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Kultur: „Als Malerin war ich eine Zeitzeugin“

Bei einem ihrer Spaziergänge entdeckte Barbara Raetsch die verfallenden Häuser in der Innenstadt und machte sie zu ihrem künstlerischen Thema

In der Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“ zeigt das Potsdam Museum anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls erstmalig Werke aus der hauseigenen Sammlung mit Kunst aus der Zeit der DDR, darunter auch zahlreiche Arbeiten von Potsdamer Künstlern zum Thema Stadt. Die PNN befragen in den kommenden Wochen einige dieser Potsdamer Künstlerinnen und Künstler zu ihren Werken, ihrem Verhältnis zu dieser Stadt und ihrem Dasein als Künstler in der DDR. Zum Auftakt der Serie sprachen wir mit der Malerin Barbara Raetsch.

Frau Raetsch, „Demonstration in der Dortustraße“ heißt eines Ihrer Bilder in der Ausstellung. Erinnern Sie sich noch, wie dieses Bild entstanden ist?

Das ist ja nun schon lange her, aber bestimmte Dinge vergisst man einfach nicht. Es kündigten sich ja im Laufe des Jahres 89 schon Veränderungen an, da war eine Aufweichung spürbar. Im Herbst zogen wir demonstrierend durch unsere Potsdamer Straßen. Das weitete sich immer mehr aus, jeder konnte mitlaufen, niemand wurde dafür bestraft, und das war ja auch ein Zeichen. Es war einfach zu spüren, dass bestimmte Entwicklungen nicht mehr aufzuhalten waren. Was das Bild betrifft, so hat mich damals die ganze Situation in diesem bestimmten Moment fasziniert, sich regelrecht eingebrannt. Wir liefen Richtung Hegelallee, und auf der rechten Seite waren zwischen der Gutenbergstraße und der Hegelallee vor gar nicht langer Zeit alle Häuser abgerissen worden. Auf der anderen Seite standen dann noch diese alten, historischen Häuser. Bei manchen davon waren schon Fenster und Türen vernagelt oder zugemauert. Und dieses Bild habe ich dann, entgegen meiner sonstigen Malweise, spontan und aus dem Gedächtnis heraus in sehr kurzer Zeit auf die Leinwand gebracht. Das sieht man auch heute noch, denn es hat einen gewissen skizzenhaften Charakter.

Wie sieht Ihre übliche Malweise aus?

Ich arbeite sehr lange an meinen Bildern, dabei kommt es dann zu mehreren, übereinanderliegenden Malschichten. Bei diesem Bild aber ist es doch sehr schön, dass eine gewisse Leichtigkeit erhalten ist und die ganze Situation malerisch nicht durch viele Farben durchgeknetet wurde. Glücklicherweise habe ich das Bild dann auch ganz viele Jahre in meinem Atelier gehabt.

Warum?

Weil ich schon immer bestimmte Bilder nicht verkaufen wollte. Oft auch nicht bis zum heutigen Tage. Manchmal denke ich, das sind sowie so die besten Bilder, die ich zu Hause habe. Vor zwei Jahren kam dann der Kontakt zum Potsdam Museum zustande und die Direktorin Frau Götzmann entschloss sich, dieses Bild für die Sammlung anzukaufen. Dann gibt es da noch ein Bild von den zwei Holländerhäusern neben der Französischen Kirche, die 1988 abgerissen wurden. Als die Bagger sich ans Werk machten, war ich mit meinem Skizzenblock vor Ort. Daraus ist ein Bild entstanden, das ich bis heute nicht verkaufen will.

Die historischen Häuser und Straßen in Potsdam sind Ihr künstlerisches Lebensthema geworden. Warum ausgerechnet die Abrisshäuser, wie Sie diese selbst nannten?

Ich war als Malerin durchaus auf der Suche nach einem großen Thema und durchstreifte meine Stadt, ohne genau zu wissen, was dieses Thema sein könnte.

Aber es sollte sich um ein Potsdamthema handeln?

Ja, ich wollte mich gern mit Potsdam beschäftigen, aber es stand lange nicht fest, dass es dieses Thema sein würde. Und bei einem meiner Spaziergänge bin ich nach längerer Zeit wieder durch die Gutenbergstraße gegangen und da wusste ich genau, dass ich diese Szenen, diesen Zustand zu meinem Thema mache.

In welchem Zustand erlebten Sie die Innenstadt rund um die Gutenbergstraße?

Das war Anfang der 80er-Jahre. Da waren schon fast alle Häuser in der Gutenbergstraße, und die ist ja sehr lang, in einem absolut desolaten Zustand. Teils zugemauert oder vernagelt. Die Strukturen der Häuser hatten sich verändert, weil irgendwo etwas weggebrochen, weggerutscht war. Und obwohl ich damals wie viele andere durchaus realistisch gemalt habe, trat hier sofort durch diese Veränderungen eine Art Abstraktion ein. Aber keine, die ich mir ausgedacht habe, sondern die ich dort so vorfand. Und dann kam die Farbigkeit hinzu, die für jeden Maler eine große Rolle spielt. Da waren Ocker, Braun, Schwarz, Englischrot. Die ganzen Straßen wie die Gutenberg-, die Jäger-, die Dortu- und die Lindenstraße waren in ein Graubraun getaucht. Und dazu diese vielen geräumten Häuser. Das hatte mich schon beeindruckt.

Warum ausgerechnet der Verfall?

Zum einen, weil ich damals als Malerin nicht dafür geschaffen war, mich mit harmonischen Themen zu beschäftigen. Ich habe mich dann ja viele Jahre damit beschäftigt. Das hat einfach zu mir gepasst, von den Farben her, den Formen, dem Grafischen in den kaputten Fassaden. Gleichzeitig war das auch ein kritisches Thema, weil es auch mein Anliegen war, dass Spuren nicht verwischen, dass Erinnerung bleibt – als Zeugnis gelebten Lebens. In diesen Straßen wurden Zustände mitgeteilt. Und als Malerin war ich eine Zeitzeugin. Somit sind meine Bilder auch eine Art Dokumentation.

Haben Sie damals Potsdam als Stadt vor allem als Verlust empfunden?

Ach, das kann ich gar nicht mal sagen. Denn es gab ja nicht nur den Verfall. So wurde in den 60er-Jahren das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Haus wieder aufgebaut, in dem sich heute das Potsdam Museum befindet und meine Bilder ausgestellt werden. Damals noch das Kulturhaus „Hans Marchwitza“. Dann wurde in den 70er-Jahren die Brandenburger Straße komplett restauriert. Und in den 80er-Jahren wurde das Holländische Viertel zum großen Teil wieder restauriert. Die Schlösser und Gärten wurden gepflegt. Also, man kann nicht so tun, als ob damals nichts passiert ist. Aber gleichzeitig hat man, und ich behaupte auch bewusst, die Häuser in der Gutenbergstraße und den Nebenstraßen verfallen lassen. Ob nun mit Absicht oder weil einfach keine Mittel zum Erhalt vorhanden waren, kann ich nicht sagen. Denn in den 70er-Jahren entstand ja auch am Stern ein neues Wohngebiet. Das alles sage ich bewusst, weil ich keine Geschichtsklitterung begehen will. Darum kann ich auch nicht sagen, dass ich Potsdam nicht als Verlust erlebt habe. Ich habe Potsdam nie aufgegeben. Aber natürlich war es eine Katastrophe, wie dieser historische Stadtteil einfach verfiel. Auch so lautlos. In diesen Straßen ging ja auch niemand spazieren. Über Jahre war ich im Grunde ja fast die Einzige, die da fast täglich unterwegs war, bis auf ein paar wenige Bewohner, die es dann doch noch gab oder einem Trabi, der da lang knatterte.

Wie haben Sie den Verfall dieses Stadtteils dokumentiert?

Ich hatte immer einen Skizzenblock dabei und mich auf meinen Spaziergängen in dieses Thema immer mehr vertieft. Fotografiert habe ich nie, das hat mich einfach nicht interessiert. Und nur weil ich skizzierend, zeichnend immer wieder durch diese Straßenzüge gegangen bin, konnte ich auch immer tiefer vordringen. Ich habe in meinen Skizzenbüchern auch die Farben notiert. Das war ein sehr intensives Betrachten und irgendwann hatte ich alles im Kopf. Mit den Jahren habe ich mich auch immer stärker mit der Geschichte auseinandergesetzt, was am Anfang überhaupt nicht der Fall war. Da hat mich mehr dieses Theaterhafte, die Farbigkeit, das Kulissenartige interessiert.

Wie wurde auf Ihre Bilder von offizieller Seite reagiert?

Meine Bilder waren ja auch eine kritische Auseinandersetzung, aber ich glaube, das haben die Oberen gar nicht begriffen. Ich hatte 1987 noch eine große Ausstellung in der Galerie am Staudenhof mit vielen dieser Bilder. Die konnte ja stattfinden.

Und was sagten die Besucher der Ausstellung zu diesen Bildern?

Ich glaube, das war damals auch für die Leute nicht übermäßig interessant. Da gab es andere Probleme. Und dieses Bewusstsein für das, was dort in der Gutenbergstraße passierte, das kam erst später.

Diese Straßen, diese mittlerweile sanierten Häuser, sind die heute noch immer ein Thema für Sie?

Nein, obwohl die Rekonstruktion und Restauration wirklich sehr schön geworden ist und somit sich auch zum Glück meine Titel für diese Häuser, die ich ja immer als Abrisshäuser bezeichnet habe, nicht zur Wahrheit wurden. Aber das ist für mich als Malerin alles zu glatt.

Wie haben Sie damals Potsdam insgesamt als Stadt erlebt?

Ich habe ja sehr lange in Potsdam-West gewohnt und hatte direkt den Park Sanssouci vor der Tür. Der sogenannte Affengang war nur wenige Meter von unserer Haustür entfernt. Und das war über viele Jahre am meisten mein Potsdam. Allerdings habe ich schon Mitte der 70er-Jahre damit begonnen, Radierungen von Potsdam zu machen. Bis 1980 habe ich so zahlreiche Stadtmotive aufgegriffen, unter anderem auch den Bau des Klinikums „Ernst von Bergmann“. Da war ich quer durch die Stadt unterwegs.

Was bedeutete es, Künstler in der DDR zu sein?

Ich bin 1978 in den Verband Bildender Künstler aufgenommen worden. Von da an konnte ich auch Aufträge von offizieller Seite annehmen. Das ist ja eine heute immer wieder kritisierte Praxis, weil viele in diesem Zusammenhang glauben, als Künstler hätte man da nur Propaganda machen müssen. Aber bei diesen Auftragsarbeiten konnte man sein Thema selbst wählen. Diesen Aspekt halte ich für ganz wichtig. So habe ich mich auch um kleinere Aufträge beim Rat des Bezirks beworben und in meinem Antrag geschrieben, dass ich als Thema die Stadt wähle. Nie etwas anderes. Dabei musste ich niemanden hofieren oder buckeln.

Wie schauen Sie heute auf Potsdam?

Das ist mein Potsdam. Ich wohne schon seit 1958 hier und diese Stadt ist mir nie langweilig. Aber ich habe auch immer noch eine kritische Meinung. So war ich in den vergangenen zwei Jahren am Kino Charlotte in Potsdam-West.  Und die Villa, die dort steht, da ist alles verrottet. Oder in der Kurfürstenstraße 37, wo erst im vergangenen Jahr ein Haus abgerissen wurde und ein Investor riesige Betonklötze hingestellt hat. Davon gibt es noch zahlreiche Beispiele.

„Stadt-Bild/Kunst-Raum“ thematisiert den künstlerischen Blick auf Stadtzustände, Stadtentwicklung und -verfehlungen. Was kann Kunst in diesem Zusammenhang leisten?

Da muss ich meinen Mann erwähnen, der felsenfest davon überzeugt war, dass Kunst die Welt verändern kann. Da war er von einer wunderbaren Naivität und hat an die Kunst geglaubt. Aber auch ich würde sagen, dass Kunst etwas bewirkt. Egal, ob in der DDR oder heute. Daran glaube ich auch. Aber ob man mit Kunst einen Investor beeindrucken kann, der ein solch altes Haus abreißen lässt, das glaube ich nicht. Solche Schandtaten lassen sich mit Kunst nicht verhindern.

Das Gespräch führte Dirk Becker

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