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70 Jahre Bäckerei Schröter: Die Brötchenorgel läuft noch

Seit 70 Jahren gibt es die Bäckerei Schröter. Zum Teil arbeitet der Familienbetrieb noch mit Maschinen aus VEB-Produktion. Nach der Ostschrippe fragt aber keiner mehr.

Wie schade. Den wunderbaren Bäckereiduft nehmen Erich Schröter und seine Söhne Andreas und Matthias kaum noch wahr. So ist das, wenn man fast sieben Tage die Woche in der Backstube steht, sagt Andreas Schröter. „Oder man muss mal Urlaub machen und die Nase lüften.“ Aber jetzt kommt die Vorweihnachtszeit, da gibt es besonders viel zu tun. Zum Beispiel müssen Stollen gebacken werden – auch der fünf Meter lange, der bei der Eröffnung des Weihnachtsmarkts am 23. November angeschnitten wird. Und immer schnell weg ist. Schröters Stollen sollen die besten in Potsdam sein, heißt es. Das Rezept ist Familiengeheimnis und nur an zwei Stellen zu finden: im Tresor und im Kopf von Erich Schröter. Als er vor zwei Jahren in den Ruhestand ging, hat er es natürlich an seine Söhne weitergegeben. Jetzt ist die nächste Generation dran. Und so konnte im November das 70-jährige Geschäftsjubiläum gefeiert werden.

Die Geschichte der Schröters beginnt mit dem Vater von Erich Schröter. Der hieß auch Erich, war gelernter Bäcker und übernahm 1945 in Blönsdorf bei Jüterbog eine Bäckerei. In der Chronik der Schröters ist das das Gründungsjahr der Firma. 1954 ziehen sie nach Potsdam, in die Charlottenstraße.

Ohne Familienzusammenhalt würde es nicht funktionieren

„Damals noch voller Ruinen“, sagt Erich Schröter junior. Das Haus gehört zu einer Reihe von Gebäuden, die ab 1781 für Handwerker gebaut wurden, mit kleinteiligem Nebengelass. Als das Nachbarhaus, das Eckhaus Charlotten-/Dortustraße, frei wird, ziehen Schröters kurzerhand um, denn eine Ecke, sagt Konditormeister Erich Schröter pragmatisch, ist für Geschäftsleute immer interessant. Irgendwann können sie die Immobilie und das Nachbarhaus dazu sogar kaufen. Dass ihnen Haus und Hof gehören, erleichtert heute das Fortbestehen als Familienbetrieb inmitten der überregionalen Bäckereifilialen. 1954 gab es noch zwölf private, heute sind es nur noch drei.

Auch ohne den Familienzusammenhalt und das Selbstverständnis, mit dem alle mit anpacken, würde es nicht funktionieren. Die Nachfolge war stets gesichert. 1965 steigt Erich Schröter junior ins Geschäft ein, mit 18 Jahren. Er heiratet eine Optikerin und holt sie mit ins Geschäft. Auch die Frau von Sohn Andreas steht jetzt hinterm Tresen. „Wenn die Familie eine Bäckerei ist, dann ist das eben so“, sagt Andreas Schröter. Außerdem findet er es schön, seine Frau wenigstens ab und zu mal zu sehen, wenn man schon so viel arbeitet. Auch die beiden Söhne konnten sich keine anderen Berufe vorstellen. Eltern und Großeltern wohnten im Haus über der Bäckerei, man wuchs da so rein, sagen sie. Matthias, heute 37 Jahre alt, lernte Bäcker, Andreas, 32 Jahre alt, Konditor, und dessen kleiner Sohn turnt jetzt auch schon bisweilen durch die Backstuben.

Die Brötchenorgel macht einen Höllenlärm

Das Hinterland der Bäckerei ist weitläufig, fast zum Verlaufen groß. Im Hof stehen Kühlzelle und Mehlsilo, daneben trocknen frisch gewaschene Schürzen. Im Haus gibt es separate Räume zum Anrühren, für Brot und Blechkuchen, einen Tortenraum und einen Pfannkuchenraum, in dem zum 11.11. sage und schreibe 5000 Pfannkuchen durch die Fettwanne wanderten. An einem normalen Tag sind es höchstens 100. Neben modernen Öfen stehen auch Maschinen aus VEB-Produktion. Zum Beispiel eine „Brötchenorgel“, auch Lang- und Rund-Würgmaschine genannt. Mit der wird das Kleingebäck geformt. Das Gerüttel macht einem Höllenlärm, aber warum soll man eine Maschine wegwerfen, die noch tadellos funktioniert, sagt Andreas Schröter. Der DDR-Zeit an sich trauern sie nicht hinterher: Nur knapp entgingen sie der Verstaatlichung, weil sie mit weniger als zehn Mitarbeitern als Kleinbetrieb galten. Und weil es irgendwann Subventionen gab. „Mit fünf Pfennig für ein Brötchen konnte ja keiner überleben“, sagt Erich Schröter.

Er hat noch immer den Überblick über die Buchhaltung – auch jetzt im Ruhestand. In der Backstube stehen aber längst andere. In einem Kessel ruht der Sauerteig für die kommende Nacht, wenn um 20 Uhr das Brotbacken beginnt. Bäckerarbeit ist immer auch Nachtarbeit. Umso mehr, wenn alles Eigenproduktion ist. Kein Mehlmix, kein Fertigprodukt wird verwendet. Die Mehle kommen aus einer Magdeburger Mühle. Die Kunden wussten das nach der Wende zu schätzen. Irgendwann war das Neue ausprobiert, die Stammkunden kamen zurück. Heute macht das reine Ladengeschäft nur noch ein Viertel des Umsatzes aus. Das meiste liefern sie an Hotels, Kitas, Seniorenheime und das St. Josefs-Krankenhaus. Hin und wieder bestellen auch die Filmstudios bei ihnen, zum Beispiel Weihnachtsgebäck im Sommer, wenn gerade etwas Weihnachtliches gedreht wird, oder Torten. Im fertigen und essbaren Zustand oder mal mit Styroporinnenleben – je nachdem, was für das Drehbuch gebraucht wird.

Die Ostschrippe war ein Mythos

Nach der Ostschrippe, sagt Erich Schröter, fragt aber längst keiner mehr. „Das war ein Mythos. Würden wir heute eine wirkliche Schrippe von damals essen, sie würde uns nicht schmecken. Die Qualität der Zutaten war damals viel schlechter“, sagt er. War es ein schlechter Sommer, war auch das Mehl schlechter als sonst. Rosinen und Nüsse gab es gleich gar nicht – und wenn doch, hortete man sie für die Weihnachtsbäckerei.

Die hat schon längst wieder einmal begonnen. Im Regal liegen blecheweise halbfertige Dominosteine und fertige Weihnachtsstollen. Voller Rosinen. Wer selber backen will, sollte nicht an guten Rohstoffen sparen, rät Andreas Schröter. „Und den noch heißen Stollen mit ordentlich Butter begießen, damit er saftig bleibt.“

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