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Landtagswahl: Kritik an Senftlebens Offenheit für die Linke

„Angenervt“ vom Frust vieler Märker, ging CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben auf „Bock auf Brandenburg“-Tour. Seine Ansichten mag nicht jeder in der Partei.

Lübbenau - Angeblich macht er das zum ersten Mal in seinem Leben. Mit einer langen Stange, Rudel genannt, stakt Ingo Senftleben einen Zehn-Meter-Spreewaldkahn voran. Als plötzlich ein Schwarm von Paddlern auftaucht und vorbei will. Es wird eng auf dem Fließ. Senftleben ruft ihnen lachend zu: „Sie können ja mal loben, wie ich das hier mache.“

In T-Shirt, Outdoor-Hose und Trekking-Schuhen geht der Spitzenkandidat der Brandenburger CDU für die Landtagswahl am 1. September während seiner Tour durchs Land auf die Leute zu. Der 45-Jährige stellt sich vor, fragt, woher einer kommt, versucht, eine seiner Ideen loszuwerden, zum Ende der Kohle in der Lausitz, zur Schulpolitik. Senftleben war elf Jahre Bürgermeister seines Heimatstädtchens Ortrand in Südbrandenburg, er weiß, wie man mit Menschen ins Reden kommt.

Es ist ein seltsamer Wahlkampf. Das Land hängt voller Plakate – doch die Politiker hören die Frage, was denn schon wieder für eine Wahl sei. Die Kandidaten bemerken oft Desinteresse oder Ablehnung, Protest und Groll. In der neusten Umfrage liegen AfD und SPD mit je 22 Prozent gleichauf. Die CDU, die lange vor der SPD stand, kommt auf 18 Prozent, die Linke auf 15, die Grünen auf zwölf. Eine diffuse Spannung ist zu spüren: Wird die AfD stärkste Kraft? Was erreicht die SPD?  Welches Dreierbündnis könnte zusammenkommen? Rot-Rot- Grün? Schwarz-Rot-Grün? 30 Jahre hat die SPD den Ministerpräsidenten in Brandenburg gestellt; nie war mehr als ein Zweierbündnis für eine stabile Mehrheit nötig. Jetzt ist nur zweierlei klar: So geht es nicht weiter. Und die Unzufriedenen haben mit der AfD eine kräftige Stimme.

Zwischen Gesprächen über den Gartenzaun und Facebook-Kampagnen liegt die Ratlosigkeit der CDU-Wahlkämpfer. Flyer-Verteilen vor Supermärkten am Samstagvormittag ist so selten geworden wie Podiumsdiskussionen. Die Kandidaten besuchen Volksfeste, Kunstmärkte, Wochenendveranstaltungen, mit denen Kommunalpolitiker, Kulturschaffende und Eventmanager Betrieb in den Städten erzeugen; sie organisieren ein Fest für die Familien und Benefiz-Fußball-Turniere. Oder sie machen es wie Ingo Senftleben: zu Fuß oder mit dem Fahrrad oder, wenn es was her macht, per Spreewaldkahn hin zum Wähler. Der Wahlkampfstil hat sich verändert, doch wie das Twittern von Botschaften und die kommunikativen Blasen etwa unter den AfD-Anhängern wirken, weiß keiner.

Über Wochen war Ingo Senftleben da, wo es den Brandenburgern gut geht. Und er hat Dörfer gesehen, um die sich Politiker sonst selten kümmern. Er ist gewandert, geradelt und gepaddelt. Senftleben hat gesehen, dass Brandenburg boomt. Jedenfalls da, wo Berlin nicht weit ist. Wo die große Stadt Jobs bietet und das entspanntere Umland Platz, wo Exil-Berliner ein Haus bauen und einen Schulplatz für ihr Kind finden können. Er hat auch gemerkt, dass Brandenburg grollt, wo die Entfernungen zur nächsten Stadt weit, die Verkehrsverbindungen miserabel und die Internet-Versorgung erbärmlich sind. Die Erwartungen an die Landespolitik sind groß – manchmal größer als ihre Möglichkeiten.

Ingo Senftleben hat seine CDU deshalb breit aufgestellt. Er hat die Kommunalpolitik im Hinterkopf, wo Christdemokraten und Linke oft zusammenarbeiten. Er hat die ausgemergelte SPD im Blick, die sich in 30 Jahren in eine Art müde Arroganz hineinregiert hat. Und er weiß um die Verluste unter CDU-Stammwählern, die eine „Merkelisierung“ der CDU in einem tendenziell konservativen Land wie Brandenburg zur Folge gehabt hat. Einer wie Jörg Schönbohm hätte das kompensieren können. Doch Senftleben ist kein kantiger Wertkonservativer. Er ist ein Familienmensch, Vater dreier Töchter, und will, wie er auf seiner Internetseite schreibt, „einen neuen Politikstil mit einer offenen und ehrlichen Debattenkultur. Die beste Idee zählt, egal wer sie ausspricht.“

Ingo, der Brückenbauer?

Was auf manchen in der CDU zu offen wirkt, ist in diesem Wahlkampf mit zuletzt vier Prozentpunkten Unterschied zwischen AfD und CDU eine interessante Strategie: Der AfD fehlen in Brandenburg mögliche Partner. Senftleben hingegen ist den Linken gegenüber offen. „Maurer, Brückenbauer, Ministerpräsident“, steht auf den Plakaten mit seinem Foto. Maurer hat Senftleben gelernt, das sagt er mit Stolz. Zum Brückenbauer hat er sich weitergebildet. „Politik funktioniert für mich genauso“, heißt es auf seiner Internetseite: „Sie überwindet Gräben und verbindet Menschen.“

Doch Senftlebens Offenheit für die Linke hat eine Menge Parteifreunde überrascht und manchen gegen ihn aufgebracht. Erst vor ein paar Tagen sah sich die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer veranlasst, Senftleben zu maßregeln. Sie erinnerte ihn an die „ganz klare Beschlussfassung“ der Union von 2018: keine Koalitionen mit den Linken – und mit der AfD.

Ist Senftlebens Ansatz fatal?

Letzteres hatte Senftleben längst ausgeschlossen. Auch das finden nicht alle richtig in der märkischen CDU, die eine Menge Mitglieder an die AfD verloren hat. Solcherlei Gegensätze spalten die Partei bis in den Vorstand. Die Liberalen weisen darauf hin, dass die Linke heute auf kommunaler und auf Landesebene zur „Sachpolitik“ fähig sei. Viele in der CDU vermissten aber immer noch eine Distanzierung zur DDR. Senftlebens Kritiker in der Partei sagen, eine Zusammenarbeit mit den Linken bedeute, immer weiter „die Mitte freizuräumen“. Diese Konservativen halten Angela Merkels Weg für falsch und Senftlebens Ansatz für genauso fatal.

So hat es der Hoffnungsträger jetzt mit einem Landesverband zu tun, der in Teilen nur mürrisch Wahlkampf macht. Es heißt, es gebe Parteifreunde, die sich weigerten, Senftlebens Plakate zusammen mit denen der Wahlkreiskandidaten aufzuhängen. Senftleben nimmt es mit Humor und Selbstvertrauen.

Mit den Brandenburgern kann der Spitzenkandidat so gut wie kein CDU-Frontmann vor ihm. In Lübbenau hat er eine Gurkenfabrik besichtigt und mit den Frauen am Fließband gesprochen. 12.000 Gläser befüllten sie täglich, staunt Senftleben, als er aus dem Essigdunst der Halle heraus ist. Gleich hat er wieder eine Idee parat: Man müsste eine „Regionalmarke“ für Lebensmittel aus Brandenburg schaffen, damit man sie besser im Land – und in Berlin – verkaufen könne. Beim Gang durch das hübsch gewordene Spreewald-Städtchen plaudert er mit Urlaubern und Tagestouristen. Er besucht einen Immobilienfachmann mit schickem Ladenlokal, der gleich lospoltert. „Es geht immer nur um Umverteilung“, schimpft der Mann. „Soziale Gerechtigkeit – ich kann’s nicht mehr hören!“ Und noch was will er loswerden: „Schaffen Sie die Grundsteuer ab!“ Senftleben sieht sich nach einem Mitarbeiter um: „Wo ist mein Programm?“ fragt er. Das mit der abzuschaffenden Grundsteuer „steht da drin“.

Ein Besuch in Lübbenau

Nicht alle in Lübbenau sind so unzufrieden mit der Politik. Ein paar hundert Meter entfernt vom grimmigen Immobilienmenschen steht die Modemacherin Sarah Gwiszcz vor ihrem Laden. Sarah Gwiszcz hat aus ihrem Anspruch als Designerin und den traditionellen Trachten der Frauen im Spreewald etwas Neues gemacht, interessant genug für ein Debüt auf der Fashion Week in Berlin. Die junge Frau mit schwarz gefärbtem Pony und platinblonden langen Haaren lacht über Senftlebens Slogan von der „Bock auf Brandenburg“-Tour: Wer sich das denn ausgedacht habe? Senftleben sagt, ihn habe der Frust vieler Märker „angenervt“. Deshalb habe er in einer Rede dagegengehalten. Daraus sei das Motto für die Tour geworden.

Sarah Gwiszcz gehört nicht zu den Missmutigen. Sie sei als „selbstständige Frau“ dafür, dass die CDU „ein bisschen stärker“ werde, auch wenn sie aus der Punk-Szene komme, sagt sie. Ihr gehe es um den Mittelstand, der trage die Wirtschaft. 2014 hat Sarah Gwiszcz ihr Label gegründet: „Wurlawy“. So wurden angeblich in Lausitzer Sagen Geister in Frauengestalt genannt. Jetzt hat die Modemacherin zwei Aushilfen. Im Laden gibt es T-Shirts und Kapuzenpullover mit einem Libellen-Motiv und dem der notorischen Spreewald-Mücke. Kleider schneidert Sarah Gwiszcz nach Maß und verbindet die traditionellen breiten Hauben der Trachten mit kurzen Röcken. Man merkt ihr an, dass sie weiß, was sie geschafft hat. Zum Abschied gibt sie Senftleben noch mit: „Hoffen wir, dass die AfD ein bisschen mehr abkackt.“

Viel Verdruss in Brandenburg

Die CDU-Wahlkreiskandidatin Roswitha Schier trägt bei dieser Tour durch den Spreewald passenderweise ein Wurlawy-T-Shirt. Sie hat den Tag für Senftleben vorbereitet. Es ist ihr vierter Landtagswahlkampf, 2014 hat sie ein Direktmandat gewonnen. Wie viele andere macht Roswitha Schier nicht bloß Landespolitik. Sie ist CDU-Kreis- und Ortsverbandsvorsitzende, gehört dem Landesvorstand an, dazu der Stadtverordnetenversammlung von Lübbenau und dem Kreistag. So ist das in Brandenburg: Wenn man Politik macht, dann richtig. Es gibt viel Verdruss, aber wenige, die politische Ämter wollen.

Wie alle Wahlkämpfer macht sich auch Roswitha Schier Gedanken über das, was die Wähler der AfD zutreibt. Sie hat einen großen Wahlkreis, viel Fläche, verstreute Dörfer. Da packe sie ihr Fahrrad in ihren Kombi und radele durch die Siedlungen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ihr Eindruck: Das Abgehängtsein werde denen „eingeredet“. Den meisten in der Lausitz gehe es gut – und nun hätten viele „Angst, etwas abzugeben, nachdem man 30 Jahre geackert und sich diesen Wohlstand geschaffen hat“.

Beim Bier ins Gespräch

Der Spreewaldkahn mit dem Kandidaten und seinen Gästen gleitet unter hohen Bäumen dahin. Am Rand des Fließes planscht ein Bieber. Senftleben hat sich ein Bier geben lassen, von einem Imbiss- Stand am Wasser werden Leberwurst-Brote gereicht. Die Leute im Kahn leben mit und vom Tourismus. Ein junger Kanu-Verleiher ist dabei. Ein paar alte Bekannte von Roswitha Schier sprechen über den Zustand der Kanäle. Früher, in der DDR, habe man regelmäßig drei Bagger im Einsatz gehabt, um die Wasserwege vor einer Verschlammung zu schützen, sagt einer. Mindestens zwei müssten wieder her, meint der Spreewald-Bewohner. Senftleben lässt sich von ihm erklären, wie das Wasser im Spreewald reguliert wird und bringt den „Aktionsplan Spreewald“ der CDU ins Gespräch. Man wolle dafür sorgen, dass die Fließe und Wehre wieder instandgesetzt werden.

Pragmatismus und Gelassenheit – darauf setzt er. Nur nicht den Protest und die Bedeutung der AfD hochreden. Proteststimmung habe es immer gegeben, sagt er. Und warnt davor zu sagen, „dass wir vor Schicksalswahlen stehen“. Die AfD lebe von „Besitzstandsdenken“. Die Brandenburger hätten viele Veränderungen erlebt. Neue stünden bevor, durch die Digitalisierung, den Struktur- und den Klimawandel. „Die Leute haben den Eindruck, alles aufs Spiel setzen zu müssen – das in Verbindung mit der Tatsache steht, dass der Staat nicht funktioniert.“ Damit meint er Funklöcher und fehlende Züge, geschlossene Schulen und gekappte Busverbindungen, manchmal grassierenden Autoklau. Es ist das Irrationale an diesem Wählerprotest: Seine Grundlage ist weniger die gegenwärtige Situation als die befürchtete Zukunft.

Manchmal patzt der Terminplan

Ein anderer Tag, ein anderer Abschnitt von Senftlebens „Bock auf Brandenburg“-Tour. Die Sonne scheint auf den riesigen Parkplatz des Flugzeugmotoren-Herstellers Rolls-Royce in Dahlewitz, gleich an der südlichen Berliner Stadtgrenze. Hier wollte Senftleben Flyer verteilen und beim nachmittäglichen Schichtwechsel mit den Mitarbeitern sprechen. Die Organisatoren des Termins haben aber gerade gehört, dass sie das Werksgelände nicht zur Wahlwerbung betreten dürfen. Die Mitarbeiter steigen ihn ihre Autos und fahren vorbei.

Senftleben trägt es mit Fassung. Er habe viel von Brandenburg gesehen, sagt er – und viel von seiner Partei. Dann erklärt er, warum ihm Rolls-Royce wichtig ist: Das Unternehmen zeige, „wie es funktionieren kann in Brandenburg“. 3000 Mitarbeiter, 50 Nationalitäten, und alle würden gebraucht. Allerdings hätten wohl einige das Gefühl, hier wenig erwünscht zu sein. „Die Wähler müssen sich Gedanken machen, welches Signal sie aussenden.“ Soll heißen: Wer fremdenfeindlich wählt, vergrault auch Investoren. Dann radelt er weiter zum nächsten Termin.

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