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Landeshauptstadt: Bomben-Krimi

Eigentlich sollte es schnell gehen, dann entwickelte sich die Entschärfung der 250-Kilo-Bombe zur Nervenprobe. Erst im zweiten Versuch wurde gesprengt

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Innenstadt - Es war ein Bomben-Krimi, der sich da am gestrigen Freitag am ehemaligen Tram-Depot abspielte. Nach dem Fund einer britischen 250-Kilo-Fliegerbombe am Mittwoch auf der Baustelle stellte sich bei der Untersuchung der Bombe durch Sprengmeister Klaus Schulze vom Kampfmittelräumdienst des Landes Brandenburg heraus, dass nur eine kontrollierte Sprengung des leicht deformierten Blindgängers möglich ist.

Bereits die Evakuierung der rund 3000 Potsdamer, die sich in dem rund 800 Meter großen Sperrkreis befanden, verlief alles andere als reibungslos: Eigentlich sollten die Menschen bis 7.30 Uhr selbstständig ihre Häuser verlassen. Unzählige allerdings taten dies erst nach Aufforderung durch die vier Evakuierungstrupps. Auch im Laufe des Tages berichteten Reporter von hitzigen Diskussionen an den Absperrungen. Eine Mitarbeiterin der Stadt gab außerdem eine Anzeige wegen Beleidigung auf, weil ein Störer sie erst verbal angegriffen hatte und dann in den Sperrkreis stürmte.

Nachdem die Bombe, die zunächst in 60 Zentimetern Tiefe auf dem Gelände nahe des Hauptbahnhofes lag, in eine extra ausgehobene Grube gelegt wurde, schlug dann auch noch die erste Sprengung gegen 12 Uhr fehl: Die angebrachte Sprengladung zündete nicht. Mehr als 20 000 Liter Wasser hatte die Feuerwehr in die neue Grube gepumpt, nach der Fehlzündung musste sie wieder geleert werden. Nachdem eine neue Sprengladung angebracht war, ließ Sprengmeister Schulze die Bombe mit Sand bedecken, um die Wucht der Detonation zu mindern. Gut zehn Minuten vor dem zweiten Sprengversuch durchbrachen aber gleich mehrere Personen den Sperrkreis – es kam erneut zu einer Verzögerung. Erst um 15.16 Uhr konnten die Einsatzkräfte aufatmen: Schulze konnte die Bombe im zweiten Versuch kontrolliert sprengen.

Es war der 189. Weltkriegssprengkörper, der seit 1990 in Potsdam gefunden und unschädlich gemacht wurde. Die Statistik erfasst dabei alle Sprengkörper über 100 Kilogramm. Insgesamt waren etwa 350 Helfer der Landeshauptstadt, der Feuerwehr und von Polizei und Bundespolizei im Einsatz. Im Sperrkreis befanden sich zwei Pflegeheime, eine Einrichtung des betreuten Wohnens, eine Kindertagesstätte, das Jugendkulturzentrum Freiland, zwei Friedhöfe, der Kletterpark, außerdem die Staatskanzlei, das Redaktionsgebäude der Märkischen Allgemeinen Zeitung sowie die Ministerien und Landesämter und der Bundespolizeistandort.

Eine besondere Herausforderung stellten nach Angaben der Stadt die Krankentransporte dar, vor allem, weil über 80 Rollstuhlfahrer aus dem Sperrkreis transportiert werden mussten. Als Ausweichquartiere dienten der Hauptbahnhof und die Bahnhofspassagen und für Alte und Hilfsbedürftige die Comeniusschule am Brauhausberg. Ihnen machte vor allem die Hitze zu schaffen, eine ältere Dame brach im Bahnhof zusammen und musste ärztlich betreut werden. Für die Evakuierung und die Einrichtung von Notquartieren blieb der Stadt nur wenig Zeit – Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) sprach von einer „logistischen Meisterleistung“. Schließlich müsse an Medikamente, Versorgung, ausreichend Personal und Plätze gedacht werden. 27 Rettungswagen seien unterwegs gewesen, um transportbedürftige Menschen aus ihren Wohnungen zu holen. Alle freiwilligen Feuerwehren würden mitmachen, so Schubert.

Auch der Tram- und Zugverkehr nach Potsdam war ab 9.30 Uhr über mehrere Stunden unterbrochen. Betroffen waren die Regionalbahnen 1, 21 und 22 sowie die S-Bahn. Am Mittwoch hieß es zunächst noch aus dem Rathaus, dass der Zugverkehr regulär weiterlaufe. Nach der Verzögerung der Sprengung verlängerte die Deutsche Bahn die Unterbrechung bis 15 Uhr.

Die Sprengung ist Klaus Schulze zufolge auch für ihn ein Sonderfall gewesen. „Normalerweise klappt es beim ersten Mal“, sagte er. Bereits 2010 musste eine Bombe nahe der Nuthe in Potsdam gesprengt werden. Damals lief alles reibungslos. Für die Störer, denen nun ein Bußgeld bis zu 5000 Euro drohen könnte, habe Schulze kein Verständnis. „Die Sperrkreise machen wir ja nicht, um uns zu profilieren“, sagte er. Man plane die Durchmesser ohnehin schon so klein wie möglich. Dennoch müsse man Sicherheit garantieren können. „Wer dann durchbricht, den verstehe ich nicht.“ Mindestens fünf Personen sollen am gestrigen Freitag den Sperrkreis durchbrochen haben. Die genaue Zahl war bis gestern unklar, da sowohl Ordnungsamt als auch Polizei Personalien aufgenommen hatten. Wie hoch ihr Bußgeld am Ende tatsächlich ausfallen wird, ist nun Ermessenssache des Potsdamer Ordnungsamtes. Auch Mike Schubert zeigte sich im Nachgang der Sprengung erbost: „Neben ganz vielen hilfsbereiten Potsdamern, die unseren Einsatzkräften Eis und Wasser gebracht haben, gab es auch ein paar, die einfach nicht verstanden haben, dass das eine Gefahrensituation ist.“ Sie hätten nicht nur sich selbst, sondern auch den Sprengmeister und die Einsatzkräfte in Gefahr gebracht.

Sprengmeister Schulze, der bereits seit 20 Jahren für den Kampfmittelbeseitigungsdienst arbeitet, sieht es gelassen: „Nach der Bombe ist vor der Bombe“, betonte er. In Potsdams Erdreich stecken laut Schätzungen vermutlich noch rund drei Tonnen Munition. Die Wahrscheinlichkeit, dass bald erneut eine Fliegerbombe die Menschen aus ihren Wohnungen zwingt, ist damit hoch. Schulze lobte gestern ausdrücklich alle Helfer, die in der sengenden Hitze an den Absperrungen ausharrten. „Respekt“, sagte er. Valerie Barsig, Roberto Jurkschat und Anna Köhler

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