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Brandenburg: Der unerwünschte Aufmarsch

Mieterhöhung, Investoren, Auszugsprämien: Der Wedding verändert sich Mit der Walpurgisnacht-Demo können viele aber trotzdem nichts anfangen

Berlin - Für Willi Rausch, 68, ist die Welt im Sprengelkiez in Berlin -Wedding noch in Ordnung. „Hier ist doch alles in den vergangenen Jahren immer besser geworden“, sagt er. „Mehr Grün, stabile Miete.“ 500 Euro zahlt er warm für seine 86 Quadratmeter-Wohnung in einem Genossenschaftshaus. Angst vor Gentrifizierung? Rausch schüttelt den Kopf.

Ein paar Straßen weiter, im Brüsseler Kiez, sieht Werner Ritzmann die Dinge anders. Der 36-Jährige erzählt von Investoren, die ganze Blocks an der Ostender Straße aufgekauft haben. „Nun drohen sie mit Mieterhöhungen, um uns rauszuekeln.“ Eines aber eint den Rentner und den jungen Techniker: Beide lehnen die Demo der linksextremen Szene zur Walpurgisnacht ab, die am Montagabend vor dem 1. Mai erstmals durch ihre Kieze ziehen soll. Angespannt warten sie, was da auf sie zukommt. Sie fürchten Krawalle. Viele Leute wollen ihre Autos „ganz weit wegstellen“, sagt Ritzmann.

Bisher war die gewaltträchtige „antikapitalistische Walpurgisnacht-Demo“ traditionell durch Friedrichshain und Prenzlauer Berg gezogen. Dass sie diesmal überraschend in den Sprengelkiez und Brüsseler Kiez in Wedding verlegt wurde, also in das Gebiet zwischen S-Bahnhof Wedding, dem Nordufer am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal, der See- und Müllerstraße, hängt mit dem neuen, in der autonomen und linken Szene äußerst zugkräftigen Thema der revolutionären 1. Mai-Demos zusammen: der Gentrifizierung. Der Verdrängung der angestammten Bevölkerung „durch den Teufelskreis aus Besitzerwechseln, Sanierungen und stark steigenden Mieten“, so ein Demoaufruf. Nicht nur Kreuberg, Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg seien davon betroffen, sondern neuerdings auch Wedding, meinen die Protestler. Deshalb der Ortswechsel.

Aber der bevorstehende Aufmarsch Tausender Demonstranten unter dem Motto „Nimm, was Dir zusteht“, bewacht von bis zu 7000 Polizisten, scheint viele Kiezbewohner eher zu verschrecken – sofern sie überhaupt schon davon wissen.

An der Sprengelstraße 15 steht das „Sprengelhaus“. Und im ersten Hinterhof, linker Seitenflügel, treffen sich in diesem „interkulturellen Gemeinwesenzentrum“ an jedem ersten Sonntag im Monat engagierte Anwohner zum Kiezfrühstück. „Keine Frage“, sagt Siemen Dallmann vom Kiez-Förderverein, „seit drei Jahren ist hier hinter den Fassaden einiges los“. Häuser würden verkauft, oft nur oberflächlich saniert, um Mietsteigerungen zu begründen. Spätestens bei jeder Neuvermietung langten die Investoren zu. „Dann verdoppeln sich hier die Mieten von 4 auf bis zu 9 Euro pro Quadratmeter.“

Die Polizei hat ihre Strategie klar vorgegeben: „Krawallmacher offensiv festnehmen, aber zugleich versuchen, mit allen friedlich klarzukommen, die sich ansprechen lassen.“ So will sie am Montag und Dienstag die Demos unter Kontrolle halten. Dabei ist die Polizeiführung unter Druck, denn die Szene hat in diesem Jahr früher und aggressiver als bisher mit der Mobilisierung begonnen. Und auch die neuen Schauplätze der Demos bergen Risiken. Außer Wedding gehört dazu Mitte. Diesmal endet die Revolutionäre 1.-Mai-Demo am Bebelplatz .

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