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Kultur: Das Lebewesen Papier

Beate Hoffmeister mit „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ in der a/e-Galerie

Beate Hoffmeister lässt Papier wachsen wie Gras. Sie lässt es sich so sanft bewegen, dass man glaubt, da liegt ein ruhig schlafendes Tier. Und dann lässt Beate Hoffmeister Papier zu Holz, zu Stroh und zu Gesteinsschichten werden.

„Kein Anschluss unter dieser Nummer“ ist der anfänglich verwirrende Titel der Ausstellung mit den 35 Papierarbeiten von Beate Hoffmeister in der a/e-Galerie. Doch schnell wird klar, dass dieser Titel eine humorvolle Anspielung der Künstlerin auf das Material ist, mit dem sie seit 40 Jahren fast ausschließlich arbeitet. Aus Telefon- und Branchenbüchern entwickelt Beate Hoffmeister ihre Collagen, Assemblagen und kinetischen Objekte. So schafft sie eine faszinierende und im Wortsinne vielschichtige Welt, die den Besucher nicht nur zum intensiven Betrachten, sondern gelegentlich auch zum Berühren verführt. Eine Papierwelt, die äußerst tiefsinnig und anspielungsreich ist.

Da ist das „Kinetische Papier 7“, ein Kranz von feinsten Papierfäden unter einer Glaskuppel. Daneben liegt ein an einen schwarzen Waschlappen erinnernder Handschuh. Mit dem streicht der Besucher langsam über das Glas, elektrische Spannung entsteht und lässt die Papierfäden sich langsam aufrichten. Sie wachsen wie Gras. Gelegentlich erinnern die Bewegungen des Papiers an das sanfte Wiegen von Seegras. Gleich daneben steht das „Kinetische Papier 2“, kreisrund wie ein Schnitt durch einen Baumstamm. Durch einen Bewegungsmelder wurde auch dieses Papier in Bewegung gesetzt. Die zahllosen Papierlamellen sind in der Mitte an eine Zylinder geklebt, der sich langsam vor- und dann wieder zurückdreht. Die Papierlamellen scheinen zu tanzen, schwarmgleich einer ihnen innewohnenden und nur ihnen bekannten Choreografie zu folgen. Es ist, als würde sich vor den Augen eine Schallplatte drehen, sich in ihre Bestandteile auflösen und sich dabei zu einer Musik bewegen, die nicht zu hören ist.

An den Wänden hängen neben wenigen großen vor allem kleinformatige Collagen und Assemblagen, die durch ihre klaren Strukturen und dem aus der Distanz fast monochromen Erscheinungsbild einen stark meditativen Charakter haben. Manche dieser Arbeiten wirken wie Gesteinsmuster unter dem Mikroskop, wie die feinen Zeichnungen im Holz oder reliefartige Gebilde. Daneben spielt Beate Hoffmeister oft mit geometrischen Figuren.

Berührt man fast schon zwanghaft, aber nur kurz und vorsichtig, einige dieser Papierkunstwerke, fühlen diese sich mal hart wie Holz, weich wie Gras oder trocken-brüchig wie Stroh an. Damit dieser Berührungszwang aber nicht ausartet, holt Galeristin Angelika Euchner ein Kästchen mit Probestücken aus der Vitrine und man ist erstaunt, dass dieses fein geschnittene Papier sogar weich wie ein Fell sein kann.

In Hessen geboren, hat Beate Hoffmeister während ihres Studiums an der Berliner Hochschule der Künste in den 70er-Jahren eher durch Zufall ihr Arbeitsmaterial entdeckt. Schon damals hatte sie sich mit Papiergrafiken und -collagen auseinandergesetzt. Ihre Malerkollegen nutzten in dieser Zeit für das Abstreifen ihrer Pinsel alte Telefonbücher. Beate Hoffmeister beobachtet fasziniert, wie sich dieses besondere Dünndruckpapier in den unterschiedlichen Zuständen von trocken bis feucht veränderte und begann mit ihren ersten Experimenten. Mit den Jahren hat sie daraus eine Passion entwickelt, die für den Besucher zu einer Offenbarung werden kann.

Denn in Beate Hoffmeisters Arbeiten spiegelt sich die Welt, wenn sie das Papier entfremdet, es seinem reinen Nutzzweck entzieht, es zerlegt in die einzelnen Bestandteile und so im Grunde auch im übertragenden Sinne den Entstehungs- und Herstellungsprozess wiedergibt. Gleichzeitig verbindet sie hier spielerisch überholte analoge Kommunikation mit der allumfassenden Digitalisierung. Sie hat einzelne Telefonbuchseiten so geschwärzt, dass nur noch „0“ und „1“ zu lesen sind, das sogenannte Dualsystem der Digitaltechnik. Für eines ihrer Objekte hat sie kleine Papierbausteine und CD-Roms zu einer Art Miniaturrundregal gestapelt und das scheinbar Gegensätzlich so eine Zweckgemeinschaft eingehen lassen. Eine schwarze Kugel hat Beate Hoffmeister mit schmalen Papierstreifen so umklebt, sodass ganz offensichtlich ein weltumspannendes Netzwerk entsteht.

Es ist dieses Spiel zwischen dem Anspielungsreichen im scheinbar Technischen und Mathematischen ihrer Arbeiten und dem Natürlichen, oft auch Meditativen, das diese Ausstellung so reizvoll macht. Dazu der feine Humor von Beate Hoffmeister, der sich mal leicht in Titeln wie „O-Book“, „Backkompetenz“ oder „Onkel Kurt“ und „Tante Else“ findet, sich aber oft erst beim genauen Hinschauen entpuppt. Und es ist gerade das genaue und wiederholte Hinschauen, das die Arbeiten von Beate Hoffmeister zu einer Erlebnis machen.

Die Ausstellung in der a/e-Galerie, Hermann-Elflein-Straße 18, ist noch bis zum 18. Oktober, mittwochs, donnerstags und freitags von 15-18 Uhr, samstags von 12-16 Uhr geöffnet

Dirk Becker

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