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Brandenburg: „Die Generationen reden zu wenig“

Ulrike Poppe, DDR-Bürgerrechtlerin und heutige Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der Kommunistischen Diktatur, spricht im Interview über die "Dritte Generation Ost" und die Möglichkeiten, sich ohne Angst politisch einzumischen.

Unter dem Namen "Dritte Generation Ostdeutschland" treten seit zweieinhalb Jahren junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren in der Öffentlichkeit auf und werben für einen Dialog zwischen den Generationen und zwischen Ost- und Westdeutschen. Was denken Sie über diese jungen Menschen, die noch in der DDR geboren und in einem vereinigten Deutschland erwachsenen geworden sind?

Und wenn ich über den Begriff "Dritte Generation" nachdenke, dann bin ich also die "Zweite Generation", deren Eltern noch während des Nationalsozialismus sozialisiert wurden, also die DDR-Gründer. Und wir, die "Zweite Generation", waren ja diejenigen, die mitgemacht, zum Teil aber auch revoltiert haben. In den 80er Jahren bestanden die oppositionellen Gruppen hauptsächlich aus dieser Generation. Mein Jahrgang ist 1953.Wie viele meiner Altersgenossen habe auch ich die Botschaft von unseren Eltern vermittelt bekommen, haltet euch aus der Politik heraus. Vor allem in der Schule sollten wir uns nicht über Politik äußern. Das System schien so fest, es würde keinen Sinn machen, sich dagegen zu stellen. Der Volksaufstand von 1953 wirkte wie ein Trauma für diese Generation. Die meisten waren überzeugt, der Status Quo der Nachkriegszeit könne nicht geändert werden. Deshalb versuchten die meisten, sich irgendwie mit dem System zu arrangieren. Aber es gab auch jene, die überzeugt waren, dass sich der Sozialismus letztlich als das bessere, gerechtere, effektivere System herausstellen würde. Obwohl es in den 80er Jahren ziemlich offensichtlich war, dass das scheitern wird. Ich habe davon gehört und ich freue mich darüber, dass es diese Initiative gibt. Es geht wohl vor allem darum, die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen zu überwinden. Ich bin manchmal in Schulen, und dort frage ich, redet ihr denn mit euren Eltern und Großeltern. Da höre ich dann immer – na ja, wenig.

Und wenn ich über den Begriff "Dritte Generation" nachdenke, dann bin ich also die "Zweite Generation", deren Eltern noch während des Nationalsozialismus sozialisiert wurden, also die DDR-Gründer. Und wir, die "Zweite Generation", waren ja diejenigen, die mitgemacht, zum Teil aber auch revoltiert haben. In den 80er Jahren bestanden die oppositionellen Gruppen hauptsächlich aus dieser Generation. Mein Jahrgang ist 1953.

Wie viele meiner Altersgenossen habe auch ich die Botschaft von unseren Eltern vermittelt bekommen, haltet euch aus der Politik heraus. Vor allem in der Schule sollten wir uns nicht über Politik äußern. Das System schien so fest, es würde keinen Sinn machen, sich dagegen zu stellen. Der Volksaufstand von 1953 wirkte wie ein Trauma für diese Generation. Die meisten waren überzeugt, der Status Quo der Nachkriegszeit könne nicht geändert werden. Deshalb versuchten die meisten, sich irgendwie mit dem System zu arrangieren. Aber es gab auch jene, die überzeugt waren, dass sich der Sozialismus letztlich als das bessere, gerechtere, effektivere System herausstellen würde. Obwohl es in den 80er Jahren ziemlich offensichtlich war, dass das scheitern wird.

Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, hat in einem Interview mit den PNN darüber gesprochen, dass auch immer mehr junge Menschen die Einsicht von Stasi-Akten verstorbener Angehöriger beantragen. Wie bewerten Sie dieses steigende Interesse?

Vielfach ist ein Gespräch über die DDR zwischen den Generationen nicht zustande gekommen, bzw. die Eltern oder Großeltern haben nicht gewagt, über ihre Rolle im DDR- System zu sprechen. Die Einsichtnahme in die Stasi-Akten verstorbener Angehöriger ermöglicht nun den Nachkommen, die Wahrheit herauszufinden und zu erfahren, in wieweit sich ihre Vorfahren auf das System eingelassen oder sich verweigert haben. Die Voraussetzungen für ein differenziertes Urteil gegenüber den kleinen und großen Systemträgern sind heute erheblich besser als für die 68er Generation, weil die Archivzugänge erleichtert und der gesellschaftliche Diskurs von Anfang an befördert wurde. Aus den Stasi-Akten können manche junge Menschen mitunter Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen ihrer Vorfahren finden und vielleicht auch Lücken in ihrer eigenen Biografie schließen. Allerdings sollte immer bedacht werden, dass Stasi-Akten kritisch gelesen werden müssen und auch nur als eine neben anderen Quellen zur Aufarbeitung sinnvoll genutzt werden kann.

Viele dieser "Dritten Generation Ostdeutschland" stellen im Zuge der Finanzkrise und der wachsenden Armut in unserer heutigen Gesellschaft erneut die Frage nach einem alternativen "Dritten Weg". Was denken Sie über diese Systemkritik?

Unter dem Begriff "Dritter Weg" kann ich mir kein taugliches Konzept vorstellen. Das war eine Idee der 68er in Prag, die Idee vom reformierten Sozialismus, die erst einmal gescheitert ist. Ich denke, dass wir mit einer solchen Ideen noch im biopolaren Denken behaftet sind, in der Sozialismus und Kapitalismus sich gegenüberstehen. Stattdessen sollten wir die Geschichte des 20. Jahrhunderts vielmehr als Kampf zwischen Demokratie und Diktatur und nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewerten. Den Begriff des Sozialismus muss man nicht als Gegenpool zum Kapitalismus definieren, sondern als soziale Gestaltung der Marktwirtschaft unter demokratischen Bedingungen.

n den 60er Jahren, in der Zeit des Kalten Krieges, wurde die Vorstellung entwickelt, man finde vielleicht noch einen Weg zum Sozialismus, der nicht stalinistisch geprägt ist. Das war die große Hoffnung der 68er. Aber dieser Traum ist letztendlich in Prag durch Panzer nieder gewalzt worden. Dennoch haben manche lange Zeit auf eine Alternative zum Kapitalismus gehofft, auf eine sozialistische Alternative mit demokratischem Antlitz.

In den 80er Jahren wurde über einen "Dritten Weg" kaum noch diskutiert. Wir hatten uns von alternativen Gesellschaftsmodellen verabschiedet und versuchten eher in kleinen Schritten eine Öffentlichkeit herzustellen und Mitsprache einzufordern. Wir wollten eine stärkere Basis schaffen, um Selbstbestimmung einzufordern und auf den Grundrechten zu bestehen, die uns laut DDR-Verfassung zustanden. Obwohl wir wussten, dass sie de facto keine Geltung haben und dass wir uns mit einer freien Meinungsäußerung strafbar machen können. Trotzdem hatten wir uns entschlossen, unsere Systemkritik öffentlich zu äußern und Parallelstrukturen aufzubauen, um das Informationsmonopol, das Bildungsmonopol und das Öffentlichkeitsmonopol des Staates zu brechen.

Im Winter 1989/90 waren Sie Mitglied von "Demokratie Jetzt" und saßen als Vertreterin der Bürgerbewegung mit am Runden Tisch. Waren zu dem Zeitpunkt in der DDR demokratische Reformen noch möglich und gab es damals eine Alternative zur Wiedervereinigung?

Zunächst einmal, die Opposition war nicht einheitlich. Die Älteren unter uns, die noch das vereinigte Deutschland kannten, hatten durchaus die deutsche Einheit noch thematisiert. Aber dieses Thema war nachgeordnet, weil wir davon ausgingen, dass eine Wiedervereinigung das Ende des Ost-West-Konfliktes voraussetzt, praktisch die Auflösung der Blöcke, die sich feindlich gegenüber standen. Und eine Auflösung der Blöcke, also ein friedliches Europa, war nur vorstellbar durch Demokratisierung im Ostblock. Das war für uns der erste Schritt. Widerstandsbewegungen wie Solidarnosc in Polen gaben uns Hoffnung. In der DDR war die Opposition relativ schwach. Es bekannten sich vielleicht ein paar tausend Menschen dazu, das System grundlegend zu kritisieren. Die Opposition in der DDR ist auch nicht durch die Welt gelaufen mit einem Schild, wir wollen das System abschaffen. Wir forderten Grundrechte wie freie Wahlen, denn freie Wahlen hätten bedeutet, dass die SED von der Mehrheit abgewählt wird, und damit wäre der Weg frei gewesen für einen Systemwandel. Einig waren wir uns in der Opposition darin, dass wir eine Demokratie und einen Rechtsstaat wollten. Diesen radikalen Umbruch im Herbst 1989, eine solche Massenbewegung, hatte niemand erwartet. Das kam überraschend. Wir hatten die Vorstellung, die Machtstrukturen würden sich allmählich auflösen, erwarteten einen evolutionären Prozess, in dessen Folge die alten Kader irgendwann sterben, und einer neuen Generation gelingt es dann vielleicht, demokratische Strukturen zu schaffen. Und ob wir dann den Weg zu einer Wiedervereinigung finden, das blieb offen. Aber es war eigentlich den meisten klar: Wenn es diesen Systemunterschied nicht mehr gibt, dann macht es auch überhaupt kein Sinn mehr, so einen separaten deutschen Staat zu erhalten.

Die Wiedervereinigung hatte aber keine Priorität. Die Brechung des Machtmonopols und freie Wahlen hatten für uns Vorrang. Die schnelle Wiedervereinigung war vermutlich die beste Lösung, auch wenn ich mich damals dafür eingesetzt habe, den beiden deutschen Staaten mehr Zeit zu lassen. Die Abwanderung hielt an, die wirtschaftliche Misere nahm immer mehr zu. Unter den Oppositionellen gab es nur Wenige, die wirtschaftlichen Fragen die nötige Bedeutung zumaßen. Wir hatten politische Grundrechte in den Vordergrund gestellt. Fragen einer ausreichenden Versorgung, die für die Mehrheit der Menschen wichtig waren, hatten uns weniger interessiert.

Hinzu kam, dass offenbar, das außenpolitische Fenster nur für kurze Zeit offen schien. Niemand wusste, wie lange Gorbatschow noch an der Macht sein wird, und ob das bescheidene Wohlwollen von Margaret Thatcher und Francois Mitterand erhalten bleibt. Ich habe mir für den Prozess einer Wiedervereinigung mehr Zeit gewünscht. Ich war Mitglied einer Initiative, die sich dafür einsetzte, eine neue, gesamtdeutsche Verfassung zu entwickeln und mit Volksentscheid zu beschließen. Das neue Deutschland sollte keine erweitert Bundesrepublik werden, sondern anlässlich der Wiedervereinigung einen Entwicklungsschritt nach vorn machen.

In dieser Initiative wurden gute Gedanken diskutiert: über Umweltschutz, Basisdemokratie, Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Beschränkungen von Waffenexporten und eine ganze Reihe von sozialen Gesetzen. Die Initiative scheiterte. Ein Volksentscheid auf Bundesebene war nicht möglich. Aber, auch wenn sich letztlich die Verfassung nicht sehr vom Grundgesetz unterschieden hätte, der Volksentscheid wäre wichtig für den Einigungsprozess gewesen. Damit wäre den Ostdeutschen eine reale Chance zur Mitbestimmung über das künftige Gemeinwesen eingeräumt worden.

Das Gegenargument lautete: Die Ostdeutschen hätten doch mit den Füßen für das Grundgesetz abgestimmt. Aber das ist Quatsch, weil viele DDR-Bürger das Grundgesetz gar nicht kannten. Die Bevölkerung hat mehrheitlich mit den Füßen gegen das alte Regime gestimmt, nicht um alles, auch das dringend Reformbedürftige, aus dem Westen zu übernehmen.

In den drei Monaten am Runden Tisch mussten wir Wahlen vorbereiten. Wir haben natürlich auch kolossal viele Fehler gemacht. Aber es war auch nicht anders möglich. Wir waren auch überfordert. Wir hatten keinen Apparat, wir hatten keine Erfahrung. Wir haben das Beste draus gemacht.

Wie halten sie den Menschen entgegen, die sagen, es sei nicht alles schlecht in der DDR gewesen?

Mir fällt nicht allzu viel ein, was im politischen System der DDR positiv gewesen sein soll. Es wird immer das Sozialsystem genannt. Aber wenn man genau hinschaut, war das sehr lückenhaft und auch nicht mehr bezahlbar. Die Alten, Kranken und Behinderten waren unterversorgt und die Krankenhäuser waren schlecht ausgestattet. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie zum Beispiel mit alten Menschen umgegangen wurde. Auch im Bildungssystem gab es viele Defizite, Meinungsstreit wurde beispielsweise gar nicht eingeübt. Vieles wird heute verklärt.

Sie haben jahrelang in der Opposition gegen das Unrechtssystem in der DDR und für einen demokratischen und sozialen Staat gekämpft. Sind Sie heute zufrieden mit ihrem Leben in der Bundesrepublik?

Natürlich bin ich nicht zufrieden, man kann in der aktuellen Finanzkrise und mit der wachsenden sozialen Ungleichheit auch nicht zufrieden sein. Aber ich bin froh, dass die Voraussetzungen geschaffen worden sind, dass jeder sich politisch zu Wort melden kann, ohne Angst haben zu müssen, eingesperrt zu werden. Das wird nur zu wenig genutzt. Der Mangel an sozialer Gerechtigkeit gefährdet auch die Demokratie. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, wach zu bleiben und zu sehen, wie geht es anderen, was ist zu tun gegen das Unrecht. Zu DDR-Zeiten schienen diese Themen weniger komplex. Uns war klar, wir müssen den Allmachtsanspruch der Partei brechen, um etwas zu verändern. Heute können die Bürger sich zwar frei äußern, nur es bedarf auch oft großer Kraftanstrengungen, um tatsächlich politisch etwas durchzusetzen. Aber im Gegenteil zum System in der DDR ist in dieser Gesellschaft eine Politik abwählbar, die sich gegen die Mehrheitsinteressen richtet. Doch das geschieht nur, wenn die Menschen ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten auch nutzen.

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