrer Israel-Politik unter Druck zu setzen. So wurde Energie plötzlich politisiert. Deshalb versuchte der Westen nun, weg vom arabischen Erdöl zu kommen, um nicht erpressbar zu sein. Einige Industrieländer erschlossen daraufhin erfolgreich eigene Erdgas- und Ölquellen. Eine weitere erstaunliche Folge: Der Westen kooperierte plötzlich lieber mit der Sowjetunion als mit den arabischen Ländern.

Im Osten verlief die Krise anders.

Dort war die Ölkrise 1973 zunächst keine scharfe Zäsur. Die sozialistischen Länder hingen von den günstigen Energielieferungen der Sowjetunion ab und Fünfjahrespläne schrieben deren Preise und Mengen fest. In den Jahren danach hatte die Krise aber fatale Auswirkungen auf die DDR und die anderen sozialistischen Länder. Denn die UdSSR erhöhte, um Devisen zu bekommen, schrittweise ihre Preise. Das führte dazu, dass die DDR 1978 rund 80 Prozent des Weltmarktniveaus zahlen musste. So stieg die Abhängigkeit von der UdSSR, die finanziell der Gewinner der Ölkrise war, zumal die DDR den Handel mit Gütern ausgleichen musste, die sie nicht mehr im Westen verkaufen konnte. Gleichzeitig stieg auch die Abhängigkeit vom Westen, weil man mehr Energie von dort benötigte. Beides vergrößerte die Verschuldung, die die SED wiederum mit westlichen Krediten auffing.

Das klingt kompliziert.

Das war es auch. Es entwickelten sich weltweit recht komplexe Zusammenhänge und damit die Globalisierung. Die Energiekrise vergrößerte die Macht der Sowjetunion und schuf neue Brücken zwischen Ost und West. Bereits 1970 schloss die Bundesrepublik das erste Erdgasgeschäft mit der Sowjetunion ab und heute vor 40 Jahren, am 1. Oktober 1973, erreichte das erste Gas per Pipeline Westdeutschland. Im Zuge der Ölkrisen wurden diese Lieferungen um ein vielfaches erhöht. Dadurch kam es wiederum zu Lieferengpässen im Osten. Den Preis dafür zahlten die Ukraine und andere Länder des Ostens wie die DDR, da die Sowjetunion deren Kontingente reduzierte.

Profitierte die DDR nicht von der Krise?

Die sozialistischen Wirtschaften boomten Anfang der 70er-Jahre noch. Manche Ökonomen dachten sogar, dass der „Klassenfeind“ nun einbricht. Doch die Krise kam aufgrund der festgeschriebenen Preise verzögert in der DDR an. Und dann traf es den Osten in den 80er-Jahren umso härter. Plötzlich musste man mit ganz anderen Preisen operieren. Man reagierte auch mit den falschen Maßnahmen. In der DDR wurde weniger auf Energiesparen gesetzt, vereinzelte Vorstöße dazu griffen kaum. Stattdessen wurde die veraltete Braunkohle als Ersatz reaktiviert.

War die Krise ein erster Schritt zum ökonomischen Niedergang der DDR?

Der Niedergang wurde durch die Ölkrise ganz sicher mit befördert. Die Folgen der Ölkrise traf die ohnehin angeschlagene Wirtschaft im Osten in den 1980er-Jahren hart.

Welche Folgen hatte das für die deutsch-deutsche Politik?

Die Energiepolitik förderte die Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten. Bereits die Ostpolitik Willy Brandts wurde ganz wesentlich durch die Erdgasröhrengeschäfte grundiert. Diese wirtschaftliche Kooperation mit der Sowjetunion erleichterte den innerdeutschen Handel. Die DDR spielte in der Verarbeitung von Rohstoffen eine starke Rolle gegenüber der Bundesrepublik, die sie ausbaute. Die bundesdeutsche Energieversorgung aus der DDR nahm besonders in Westberlin zu. Immerhin über die Hälfte der Westberliner Energie stammten 1980 aus der DDR.

Inwiefern eröffnet der Rückblick auf die Ölkrisen auch einen Ausblick?

Generell zeigt sie, wie Gesellschaften aus Krisen lernen können. Sie führten zu innovativen Schritten, weshalb die pessimistischen Prognosen nicht eintrafen. Zudem macht sie national unterschiedliche Lösungen deutlich – von der Atomenergie in Frankreich bis zur Windenergie in Dänemark –, deren Ergebnisse wir heute vergleichen können. Deutlich wird aber auch, welchen langen Atem man braucht, um so etwas wie den seit den 1970er-Jahren geforderten Ausbau regenerativer Energien umzusetzen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) diskutieren vom 26. bis 28. September 40 Historiker aus acht Ländern über Ursachen und Folgen der Ölkrise von 1973 (www.zzf-potsdam.de).

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