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Potsdamer Tafel: Ausgeloste Ordnung für Bedürftige

In Essen sorgte die Entscheidung der Tafel, Lebensmittel nur an neue Kunden mit deutscher Staatsangehörigkeit auszugeben für Diskussionen. Die Potsdamer Tafel distanziert sich davon und hat ein eigenes System entwickelt.

Waldstadt – Der Fall der Essener Tafel hat eine bundesweite Debatte ausgelöst: Seit Januar nimmt die Lebensmittelausgabe dort nur noch neue Bedürftige mit deutscher Staatsangehörigkeit auf. Der Grund, den die Betreiber dafür angeben, ist der Anstieg an ausländischen Kunden, vor allem junge, geflüchtete Männer, auf rund 75 Prozent – was manche Einheimische, vor allem ältere Frauen, abgeschreckt habe, heißt es.

Die Potsdamer Tafel, die ebenfalls einen Anstieg geflüchteter Kunden verzeichnet hat, distanziert sich von der Praxis in Essen und hat ein anderes System entwickelt. Es gibt ein bestimmtes Kontingent für Flüchtlinge, und ein Losverfahren, um die Reihenfolge an jedem Tag festzulegen – um Gerangel zu vermeiden.

1200 Menschen pro Woche kommen zur Tafel

Ab 2015, dem Jahr mit dem stärksten Flüchtlingszuzug von knapp 1500 in Potsdam, habe die Zahl der ausländischen Kunden in der Tafel merklich zugenommen. Das berichtet Imke Eisenblätter, Leiterin der Geschäftsstelle der Potsdamer Tafel. Das Angebot der Tafel habe sich schnell herumgesprochen. „Woche für Woche hatten wir mehr Anmeldungen“, sagt die Leiterin. Rund 20 Prozent mehr Kunden habe es seither gegeben. Derzeit kommen pro Woche rund 1200 Menschen in die Tafel, um sich dort mit Lebensmitteln zu versorgen. „Besonders freitags, vor dem Wochenende, kam eine riesige Menschenmenge“, erinnert sich Eisenblätter.

Schon damals habe sie zusammen mit ihrem Team überlegt, was sie tun können. „Die Situation war oft sehr stressig und angespannt, für Kunden und Helfer“, sagt Eisenblätter. Das habe auch mit der Unkenntnis der Besucher zu tun gehabt, die eine Einrichtung wie die Tafel aus ihrer Heimat nicht kannten. „Viele hatten den Eindruck, wir sind eine staatliche Organisation, und hatten deshalb Ansprüche“, berichtet die Leiterin. Dieses Anspruchsdenken kenne sie aber auch von einigen deutschen Kunden. Gerade jene, die das Jobcenter schicke. „Manchen drückt ein Berater dort einen Zettel mit unseren Öffnungszeiten in die Hand, und sagt, sie sollen zur Tafel gehen, bis der Bescheid kommt“, erklärt Eisenblätter. Deshalb sei vielen nicht klar, was für eine Institution die Tafel ist: ein Verein, der pro Monat rund 40 Tonnen unverkaufte Lebensmittel von Supermärkten und Bäckern abholt – rettet, wie sie selbst sagen – und sie mit rund 100 ehrenamtlichen Helfern weitergibt an Bedürftige.

Persönliche Aufklärung ist wichtig

Das System, das Eisenblätter und ihr Team entwickelten, setzt deshalb auch auf Aufklärung. Zunächst stockten sie die Ausgabetage pro Woche von drei auf vier auf. Gleichzeitig durften die Bedürftigen nur noch einmal wöchentlich kommen. „Die meisten haben diese Einschränkung akzeptiert“, sagt Eisenblätter. Außerdem errechneten sie, gemeinsam mit der Stadt und den Gemeinschaftsunterkünften, wie viele Portionen für Flüchtlinge zusätzlich mit den verfügbaren Lebensmitteln möglich wären.

Sie kamen auf 200 pro Woche. Dieses Kontingent verteilten sie in Form von Berechtigungsscheinen an die Gemeinschaftsunterkünfte der Stadt. Diese konnten dann selbstständig entscheiden, wer in welcher Woche den größten Bedarf hat und kommen darf. Zugleich erklärten die Mitarbeiter der Unterkünfte den Geflüchteten, was die Tafel ist, wie sie funktioniert. „Ich habe selbst mit den Heimleitern gesprochen, bin auch zu jeder neuen Unterkunft gegangen“, erzählt Eisenblätter. Das System habe sich etabliert, die Leute kennen das Prozedere – auch dank der Integration von geflüchteten Helfern. Pro Team sei immer einer von ihnen dabei – viele aus Syrien, die arabisch können und bei Sprachproblemen vermitteln könnten. Inzwischen werde gar nicht mehr das ganze Kontingent abgerufen.

Nummernsystem funktioniert gut

Zum Konzept gehört auch, dass jeder Kunde am Ende seines Besuchs eine Nummer aus einem pinken Körbchen zieht. Die Zahlen legen die Reihenfolge der Kunden beim nächsten Besuch fest. „So weiß jeder Bescheid, es gibt kein Ellenbogensystem“, sagt Eisenblätter. Nur Ältere und Gehbehinderte sind ausgenommen und können zwischendrin durch den Hintereingang kommen.

In der Tat geht es an diesem Dienstagnachmittag sehr geordnet zu in der Ausgabestelle der Tafel in der Drewitzer Straße in der Waldstadt. „53, 54, 55“, ruft ein Helfer an der Tür und lässt die nächsten Kunden zur Kasse vor. Dort bezahlt jeder Erwachsene zwei Euro. Dann gehen sie durch die Reihen mit Kisten voller Kartoffeln, Kohl, Zwiebeln, Paprika und Gurken. Die ehrenamtlichen Helfer packen jedem gleich viel von allem in ihre Taschen, Tüten oder Trolleys.

Persönlicher Kontakt spielt auch eine Rolle

Irmgard Schüttel hilft seit mehr als zehn Jahren in der Tafel. Die Rentnerin drückt einem Kunden einige Karotten in die Hand, dem nächsten ein paar Kartoffeln. Dazwischen bleibt Zeit für ein paar Worte: „Ist Ihre Frau krank? Wie geht es Ihnen?“ Man kenne sich, manche kämen seit Jahren. „Man kriegt schon einiges mit hier“, sagt Schüttel.

Ramona kommt seit zwei Jahren. Eine Notlösung sei die Tafel für sie, seit sie wegen einer Krankheit nicht mehr arbeiten könne. „Ich bin so dankbar dafür, sonst würde es einfach nicht reichen“, sagt sie. „Deshalb ärgert es mich, wenn manche über das Angebot hier meckern.“

Zusätzlicher Ausgabetag

Um die Ausgabe in der kommenden Zeit noch mehr zu vereinfachen und vor allem den Zeitaufwand für die freiwilligen Helfer besser zu verteilen, soll es ab April oder Mai mit dem Montag noch einen zusätzlichen Ausgabetag in der Tafel geben. Denn während die Zahl der Kunden ab 2015 stieg, sank die Zahl der Ehrenamtlichen eher. „Wir haben einen großen Bedarf an Fahrern zur Abholung der Lebensmittel von den Supermärkten an jedem Abend“, sagt Eisenblätter.

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