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Friedrich II.: Das Geheimnis der Königssärge

Wie ein Unterhändler des SED-Regimes in den 1980er Jahren versuchte, die Gebeine Friedrich II. in die DDR zu überführen

Von einer kuriosen Arabeske spricht der Historiker Martin Sabrow. Mehr wäre die Irrfahrt der Königssärge – der Gebeine Friedrich des Großen und seines Vaters Friedrich Wilhelm I. – tatsächlich auch nicht gewesen, hätte sich nicht auf der letzten Etappe eine merkwürdige, ja fast schon unglaubliche politisch-historische Verbandelung ereignet, die dem landläufigen Geschichtsbild widerspricht. Sabrow, der als Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) mit preußischer wie auch mit DDR-Geschichte(n) aller Art konfrontiert wird, hat ein Kapitel deutsch-deutscher Beziehungen aufgetan, das erstaunen lässt. Denn die Rückkehr der königlichen Särge 1991 nach Potsdam war nicht erst nach der Wende in Gang gesetzt worden, nein, sie hatte eine Vorgeschichte – und zwar in der DDR. Martin Sabrow hat den Briefverkehr eines gewissen Hans Bentzien mit DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker und dem Hohenzollern-Nachfahren Prinz Louis Ferdinand gesichtet. Eine Korrespondenz, die sich in Privatbesitz befindet, Kopien im Bundesarchiv existieren offensichtlich nicht. In einem Vortrag an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat der Historiker Sabrow seine erstaunlichen Entdeckungen nun publik gemacht. Für ihn handelt es sich um eine unglaubliche Übereinkunft. Alles begann mit der sattsam bekannten Irrfahrt der toten Könige. Bereits 1943 hatte die Wehrmacht die preußischen Königssärge aus der Potsdamer Garnisonkirche in einen Luftwaffenbunker in Wildpark in Sicherheit gebracht. Von dort wurden sie im März 1945 in einen Kali-Schacht im thüringischen Eichsfeld gebracht, um nach Kriegsende beim Rückzug der US-Truppen nach Marburg zu gelangen. Dort fanden die Gebeine der Könige zunächst im Landgrafenschloss und dann in der Elisabethenkirche eine Bleibe. Allerdings nicht für lange Zeit. Bereits fünf Jahre später gingen die sterblichen Überreste wieder auf Reise. Auf Wunsch des Hauses Hohenzollern wurden sie auf deren Stammburg im schwäbischen Hechingen überführt. Hier hatten sie dann zumindest bis zu ihrer Rückkehr nach Potsdam 1991 erst einmal Ruhe. Die feierliche Beisetzung der Särge 1991 unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) mochte wie ein Triumph des wiedervereinten Deutschlands gewirkt haben. Doch diese letzte Reise war bereits fünf Jahre zuvor vonseiten des SED-Regimes zumindest gedanklich vorbereitet worden – ausgerechnet von dem Staat, der zuvor zahlreiche Überbleibsel der Hohenzollern-Monarchie aus Abkehr vom preußischen Militarismus niederreißen ließ. Was wie ein Treppenwitz der Geschichte erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein äußerst geschickter Winkelzug eines offensichtlich nicht ganz 100-prozentigen SED-Funktionärs. Bereits 1986 hatte sich Hans Bentzien an DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker gewandt und die Rückkehr der Königssärge aus Westdeutschland nach Potsdam angeregt. Der unter Ulbrich entlassene ehemalige DDR-Kulturminister hob nicht auf die zarte Preußenrenaissance dieser Zeit ab, sondern regte vielmehr bei Honecker den Kampfgeist an. Mit einer solchen unerwarteten Aktion könne man den westlichen Gegner verwirren und vollends in den Hintergrund spielen, stellte Bentzien dem Staatsratsvorsitzenden gewieft in Aussicht. Zudem sei die Verlegung der königlichen Gebeine 1945 nach Marburg ein Willkürakt der US-Besatzer gewesen, den man nun revidieren könne. Schließlich verwies er darauf, dass man gar nicht der ungeliebten Garnisonkirche für die Rückführung bedürfe, habe doch Friedrich der Große nicht dort, sondern in einer Gruft nahe Schloss Sanssouci beigesetzt werden wollen. Bentzien erhielt ein Verhandlungsmandat von Honecker: „Aber diskret – ich weiß, dass der Chef des Hauses (Hohenzollern, Anm. d. Red.) nicht dafür ist“, so der Vermerk des Generalsekretärs am Ende des Schreibens, das Honecker offensichtlich ohne Kopie für sein Büro an den Unterhändler zurückschickte. Zwar blitzte Bentzien beim Hohenzollern-Nachfahr Prinz Louis Ferdinand erst einmal ab. Der sah als Bedingung für die Überführung die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Aber auch hier zeigte sich der Gesandte überaus geschickt. Er appellierte an die Familienehre des Hohenzollern-Nachfahren, schließlich wäre durch die Überführung die Möglichkeit gegeben, endlich dem bislang ignorierten testamentarischen Wunsch Friedrich des Großen nachzukommen und ihn in Sanssouci zu begraben. Da Louis Ferdinand nicht umhin konnte, den Willen seines Vorfahren zu vollstrecken, öffnete er sich dem Vorschlag aus Ostdeutschland. Nicht einmal sein Wunsch, die BRD miteinzubeziehen, konnte Bentzien aus der Bahn werfen, vielmehr spielte er nun über Bande. Man könne durchaus die Bundesrepublik um Befürwortung des Vorhabens bitten. Später regte er sogar Amtshilfe durch die BRD an, um den Druck auf Louis Ferdinand zu erhöhen. Es entwickelte sich ein reger Briefwechsel zwischen der „Kaiserlichen Hoheit“, wie Bentzien den Adeligen ansprach, und dem „lieben Herrn Minister“, wie Louis Ferdinand den Vermittler betitelte. Das Projekt wurde eifrig vorangebracht, vor allem vonseiten der DDR. Im Herbst 1987 besuchte Louis Ferdinand auf Honeckers Einladung Potsdam. Wie Bentzien berichtete, war der Eindruck des authentischen Ortes der Grabstätte Friedrich II. offensichtlich für den Prinzen so ergreifend, dass er fortan sogar seine Bedingung der Wiedervereinigung für die Überführung aufgab. Er habe Potsdam als seine Heimat wiedergefunden. Den Hohenzollern-Nachfahren hatte offenbar die Aura des authentischen Ortes nachdrücklich beeindruckt. Für Sabrow der entscheidende Punkt, ist doch der Hintergrund seiner Betrachtung die große Bedeutung, die das Moment der historischen Authentizität erlangen kann. Spätestens seit dem Besuch Louis Ferdinands in Potsdam wird die Geschichte schier unglaublich. Pocht doch nun der Königsnachfahr auf sein in der Weimarer Verfassung verbürgtes Recht, das Schloss Cecilienhof zu bewohnen. Hier hätte die ungleiche Bekanntschaft eigentlich ein Ende finden müssen. Doch nicht einmal dies scheint die Initiative der DDR ins Wanken gebracht zu haben. Bentzien bat noch 1988 Honecker um den Auftrag zu überlegen, wie auch diesem Wunsch Louis Ferdinands in Übereinstimmung mit den DDR-Gesetzen entsprochen werden könnte. Honecker markierte sich eine entsprechende Passage in einem Schreiben mit besonderem Nachdruck. Verblüffend bleibt rückblickend, dass sogar, als Bentzien in seinem Eifer so weit ging, den Vorwurf des Landesverrats zu riskieren, nichts geschah. Ganz im Gegenteil. Nicht einmal Bentziens Wortwahl von „Verständigung“ vor dem Hintergrund der von den Hohenzollern betrieben Wiedervereinigungspolitik brachte Honecker dazu, Bentzien zu bremsen. Doch wer war dieser ominöse Hans Bentzien? 1961 zum Minister für Kultur der DDR ernannt, wurde er 1966 geschasst, weil er sich gegen die Sprengung kulturhistorisch bedeutender Kirchen ausgesprochen hatte. Später war der dann stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen. Auch an der Rettung des Reiterdenkmals Friedrich II., das seit 1980 wieder unter den Linden steht, soll er beteiligt gewesen sein. Über seine Motive weiß man nicht viel. Er schien sein eigenes Spiel gespielt zu haben. In Olaf Kappelts „Braunbuch DDR“ wird er zu den SED-Funktionären gezählt, die trotz früherer NSDAP-Mitgliedschaft in der DDR zu Amt und Würden kamen. Dass die Überführung der Königssärge zu DDR-Zeiten nicht mehr zustande kam, lag nach Sabrows Auffassung nicht am mangelndem Willen beider Seiten, sondern vielmehr an einer Reihe hinderlicher Zufallsumstände. Gerade am Einsatz der DDR habe es nicht gemangelt. Letztlich brachte die Zeitgeschichte selbst das Vorhaben zum Fall, kam doch der Hohenzollern-Nachfahre 1989 zu dem Schluss, dass sich die Angelegenheit durch die Umbrüche in Osteuropa bald ohne bilaterale Bemühungen lösen lasse. Womit er recht behalten sollte. 1991 konnten die Särge in einem geeinten Deutschland nach Potsdam zurückkehren.

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