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Kultur: Der neuen Welt den eigenen Anteil abtrotzen „Brandenburg liest“ in der Villa Quandt

Dramaturgisch gesehen ist das Format ein ziemliches Wagnis: Acht Autoren in sechs Stunden. Dreißig bis vierzig Minuten Lesezeit, kurze Pause, dann wieder eine Lesung.

Dramaturgisch gesehen ist das Format ein ziemliches Wagnis: Acht Autoren in sechs Stunden. Dreißig bis vierzig Minuten Lesezeit, kurze Pause, dann wieder eine Lesung. Vor der Tür ein lauer Sommerabend, der sein Bestes tut, um abzulenken. Das Brandenburgische Literaturbüro hat sich mit „Brandenburg liest“ bewusst für das Prinzip Überforderung entschieden. Und der Samstagabend in den bis fast zum Schluss voll besetzten Räumen der Villa Quandt zeigte: Das Prinzip greift.

Den spritzigen Anfang machte der jüngste der geladenen Autoren: der Potsdamer Ferenc Liebig mit Auszügen aus seinem Kurzgeschichtenband „Die Guten werden gehen“ und einem eigens für diesen Abend entstandenen Text, in dem ein Autor bei einer Lesung auf eine hypnotische Reise ins eigene Ich geschickt wird, um am Ende dann – Augen auf! – wieder in einer Lesung zu landen. Danach traten die schwereren Gewichte auf den Plan. Zunächst Bärbel Dalichow, die langjährige Direktorin des Potsdamer Filmmuseums. Sie las erstmals aus ihrem Langzeitprojekt „Zwiegespräche mit Montaigne“, begonnen vor vier Jahren, nachdem sie die Leitung des Museums abgegeben hatte. „Verschlissen von der Knechtschaft des Dienstes“ suchte sie damals den Austausch mit dem französischen Renaissance-Gelehrten auf dem Papier. Inzwischen arbeitet sie an Band fünf. In Anlehnung an das von Montaigne praktizierte „abschweifende Denken“ befragt sich Dalichow selbst, als Rentnerin („Ist das jetzt die gefürchtete Rentner-Neurose?“), als Frau mit DDR-Geschichte im Gepäck. „Ich sehne mich nach der beschränkten DDR-Konsumwelt zurück“, heißt es einmal, als sie mit der überwältigenden Auswahl an Toilettendeckeln im Baumarkt konfrontiert wird. Das Gelächter im Saal zeigte: Man wusste, wovon sie sprach.

Zur „Prime-Time“ gegen 20 Uhr dann: Die Potsdamer Autorin Julia Schoch mit zwei erstmals an der Öffentlichkeit ausprobierten Auszügen aus ihrem für Februar 2018 angekündigten Roman „Schöne Seelen und Komplizen“. Schüler eines Potsdamer Elite-Gymnasiums kommen hierin zu Wort – als Jugendliche um 1990, und dreißig Jahre später als Erwachsene. Deren damalige Lehrerin bekommt im zweiten, in der Gegenwart spielenden Abschnitt ihr Fett ab: Als gestählte 70-Jährige in einem Fitnessstudio wird sie beschrieben durch die Perspektive einer ziemlich gehässigen ehemaligen Schülerin. Wer glaubt, Julia Schoch habe keinen Humor, der wird hier eines Besseren belehrt. Man darf gespannt sein auf die Buchpremiere, die für den 2. Februar in der Villa Quandt angekündigt wurde.

Auch der neue Text von Lutz Seiler lässt die Zeit nach 1990, die Zeit der Neuanfänge und schwebenden Möglichkeiten, aufleben. Er las „Meine Wohnung“, im März in der Zeitschrift „Sinn und Form“ erschienen, den Mittelteil des neuen Romans, an dem Lutz Seiler arbeitet. Ort ist das raue, graue Ostberlin der frühen 1990er: Im Text streift der Ich-Erzähler durch die Hinterhöfe Friedrichshains auf der Suche nach einer Wohnung, die er für sich, seine Freundin und deren Baby besetzen kann. Der „neuen Welt“ will er „den eigenen Anteil abtrotzen“. Er findet drei Wohnungen – und nimmt am Ende keine.

Entertainer und bekennender Uckermärker Harald Martenstein, ganz offensichtlich Bühnenauftritte gewohnt und genießend, hatte anschließend mit den kurzweiligen Berlinale-Texten aus „Im Kino“ das Publikum ganz auf seiner Seite. Inzwischen war es fast zehn, Zeit für schlüpfrige Texte über Filme mit Titeln wie „In der Lederhose wird gejodelt“. Dabei kam der Tagesspiegel-Kolumnist so in Fahrt, dass die danach lesende US-Amerikanerin Nell Zink kürzertreten musste, um den Zug zurück in ihre Wahlheimat Bad Belzig nicht zu versäumen.

Nach einem stilleren, poetischeren Intermezzo von Paula Schneider, die aus ihrem Buch „Bleib bei mir, denn es will Abend werden“ las – der Geschichte um eine 50 Jahre währende Liebe – sorgte Sven Stricker schließlich für den Rausschmeißer. „Mensch, Rüdiger!“ heißt der Roman, der im August erscheinen wird – filmisch-flotte Dialoge, animiert vorgetragen. Zwei Selbstmordversuche als „heiteres Thema“ (Stricker): So ging „Brandenburg liest“ zu Ende. Lena Schneider

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