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Am Boden. Mendelssohns „Elias“ kippt von blutiger Rachsucht in tiefe Reue. In der Potsdamer Inszenierung von Andreas Bode, der diesjährigen Winteroper, bewältigt Bariton Holger Falk die riesige Gesangspartie mit bewundernswürdiger Bravour.

© Stefan Gloede

Kultur: Zwischen Mord und Verzweiflung

Die diesjährige Potsdamer Winteroper ist ein so brillanter wie menschlicher „Elias“

Dieser „Elias“ beginnt nicht mit dem Fluch des Propheten über das Land, sondern mit einer Bitte. Aus der verdunkelten Tiefe der Friedenskirche singt Elias Gott an und bittet ihn demütig um Erhörung und Erscheinung. Eigentlich erscheint diese Arie erst viel später in Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“, das am Donnerstagabend in der Friedenskirche Potsdam Premiere feierte. Es ist zwar nur eine kleine dramaturgische Umstellung, aber umso signifikanter. Dieser Prophet ist – neben allem alttestamentarischen Wüten, das ihm den Beinamen feuriger Elias eingetragen hat – eben auch ein Mensch mit vielfältigen Gefühlen.

Auch der Chor erscheint nicht als anonymer Gesangskörper, sondern besteht aus Individuen, die die unterschiedlichsten Rollen einnehmen, als Flehende, als Hassende, als beinahe blökende Masse, als Erzählende. Das mitten zwischen den Zuschauern auf einer Art Laufsteg spielende Geschehen lädt zur direkten Anschauung ein. Ein großes turmähnliches Gerüst dient als trennendes Element und ermöglicht Projektionen auf zwei große Bildflächen vor dem Altar und dem hinteren Raum (Bühne: Geelke Gayken). Landschaften in glühenden Farben bilden eine anschauliche Resonanz zu den Emotionen, die Elias bewegen und in der Musik erklingen. Am vorderen Ende sitzt die Kammerakademie Potsdam in großer Besetzung mit über vierzig Musikern, die erstmalig von Titus Engel geleitet wird. Der Schweizer Dirigent turnt gelegentlich zwischen den Sängern und dem Orchester, dirigiert auch mal vom Gerüst herab, doch weder er noch die Mitwirkenden verlieren den roten Faden des opernhaften Geschehens.

In eklatantem Kontrast zu den Normen der Gattung setzte Mendelssohn mit dem „Elias“ neue Maßstäbe für das Oratorium – so zukunftsweisend, dass er die Kammerakademie und das Hans Otto Theater zu einer packenden, emphatischen Interpretation inspirierte. Elias zeigt sich zunächst als arroganter Besserwisser und überheblicher Gottesmann, der höhnisch seine Gegner verspottet und verlacht. Fast scheint er selber seinen Worten noch nicht zu glauben. Er stiftet Mord und Gewalt an, bevor er zerschmettert und verzweifelt Gott um sein Ende anfleht. Der Bariton Holger Falk bewältigt die riesige Gesangspartie mit bewundernswürdiger Bravour und gibt den facettenreichen Affekten intensiven Ausdruck.

Dass er wie alle anderen auch, einschließlich der Choristen, auswendig singt, trägt zur unmittelbaren Wirkung bei. Mit eindringlicher Präsenz erfüllt die Sopranistin Marie-Pierre Roy die Rollen der Witwe und des Engels in androgyner Gestalt, setzt in ihren Arien phänomenale vokale Glanzlichter. Ein weiterer Engel in Menschengestalt ist Ana Alás y Jové, deren warmgetönte, liebliche Altstimme Trost und Zuversicht vermittelt. Der Tenor Oliver Johnston ist eine Entdeckung und läuft im Finale „Dann werden die Gerechten“ zu kerniger Höchstform auf. Einen überraschenden Auftritt hat ein Knabe (Ben Strecker), der auf einem Skateboard hereinrollt und in höchsten Tönen das Regenwunder ankündigt.

Fast mehr noch als von den Arien lebt der „Elias“ von den wunderbaren Ensemble-Szenen, in denen Mendelssohns lyrisches Talent so rein erscheint. Das Doppelquartett „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ und das finale Quartett der Solisten „Wohlan, alle die ihr durstig seid“ können ergreifen und bewegen. Allerhöchstes Lob gebührt dem Chor der Winteroper, der schon lang eingespielt ist und aus dem Vocalconsort Berlin und der Vocalakademie Potsdam besteht. Doch hier wird jeder Einzelne von ihnen voll in das dramatische Geschehen einbezogen. Zunächst tragen alle Halbmasken, die erst bei der finalen und verkürzten Seligpreisung abgenommen, sodass ihre wahren Gesichter zu sehen sind. Sehr effektvoll, wie sie sich mit Puppen gewissermaßen verdoppeln und, angestiftet von Elias, auf ihre Ebenbilder einschlagen (Kostüme: Judith Hepting). Voller Ausdruckskraft, in scharfen Dissonanzen, weichen Terzen und Sexten, unisono oder mehrstimmig und stets homogen bewältigen sie die anspruchsvollen Chorsätze – noch dazu in den unmöglichsten Positionen: stehend, liegend, auf einen Haufen geballt, als Prozession schreitend zum Jubelchor des ersten Akts, Elias auf ihren Händen tragend. Ganz aus der Musik heraus entwickelt entstehen so immer wieder bewegte, mehrdeutige Szenen, die das gewaltige Werk dezent und überzeugend in die Gegenwart transportieren. Nicht zuletzt trägt die höchst klangschön, differenziert und hingebungsvoll spielende Kammerakademie Potsdam dazu bei, dass dieser „Elias“ als Erfolg in die Annalen der Stadt eingehen wird.

Babette Kaiserkern

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