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Hundekot-Regelung in Potsdam: Blinde müssen Hundehaufen nicht mehr einsammeln

Immer wieder beschimpfen Passanten eine blinde Potsdamerin, weil sie den Hundehaufen ihres Blindenhundes nicht beseitigt. Das Ordnungsamt Potsdam verlangte dann von ihr, hinter ihrem Hund sauber zu machen. Nun aber lenkt das Rathaus ein.

Potsdam - Erst die fehlende Baugenehmigung für einen Holzstapel, dann der schwer benutzbare Treppenlift zur Alten Fahrt, nun ein Streit um Hundekot: Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate hat das ZDF eine Posse der Potsdamer Stadtverwaltung zum „Hammer der Woche“ in der Sendung Länderspiegel erkoren.

Das aktuelle Beispiel für Bürokratenwillkür liefert diesmal – vor einem Millionenpublikum – das Ordnungsamt. Auslöser des Ganzen ist eine Anfrage von Nicole Einbeck, der Vorsitzenden des Beirats für Menschen mit Behinderung. Die 46-Jährige ist blind und auf ihren Führhund angewiesen. Immer wieder komme es dabei vor, dass andere Passanten sie beschimpften, wenn der Hund sein Geschäft gemacht hat, berichtete sie am Montag den PNN. Doch sie selbst könne den Kot nicht entfernen – eben weil sie ihn nicht sehen könne. Daher wollte sich Einbeck vor mehr als einem Monat beim Amt eine schriftliche Ausnahmegenehmigung beantragen, die sie im Zweifelsfall vorzeigen kann. Doch das lehnt die Ordnungsbehörde ab. Man werde keinen „Persilschein“ ausgeben, „dass der Hund sein Geschäft erledigen dürfe, ohne dass der blinde Hundeführer dies wieder entfernen muss“, erhielt Einbeck als Antwort.

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Blindenhunde lernen bereits als Welpen, ihr Geschäft nicht auf dem Gehweg zu verrichten

Sie will sich damit nicht abfinden – und wandte sich an die Fraktion Die Andere, die einige offizielle Anfragen an die Verwaltung stellte. In den Antworten bekräftigt das Ordnungsamt seine Auffassung. So würden Führ- und Assistenzhunde bereits als Welpen lernen, „sich an der Leine im Straßengraben oder in Gullydeckeln zu versäubern, nie auf dem Gehweg. Sie tun dies an Orten, wo in der Regel niemand hintritt“, schreibt die Bereichsleiterin Allgemeine Ordnungsangelegenheiten, Ilona Hönes. Dagegen zitiert das ZDF eine Ausbilderin der in Berlin ansässigen Stiftung Deutsche Schule für Blindenhunde, wonach Führhunde, so wie vom Ordnungsamt angenommen, eben nicht trainiert würden.

Doch das Ordnungsamt sieht Einbeck in der Pflicht. Sehbehinderte Halter könnten schließlich mit der Hand den Rücken des Hundes entlang fahren – „so dass sie merken, wo ungefähr der Kot liegt“, riet das Amt. Zudem gebe es spezielle Zangen mit einem langen Griff zur Entfernung der Häufchen. „Dies ist für den blinden Hundeführer auch zumutbar“, so die Behörde. Einbeck sagte, sie wüsste nicht, wie sie die Fäkaliensuche bewerkstelligen solle – zumal ihr Hund nach dem Geschäft sofort den Ort des Geschehens wieder verlasse. Unterstützung erhielt sie unlängst auch vom städtischen Behindertenbeauftragten Christoph Richter. In einer E-Mail an das Ordnungsamt schrieb er: „Das Mitführen einer durch Hundekot verschmutzen Zange ist für die Betroffenen aus meiner Sicht nicht zumutbar.“

Laut Einbeck gibt es nur drei Blindenhunde in Potsdam

Das Ordnungsamt beruft sich bei seiner Argumentation auf die sogenannte Stadtordnung. Darin ist klar geregelt: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig die durch von ihm mitgeführten Tiere verursachten Verunreinigungen und Beschädigungen an Verkehrsflächen und Anlagen nicht unverzüglich beseitigt.“ Ausnahmen von dieser Regelung seien auch deswegen nicht vorgesehen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen, der viele andere nach sich ziehen würde, schrieb das Amt an Einbeck. Blindenhundeführer, die nur als Gast in Potsdam seien, würden sonst benachteiligt.

Einbeck dagegen sagt, insgesamt gehe es um drei ihr bekannte Führhunde in Potsdam. Und in vielen anderen Kommunen wie in Berlin oder Marburg seien solche Ausnahmeregelungen gang und gäbe. Auch bei der Schlösserstiftung und ihren Parks ist das so. Hundehalter und -führer haben laut Stiftungsanlagenverordnung den Kot ihrer Tier zwar unverzüglich zu beseitigen. „Dies gilt aber nicht für blinde Hundeführer“, ist dort explizit eine Ausnahme formuliert. In einer der Antworten der Stadt auf die besagten Fragen der Fraktion Die Andere wird eine derartige Ergänzung der Stadtordnung aber abgelehnt – auch vor „dem Hintergrund der Forderungen der Behindertenverbände, die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fördern“ und die Diskriminierung von behinderten Menschen „zu unterbinden“.

"Uns hätte gefreut, wenn diese Menschen Hilfe leisten, anstatt zu schimpfen"

Am Montag nun lenkte das Rathaus ein. Man favorisiere nun doch eine Ausnahmegenehmigung für Betroffene, sagte ein Stadtsprecher den PNN und stellte eine Änderung der Stadtordnung in Aussicht, bei der man sich an Marburg orientieren wolle. Zudem wolle sich Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) mit Einbeck noch diese Woche treffen. Der Sprecher betonte, in der Praxis hätten Mitarbeiter des Ordnungsamts noch nie jemanden mit Blindenhund aufgefordert, den Kot des Hundes zu beseitigen. Das bestätigte auch Einbeck. Im Rathaus wünscht man sich auch von den Potsdamern mehr Verständnis: „Wir finden es schlimm, dass es offenbar zu Pöbeleien gegen blinde Menschen, die aus nachvollziehbaren Gründen den Hundekot nicht wegräumen, gekommen sein soll. Uns hätte es sehr gefreut, wenn diese Menschen Hilfe geleistet hätten, anstatt zu schimpfen.“

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Die schriftlichen Hinweise der Stadt für Hundehalter würden nun noch um einen Passus ergänzt, in dem um Verständnis für Menschen mit Behinderung geworben wird – und um Hilfe, beispielsweise beim Aufheben des Hundekots.

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Das Ordnungsamt wird noch ein wenig Hohn ertragen müssen.  Nach dem Motto: Soll die betreffende Bereichsleiterin zur Strafe für unsensibles Kommunizieren doch einmal eine Stunde lang „Blindekuh“ mit Hundehaufen spielen – oder schlicht Nachhilfe in Sachen Bürgerfreundlichkeit erhalten. Ein Kommentar >>

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