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Kultur: Bilder vom Werden und Vergehen

Birgit Ginkel malt Porträts von Maueropfern – körperliche Arbeit gegen Schmerz und Vergessen

Sie ist eine kleine Frau. Wenn Birgit Ginkel neben ihren Bildern steht, die wie eine Perlschnur aufgereiht an einer weißen Wand geordnet sind, muss sie ein wenig hochschauen. Das passt zu der Art, in der sich die Künstlerin ihrem Thema genähert hat. Mit Abstand und doch ganz bestimmt. Die Potsdamer Malerin hat in einer außergewöhnlichen Weise Menschen porträtiert, die an der Berliner Mauer gestorben sind. Zwölf hat sie für die Ausstellung ausgewählt, zwölf wie die Zahl der Apostel. Jetzt sind die Bilder in einem Konferenzraum im Brandenburger Kultusministerium zu sehen.

Vor elf Jahren erlebte Birgit Ginkel, den Schmerz von Verlust, Leere und Traurigkeit sehr unmittelbar, als sie ein Kind nach nur wenigen Monaten Lebenszeit verlor. Im selben Jahr begann sie ihr Studium an der Freien Kunstschule Berlin, das Malen half, einen Umgang mit dem Tod zu finden. Immer wieder malte sie seitdem auch ihren Sohn, der von ihr gegangen war. Und jetzt Menschen, die an der Berliner Mauer starben.

Die Grenzen, das Überschreiten der Grenzen und die Grenzgänger sind ihre Themen. Alles in diesen Bildern scheint aus Schmerz gewunden und in eine andere Ebene hinüber zu drängen. Die Motive finden die Malerin manchmal, ohne dass sie sie sucht, so ihr eigenes Empfinden. Ein Denkmal des Künstlers Ben Wagin zum Mauerbau sensibilisierte sie, verstärkt auf die Stelen in Erinnerung an Berliner Maueropfer zu achten. Sie begann zu recherchieren, suchte Fotos, fotografierte sie ab, hinterfragte die Umstände, unter denen die Menschen umgekommen waren. Dann, im Frühjahr dieses Jahres, begann sie, die Menschen zu zeichnen.

„Die Familien und Angehörigen, falls es noch welche gibt, wissen nichts davon“, sagt sie. Sie malt ja auch nicht für die Familien, sondern für sich selbst. Das Malen ist ein sehr körperlicher, aufwändiger Prozess, ein Verarbeitungsprozess an dessen Ende ein ikonenhaftes Bild steht, ein schwarz-weißes Passfoto mit sattem, goldenem Heiligenschein, der Verlorene einbettet, gleich einer Wiedergutmachung. Birgit Ginkel denkt dabei sehr viel über Abläufe und Materialien nach, alles hat eine Bedeutung. Die quadratische Leinwand, 35 mal 35 Zentimeter, wird grundiert mit Hasenleim, einem alten Malerwerkstoff, Champagne-Kreide und feinstem Marmormehl, wieder und wieder, bis eine elfenbeinartige, feinporige Fläche entsteht. Auf dieses zarte Bett zeichnet sie mit Kohle das Porträt, sparsam, mit flachen Gesichtszügen, und doch absolut wiedererkennbar. Den Kopf umgibt madonnenhaft eine Aureole aus Blattgold. „Gold ist ein Antidepressivum in der Homöopathie“, sagt Ginkel. Im Bild verlaufen um den Kopf herum Klekse von in Bindemittel aufgelöstem, verriebenem Beton. Ginkel war es wichtig, originalen Beton der Berliner Mauer zu nehmen. „Nichts hält ewig, das ist doch großartig“, will sie damit ausdrücken. Um jetzt noch originale Mauerstücke zu finden, habe sie bis nach Teltow fahren müssen.

Und wie eine Grabbeigabe bekommt jedes Bild, jeder Tote noch einige Farbtupfer aus einem Farbbrei aus Edelsteinstaub, zerbröselter Bergkristall, Rauchquarz, grüner Jaspiz, als gelte es, die schlimme Mauer, an der die Menschen auf ihrem Weg in die Freiheit gescheitert sind, unschädlich zu machen.

„Es hat natürlich was Schamanisches“, sagt Birgit Ginkel. Das anstrengende Zerklopfen der Steinbrocken in einer eigens dafür gebastelten Vorrichtung, das Verreiben der Krümel im Mörser, stundenlang, das sei wie eine Meditation, Nachdenken über die Familien, die Zurückgebliebenen. „Die wussten ja, dass das nicht so ist wie einfach die Straße überqueren“, sagt sie. Dabei erinnert sie sich auch an ihre eigene Kindheit in Berlin, den täglichen Weg zum Kindergarten, dicht vorbei an der Mauer. Das sei damals so erschreckend normal gewesen.

Dann malt sie die zwölf Maueropfer und stellte sich wiederholt die Frage: Wie geht man allgemein in der Gesellschaft mit Verlust um? Denn dazu gestaltete sie bereits vor einigen Jahren eine Ausstellung in der Potsdamer Sternkirche. „Viel zu früh“ hieß das Thema, Birgit Ginkel zeigte Bilder von verstorbenen Kindern, Bilder, gemalt nach Fotos, die sie von verwaisten Eltern bekommen hatte.

Ihr nächstes Projekt lässt sich nicht auf eine Leinwand bannen. Wieder geht es um Werden und Sein, verborgene Kostbarkeiten. Ginkel hat Eierschalen, hälftig aufgebrochen, innen vergoldet und versilbert, außen mit zerriebener roher Braunkohle versehen. Dazu hat sie sich extra Kohlebrocken von Vattenfall schicken lassen. Ein fossiler Rohstoff aus einst lebendigem Material, sagt Ginkel – sie komme von dem Thema einfach nicht los.

Die Mauerbilder können im Kultusministerium, Dortustraße 36, im Büro von Reiner Wallesa besichtigt werden. Anfragen unter Tel: (0331) 866 49 00

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