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Alessandra Buonanno erhält Leibnitz-Preis: Deutschlands wichtigster Forschungspreis geht nach Potsdam

In der Schule lernte Alessandra Buonanno das genaue Beobachten der Natur. 2015 gehörte sie zu den Entdeckern der ersten detektierten Gravitationswellen aus dem All. Nun wird die Physikerin aus Golm dafür mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet.

Potsdam/Golm - Gravitationswellen einfangen ist wie Angeln. Irgendwo in einem sehr großen See befindet sich ein Fisch, den man haben will. „Man weiß, dass er da ist, aber man weiß nicht, wann er sich zeigen wird“, sagt Alessandra Buonanno.

Die Forscherin am den Leibniz-Preis, verliehen.

„Natürlich erinnere ich mich an den Tag der Entdeckung“, erzählt die Physikerin. An jenem Vormittag ploppte eine E-Mail an dem Rechner in ihrem Golmer Arbeitszimmer auf. „Plötzlich klapperten überall die Türen, alle traten raus auf den Gang und dann kamen wir im Meeting-Raum zusammen. Wir waren alle total aufgeregt. Ein wunderschöner Moment.“

USA, Italien, Berlin und Potsdam

Seit 2014 ist die 49-jährige Wissenschaftlerin Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam, seit 2017 Honorarprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität und an der Universität Potsdam. Potsdam mit Golm sei ein toller Ort für Wissenschaftler, sagt sie. „Wir haben hier vergleichsweise viel Freiheit, was unsere Themenwahl betrifft, und bekommen eine sichere Finanzierung.“ So lassen sich auch langfristige Projekte aufbauen und durchführen. Buonanno entwickelte beispielsweise die theoretischen Modelle, mit denen die Signale der Gravitationswellen identifiziert und interpretiert werden können.

Die Physikerin ist gebürtige Italienerin und Staatsbürgerin der USA. Jetzt lebt sie in Berlin und arbeitet in Potsdam. „Ich fühle mich wie ein Weltbürger“, sagt sie, wenn sie gefragt wird, wo ihr Zuhause ist. Heimat war und ist eine Kleinstadt südlich von Rom. Dort geht sie zur Schule und dort beginnt ihre Begeisterung für die Wissenschaft. Maßgeblichen Einfluss hatte damals ein Lehrer der Mittelschule. „Er führte mit uns aufregende Projekte durch. Er ließ uns die Natur beobachten und wahrnehmen. Wir machten Langzeitstudien über kleine Biotope, um zu sehen, wie diese sich durch die Jahreszeiten verändern. Wir lernten zu messen und Werte zu protokollieren, wir zeichneten Bilder oder fotografierten“, erzählt die Physikerin heute. „Und das alles ohne Smartphones, nur mit Papier und Stift!“, sagt sie mit einem Lachen.

Später bauen sie Miniaturmodelle städtischer Gebäude. „Da musste man genau messen und rechnen, damit es maßstabsgerecht wird und am Ende alles stimmt.“ So etwas macht ihr Spaß. „Ich wollte immer alles verstehen, überall dahinter schauen.“ Auch Teamwork lernt sie in der Schule: ein wichtiges Tool.

Nach der Mittelschule besucht sie ein Gymnasium mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Es sind die Jahre, in denen große Fortschritte in der Teilchenphysik gemacht werden. Teilchen, die kleinsten Dinge, aus denen alles ist, bis sich nichts mehr zerlegen lässt – oder doch? „Wenn man zwei aufeinanderprallen lässt, zerbrechen sie und man sieht, was darin ist“, sagt Buonanno ein wenig schelmisch. Die kleine, zarte Frau erzählt das mit kraftvollen Gesten und schlägt ihre Fäuste in der Luft zusammen.

Brillante Gedanken auf der Kreidetafel

Als 1984 der Nobelpreis an den italienischen Physiker Carlo Rubbia geht, kommt ihr ein Gedanke: Wie schön wäre es, nach Herzenslust forschen zu dürfen und dafür auch noch bezahlt zu werden! Als Studienfach kommen Medizin und Physik infrage. Sie wählt Physik. „Als Mediziner braucht man ein breites Wissen. Ich aber möchte mich in spezielle Themen tief einarbeiten können.“ 1997 macht sie ihren Master in Pisa, weitere Stationen sind Genf, Paris, Pasadena in Kalifornien. Bevor sie nach Potsdam kommt, ist sie Professorin an der Universität Maryland.

Ihre Sprache ist jetzt die Mathematik und Physik das Medium, mit dem sie mit Kollegen überall auf der Welt kommunizieren kann. Forschen, das ist wie Fenster öffnen, sagt sie. Aufdecken. Hinter die Dinge schauen. Dabei braucht es gute Bedingungen, Technik und Mitarbeiter, mit denen man zusammenarbeiten kann. Genauso gerne arbeitet sie für sich. „Ich muss auch mal alleine in meiner kleinen verrückten Kammer konzentriert grübeln können“, sagt sie.

In ihrem Arbeitszimmer in Golm stehen zwei Schreibtische, Bücherwand und Sitzecke. Und eine klassische Schultafel, auf der mit Kreide geschrieben wird – kein Smartboard. „Ich liebe meine Kreidetafel“, sagt Buonanno. Sie benutzt sie gleich für eine Skizze, um zu verdeutlichen, wie das geht, Gravitationswellen auffangen. Und was für ein unerhörter Zufall und Glücksfall es ist, wenn die Messinstrumente auf der Erde die feinen Wellen, die vor Milliarden Lichtjahren im All losgeschickt wurden, auffangen und aufzeichnen können. Wenn sie darüber spricht, benutzt Buonanno gerne den Begriff der Schönheit. „Manche Menschen empfinden Schönheit, wenn sie vor einem Gemälde stehen oder ein Musikstück hören“, sagt die Physikerin. „Ich finde den Gedanken, hier etwas so Besonderes entdeckt zu haben, was Einstein vor genau 100 Jahren vorhergesehen hat, als wunderschön. Dass wir das jetzt wissen und verstehen, wir, die wir gerade jetzt zufällig auf der Erde leben – das ist doch verrückt.“

„Das ist alles so crazy.“

Seit der Entdeckung hat sie mehr Arbeit als zuvor. Die Instrumente müssen sensibler werden, damit Fehlerquellen – Messungen fremder Vorgänge, die mit den Gravitationswellen nichts zu tun haben – ausgeschlossen werden können. Wenn man sie fragt, wozu das alles gut ist, fragt sie zurück: „Wofür ist eine schöne Blume gut? Oder Kunst? Sie sind schön aufgrund ihrer bloßen Existenz.“ So sei das auch mit der Grundlagenforschung. „Es ist ein großes Missverständnis, dass alles immer sofort einen praktischen Nutzen haben muss.“

Nur wenig Zeit bleibt neben ihrer Arbeit, um Potsdam zu entdecken. Das Holländische Viertel gefällt ihr, und natürlich hat sie Sanssouci und das Einsteinhaus in Caputh besucht. Potsdam, das sie vorher nicht kannte, habe sie überrascht: „Es ist viel internationaler, als ich dachte.“ Die komplizierte, komplexe deutsche Geschichte dieser Region findet sie spannend. Und dass die Deutschen so kulturaffin sind, so musikalisch. „Hier singt ja fast jeder in einem Chor oder kann ein Instrument spielen.“ Sie selbst fährt gerne Rad, fotografiert und macht Pilates. Und wartet auf neue Wellen aus dem All. „Eines Tages“, sagt sie, „werden wir herausbekommen, wie das mit dem Urknall war. Das ist alles so crazy.“

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