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Kultur: Zwischen Mangel, Leuchttürmen und Elementarem

Während die Zukunft des Potsdam Museums offen blieb, glänzte 2007 die Klassik / Zweiter Teil Jahresrückblick der Potsdamer Kulturszene

DIE KUNST MÄNGEL ZU VERWALTEN

In den kommenden Wochen werden die entscheidenden Verhandlungen stattfinden. Im Februar wird sich zeigen, ob der Beschluss der Stadtverordneten umgesetzt werden kann und das Potsdam Museum seinen zukünftigen und hoffentlich auch endgültigen Standort im Brockeschen Haus in der Yorckstraße finden wird. Zu klären sind noch die Konditionen für den Mietvertrag zwischen der Stadt und dem Investor Lorenz Bruckner, der das Brockesche Haus auf eigene Kosten zu einem Museum umbauen will. Eigentlich sollten die Verhandlungen über eine der wichtigsten kulturpolitischen Entscheidungen für Potsdam längst abgeschlossen sein. Doch die Diskussion um den Museumsstandort hat gezeigt, wie schwierig sich solche Entscheidungen in dieser Stadt gestalten können.

Sehr früh hatte sich eine Tendenz für das Brockesche Haus gegenüber dem zweiten möglichen Standort, dem Alten Rathaus am Alten Markt abgezeichnet. Doch da die Verantwortlichen im Kulturausschuss keine vorschnellen Entscheidungen treffen wollten, ergingen immer wieder Forderungen an die Verwaltung, belastbare und vor allem vergleichbare Zahlen von beiden Standorten vorzulegen. Doch die Verwaltung tat sich schwer. Ein erst im Sommer in Auftrag gegebener Wirtschaftlichkeitsbericht verspätete sich um Wochen und wies eklatante Fehler auf. Als dann der Oberbürgermeister entgegen der Tendenz der Stadtverordneten sich aus finanziellen Gründen für das Alte Rathaus als Museumsstandort aussprach, nahm die Diskussion fast schon bizarre Züge an. Die bis dahin gelegentlich lethargisch agierende Verwaltung versuchte nun mit allen Mitteln die Vorteile des Alten Rathauses aufzuzeigen, biss sich aber an den Stadtverordneten sprichwörtlich die Zähne aus. Ob die Variante Brockesches Haus für die Stadt wirklich teurer wird als das Alte Rathaus wird sich noch zeigen.

Die Entscheidung für das Brockesche Haus jedenfalls war keine Trotzreaktion. Sehr wohl hatten die Stadtverordneten dabei die finanzielle Lage der Stadt im Auge. Denn Kulturpolitik in Potsdam, das hat sich auch wieder einmal im vergangenen Jahr gezeigt, besteht oft in der Kunst Mängel zu verwalten. Die öffentliche Förderung stagniert sei Jahren oder geht gar zurück. Doch statt auf irgendwelche Wunder zu hoffen, hat die Stadt gehandelt. Schon Ende 2006 wurden die ersten Grundzüge für kulturpolitische Konzepte, die eine Schwerpunktsetzung bei der Kulturförderung in Potsdam vorsehen, vorgelegt. 2007 war dann das Jahr der nicht immer einfachen Diskussion und Ausformulierung dieser Konzepte, die im Dezember von den Stadtverordneten beschlossen wurden. Neben dem Bekenntnis für sogenannte Leuchttürme wie das Hans Otto Theater oder den Nikolaissaal sollen freie Träger, die noch zu oft mit geringsten Mittel erstklassige Ausstellungen oder Veranstaltungen bieten, stärker gefördert werden. Es bleibt abzuwarten, ob Potsdam das derzeitige kulturelle Niveau bei den begrenzten finanziellen Mitteln auf Dauer wird halten können. Die Bemühungen auf Seiten der kulturpolitisch Verantwortlichen sind jedenfalls erkennbar. Dirk Becker

KULTUR ELEMENTAR

Für den Überfluss, sagte man früher, lebe der Mensch, und meinte natürlich die Gaben des Geistes. Davon scheinen Potsdam wie Umland bis heute voll zu sein. Doch Überfluss führt schnell zum Konsum, dieser zur Trägheit, nur zum Genuss. Ist man wirklich zum „Genießen“ auf der Welt, oder soll man in ihr etwas bewirken? Bei den Kultur- und Denkbereiten kann man davon ausgehen, dass nicht „niedere Beweggründe“, wie etwa Geld, ihren Geist bewegen. Potsdam ist eine Stätte des Intellektes, die Leute wollen ja denken. Nur was? Immer, was ihnen fehlt: dem einen das zündende Buch, einem zweiten die ungewöhnliche Ausstellung, dem nächsten ein Vortrag, Film und Konzert, oder eben Extras wie die Dampferfahrt der „Caputher Musiken“ auf dem Schwielowsee, die Lange Nacht der Kirchen, das ungewöhnliche Ding mit dem „Havelwunder“ oder gar die „2. Venezianische Nacht“ an der Friedenskirche.

Ob etwas fehlt, merkt man also erst, wenn es da ist: „Kultur“. Waren Promis (Heesters in Beelitz, Hildebrandt in Ferch, Quadflieg in Potsdam) geladen, so wurde Sensation erwartet. Keine Sensation war die so hübsche wie stille Engelausstellung in Beelitz, jene in Alttöplitz mit den anregenden Malern Bianconi und Rott, auch nicht diverse Benefiz-Konzerte. Beschämend, wenn man um das Elementarste erst bitten muss, aber an der „Basis“ wird eben nicht entschieden, was Not und was Überfluss ist. Oder doch? War nicht die „Kunsttour Caputh“ ein großer Erfolg, die Kabarett-Nacht? Die Großen gehen sowieso ihren Weg, die kleinen sollte man ehren: Michendorfs Leute vom „Apfelbaum“, das Huchelhaus, Potsdams Planetarium, Petzower Kirche, „Muckerstube“ und Bismarckhöhe in Werder, das „Haus der Klänge“ Caputh. Wie bei vergleichbaren (Thalia) Anbietern, scheint es hier mehr um Elementares als ums Genießen zu gehen. Andere Sachen laufen und laufen, nur nicht mehr immer so gut – eine frische Brise wäre „Im Garten vorgelesen“ und der Lesereihe im HOT zu wünschen. Bei der „arche“ weht stets ein „subversives“ Lüftchen, nur wird es oft für Windstille gehalten. Kultur in Potsdam heißt Frieden, man tritt sich nicht auf den Fuß. Wo ist der Mut zur Kraft, wo die Kraft zum Fauxpas, das belebende Risiko? Das neue Bürgertum, schon immer mehr dem Genuss zugetan, konnte sich hierzulande in kürzester Zeit etablieren. Es möchte unterhalten werden, denn da ist wenig Not. Bei den anderen schon – genau das wäre im Rückblick gut zu bedenken. Gerold Paul

GLÄNZEND BIS ORIGINELL

Ohne die zahlreichen Konzerte in vielfältigen Varianten und an unterschiedlichsten Orten wäre Potsdam längst nicht so liebenswert. Das Angebot des vergangenen Jahres zeigt eine erstaunliche Bandbreite an Themen und Formen. Enorm entwickelt hat sich das stilistische Vermögen der Kammerakademie Potsdam. Sie beglückte mit Felix Mendelssohns selten gespielter Melusinen-Ouvertüre und mit Ludwig van Beethovens Tripelkonzert zu Händen der drei Jungstars Julia Fischer, Daniel Müller-Schott und Martin Helmchen. Für Heiterkeit sorgte die Fromme Helene, vertont von Alois Zimmermann und deklamiert von Gisela May.

Das Neue Kammerorchester beendete seine nachdenklich stimmende Reihe „Mensch-Macht-Musik“ mit glänzenden Konzerten. Erneut folgte der großartige Geiger Guy Braunstein, Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern, einer Einladung von Ud Joffe und trat diesmal als Solist mit Beethovens Violinkonzert auf, zu dem er eine expressive Kadenz beisteuerte. Äußerst erfolgreich waren im vergangenen Jahr die Musikfestspiele mit einer Auslastung von 98,5 Prozent beim Kartenverkauf. Rund um das Thema „Musica Britannica“ war für jeden Geschmack etwas dabei – von G. F. Händels „Messias“ in der Friedenskirche mit den gediegenen Ensembles von Harry Christophers bis zum Promenadenkonzert vor dem Neuem Palais mit dem Filmorchester Babelsberg an einem lauen Sommerabend mit 3600 Zuhörern.

Einen wichtigen Beitrag zum lebendigen Musikleben leisteten erneut die zahlreichen Laienchöre. Der Oratorienchor führte mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frank Martins wuchtiges Oratorium „Golgotha“ auf, die Potsdamer Kantorei und der neu gegründete Kinderchor studierten Carl Orffs „Carmina Burana“ ein, die Singakademie erfreute mit Josef Haydns moralischem Singspiel „Die vier Jahreszeiten“.

Originellste Beträge des Jahres waren zwei interkulturelle Experimente. Mit Gambe und Santur versuchte man im Havelschlösschen einen europäisch-orientalischen Dialog. Das Orchester der Andeninstrumente aus Ecuador lieferte in der Biosphäre einen ungewöhnlichen Beitrag zur symphonischen Musik mit Werken europäischer und südamerikanischer Komponisten. Am meisten überzeugte das Experiment des japanischen Regisseurs Yoshi Oida. Seine ebenso klare wie poetische Dramatisierung von Franz Schuberts „Winterreise“ im T-Werk führte mitten hinein ins individuell-menschliche Zentrum dieses Werks. Babette Kaiserkern

LEUCHTTÜRME FÜR DIE KLEINEN

3. Märchennacht, 13. Internationale Kinderkulturtage, 6. Brandenburger Schultheatertreffen – in der Landeshauptstadt vergeht eigentlich kein Monat ohne besondere kulturelle Höhepunkte für Kinder und Jugendliche. Das ist nicht erst seit kurzem so, sondern hat Kontinuität und vor allem auch Qualität. Ein herausragender Leuchtturm ist das T-Werk in der Schiffbauergasse, das in diesem Jahr sein 10-jähriges Bestehen feierte. Natürlich mit wunderbaren eigenen Inszenierungen, wie „Alice im Wunderland“ und den immer gut besuchten Vorstellungen seiner Festivals „Welttraum“ und „UNIDRAM“.

In unmittelbarer Nachbarschaft schickt sich das Junge Theater des HOT seit der Spielzeiteröffnung im September an, gerade für Jugendliche und junge Erwachsene ein Ort der Experimente und Entdeckungen zu werden. Nicht nur mit seiner neuen und innovativen „Freistil“-Reihe am Freitagabend. Auch das diesjährige „Weihnachtsmärchen“ Pünktchen und Anton oder die biblische Pinguingeschichte am Anfang des Jahres waren ein Glücksgriff.

Das Schönste an vielen Veranstaltungen für die Jüngeren ist, dass sich die Generationen begegnen. Entweder im Prozess des gemeinsamen Gestaltens, wie beispielsweise die bewundernswerten Ausstellungen der Potsdamer Kunstschule immer wieder eindrucksvoll zeigen, oder im Akt der gemeinsamen Rezeption und der Verständigung darüber. Wunderbar mitzuerleben bei den alljährlichen sommerlichen Tanztheateraufführungen der Ballettschule Erxleben oder den überaus fantasievollen Theaterinszenierungen des Offenen Kunstvereins. Doch nicht nur die „Türme“ sorgen für die gute Ausleuchtung der Potsdamer Kinder- und Jugendkulturlandschaft. Zahlreiche Initiativen von Künstlern, Eltern und Jugendlichen selbst setzen immer wieder besondere Leuchtpunkte. Stellvertretend seien hier der Kinder- und Jugendcirkus „Montellino“ und das Atelier Kunstgriff 23 in Potsdam-West genannt. Dieser Stadtteil ist sowieso für Überraschungen gut, wie nicht nur der „Lebendige Adventskalender“ in seiner diesjährigen ersten Auflage bewies. Astrid Priebs-Tröger

EIN SCHWIERIGES JAHR

Das Konzertjahr 2007 war in Sachen Pop&Rock ein schwieriges. An lokalen, nationalen und internationalen Bands und Künstlern, die Potsdam besuchten, mangelte es nicht, wohl aber oftmals an Zuschauern. Mehr als einmal spielten Bands in den Haupt-Anlaufstellen für Musikliebhaber aus dem Rock- und Pop-Bereich, Schinkelhalle, Waschhaus und Lindenpark, für eine kleine Handvoll von Leuten. Klar sind intime Konzerte ein besonderes Erlebnis, aber die meisten Musiker stehen einem vollen, feiernden Haus sicherlich nicht abgeneigt gegenüber.

Die Bands mussten in Potsdam um jeden Applaus kämpfen. Dabei fehlte es nicht an musikalischen Höhepunkten. Im Gegenteil waren sowohl der Lindenpark, wie auch Waschhaus und Schinkelhalle bemüht, eine ausgewogene Mischung von Konzerten, Lesungen und Parties anzubieten. Doch künstlerische Juwelen, wie die beeindruckende Bass-Legende Doug Wimbish oder die be- und verzaubernden Tiger HiFi, zogen wenig Zuschauer an und verhallten fast ungehört im Konzertsaal. Ein volles Haus konnten die Veranstalter nur verzeichnen, wenn klingende und konsensfähige Namen wie Adam Green oder Bela B. die Bühnenbretter betraten. Besonders enttäuscht ist man, wenn so ambitionierte Unterfangen wie das „Songwriter-Festival“ im Frühjahr 2007 im Waldschloss aufgrund fehlender Zuschauer zur einmaligen Veranstaltung werden.

Einzig der Nikolaisaal scheint derlei Probleme nicht zu haben und konnte sich bei Shows aller Stile, von Jazz über Country bis zum Musical über belegte Sitze und beste Stimmung freuen. Auch die mittlerweile etablierte Fête de la Musique im Sommer füllte trotz miesen Wetters die Bars und Lokale Potsdams mit Musik und einem feucht-fröhlich feiernden Publikum. Christoph Henkel

Dirk Becker

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