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ZUR PERSON: Die Zeitlose

In der Serie „Potsdamer Schreibtische“ stellen die PNN Autorinnen und Autoren aus Potsdam vor Heute: Christiane Schulz, die der Gegenwart auf den Zahn fühlen will, dafür aber den Umweg über Naturgedichte wählt

Na, schreibst du wieder? Wenn der Mann von Christiane Schulz sie das fragt, dann ist sie gerade im Gespräch immer stiller geworden oder beim Spazierengehen in Gedanken versunken. An ihrem Schreibtisch im lichten Wohnzimmer in der Gregor-Mendel-Straße sitzt die Lyrikerin eher selten. Dort tippt sie das im Kopf Geschriebene am Ende in ihren Laptop, um zu sehen, ob es dem Ausdruck standhält.

Die tatsächliche Arbeit aber, die Suche nach stimmigen Bildern, einem genauen Rhythmus, ist dann schon getan. „Deswegen sieht mein Schreibtisch auch so aus, wie er aussieht“, sagt die schmale Frau und zeigt auf die staubfreie Schreibfläche, den kleinen Stapel säuberlich geordneter Papiere. Keine Unordnung, keine Zettelwirtschaft. Die Bücher stehen drüben fein aufgereiht im Regal. Die absolute Ruhe, die sie braucht, darf nur Händel stören. Der aber exzessiv.

Kaum zu glauben, dass diese stille, feinsinnige Frau in einem früheren Leben mal Expertin für Baustoffverfahrenstechnik war. Vor der Wende arbeitete sie im Wohnungsbaukombinat Potsdam. Wenn sie heute den Titel ihrer Diplomarbeit nennt („Die Erhärtung von Beton im Wasserbad“), glaubt man, wie unglücklich sie damals war. Eigentlich hatte sie Architektin werden wollen, aber man befand sie trotz eines Notendurchschnitts von 1,1 nicht für das Studium geeignet. Bis heute weiß sie nicht warum. Erst nach einer großen persönlichen Krise Mitte der 1990er- Jahre tat sie, was sie schon lange wollte: schreiben. Nein, sagt sie, das frühere Leben könne nichts, aber auch gar nichts zu ihren Gedichten beitragen. Ein Irrweg, ein schmerzlicher offenbar. „Mit dem ersten Gedicht tat ich das erste Mal etwas nur für mich. Das setzte eine ungemeine Kraft und einen großen Ehrgeiz frei.“

„Eigentlich schreibe ich immer“, sagt Christiane Schulz heute über sich. Ehe die Hüfte kaputt ging, am liebsten beim Gehen. Bei langen Spaziergängen durch Brandenburgs Seenlandschaft und Fichtenwälder, oder auch am Bodden entlang. Diese Landschaft des Nordens – das kühle Licht, das viele Wasser, die schilfbewachsenen Uferwege und menschenlosen Dörfer – ist der Nährboden für ihr Schreiben. „Schneeloser Februar“, „Flut“, „Ort am See“ heißen Gedichte aus ihrem aktuellen Band „Die beschriftete Zeit“. Er erschien 2016 in dem kleinen Rangsdorfer Verlag Natur & Text. Dort ist man eigentlich auf naturwissenschaftliche Publikationen spezialisiert, machte aber für Christiane Schulz eine Ausnahme. Zur großen Freude der Autorin, die damit ihre siebente Publikation vorlegen kann. Ob es noch eine geben wird, weiß sie nicht, denn: „Wer liest heute schon Lyrik? Es gibt ja bekanntlich mehr Leute, die Gedichte schreiben als solche, die Gedichte lesen.“

Zumal sich Christiane Schulz dem in heutiger Zeit nicht eben populären Genre der Naturlyrik verschrieben hat. Was, mag man fragen, gibt es im Jahr 2017 Unzeitgemäßeres als Gedichte über Äcker und Anger, Bäume und Blumen? Tatsächlich bewegen sich ihre Texte in einem hermetisch abgeschlossenen Raum: Es gibt hier jenseits der freien Form sprachlich nichts, was aus dem Heute eindringt. Mähdrescher oder Plastikeimer sind die großen Ausreißer ins Zeitgenössische. Die Sprachwelt von Christiane Schulz wird bevölkert von den großen, geschichtslosen Konstanten, die es zu Eichendorffs Zeiten schon gab. Von Stürmen und Blüten, Koppeln und Ahornbäumen, Ackerwinden und Alleen. Und natürlich immer wieder vom alles überschirmenden Himmel. Oft ist er grau bei Christiane Schulz, und vom Grauen nicht weit entfernt. Die meisten Gedichte von Christiane Schulz sind traurige Gedichte.

Und dennoch. Wer dem Band „Die beschrifteten Zeit“ auf den Grund gehen will, der muss hinter die Landschaften schauen, zwischen die Zeilen. „Mein großes Thema ist die Zeit“, sagt Christiane Schulz. Die Vergänglichkeit, der Tod, wie bei Hermann Hesse oder Rainer Maria Rilke? Nein, mit beiden kann sie nicht viel anfangen. Näher sind ihr die Naturgedichte der DDR-Lyriker Peter Huchel oder Reiner Kunze. „Mir geht es nicht nur um die Lebenszeit im Allgemeinen, sondern schon auch sehr konkret um unsere Zeit. Meine Gedichte sind für mich im weitesten Sinne politisch.“ Politisch, das heißt für sie: mit einer Sorge um die Allgemeinheit verbunden. Sorge um die allgegenwärtige Bedrohung der Natur, aber auch um eine Sehnsucht nach rückwärtsgewandten, totalitären Strukturen, die sie immer stärker ausmacht. Auch und vor allem in der Landschaft, die sie in ihren Gedichten liebevoll und melancholisch abschreitet, im Märkischen.

Zur Beweisführung deutet Christiane Schulz auf ihr Gedicht „Bei Liebermann am Wannsee“. „Wie einst / tanzen die Birken / aus der Reihe“, beginnt es. Es endet: „aus dem Hintergrund / treten Stimmen barsch dazwischen / die Stiefel auf dem Kies / ein Platzregen Marschmusik / anschwellend wie einst.“ Der jüdische Maler Max Liebermann starb, kurz nachdem die Nazis die Macht ergriffen hatten. Seine Frau nahm sich das Leben, bevor sie nach Theresienstadt deportiert werden konnte.

Ein anderes Gedicht, jenes mit dem Titel „Ort am See“, zieht konkret die Linie von der Erfahrung der DDR-Diktatur zum neuen Rechtsextremismus: „Die ruhigen Zeiten der Käfighaltung / haben die Gangart verändert die Gedanken / kreisen um die Deutsche Eiche“. Dass die extreme Rechte, das Nationalistische und Rassistische heute wieder im Aufwind ist, macht Christiane Schulz Angst. Diese Angst jedoch in eine tagesaktuelle, ungebrochene Form zu gießen, entspräche ihr nicht. „Ich habe eine Scheu, die Dinge direkt zu nennen.“ Was sie sucht, sagt sie, ist eine Form der Zeitlosigkeit. „Ein gutes Gedicht muss Bestand haben, sich nicht zu sehr an einem Punkt festmachen.“ Vielleicht auch daher das wiederkehrende Wir in ihren Gedichten – selten nur ein Ich. „Das Wir ist allgemeiner“, sagt sie. „Jeder kann sich darin wiederfinden.“ Zufall, dass das Wir auch weniger einsam, geborgener klingt als das einzelkämpferische Ich von Ingeborg Bachmann etwa? „Vielleicht nicht. Ich bin ja sehr geborgen.“ Verheiratet, sagt sie, mit „dem besten Menschen der Welt“.Das Schreiben macht die Geborgene trotzdem allein, „ganz allein“. Einen festen Verlag hat sie nicht, keinen Lektor, mit dem sie sich austauschen würde. Die Kinder sind ausgezogen. Der Mann, ein Architekt, ist beruflich genug gefordert, Christiane Schulz hilft ihm bei der Buchhaltung („als Finanzminister“).

Bleiben also zum Schreiben nur die Notizbücher neben dem Bett, der Laptop mit Blick auf die Bäume im Garten. Und die Gedichtlektüre jeden Morgen, der stille Austausch mit den verehrten Kollegen Reiner Kunze, Marion Poschmann, Andreas Altmann. Größte Verbündete bei dieser einsamen, beglückenden Arbeit des Schreibens dürfte für Christiane Schulz die Natur bleiben, die brandenburgische. Ihr fühlt sie sich verbunden, in ihr fühlt sie sich sicher. Und ihr ringt sie in der nur von Händel gestörten Stille ihres Wohnzimmers Zeilen ab, die einen noch Tage nach der Lektüre heimsuchen: „Am Flussufer versucht die Zeit, / aus dem Strom zu steigen.“

Christiane Schulz: Die beschriftete Zeit Basilisken-Presse,

Natur & Text 2016,

90 Seiten, 24 Euro

Christiane Schulz wurde 1955 in Wildau geboren. Sie studierte Baustoffverfahrenstechnik in Weimar, war dann beim Wohnungsbaukombinat Potsdam tätig und schreibt seit 1995 Gedichte. Sie kann auf zahlreiche Veröffentlichungen in namhaften Zeitschriften und Anthologien zurückblicken sowie sieben eigene Lyrikbände, etwa „Glas aus Kälte geblasen“ und „Poesiealbum 307“. Zuletzt erschien 2016 der Lyrikband „Die beschriftete Zeit“. Mehrere Stipendien des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburgs würdigten und förderten ihr Schaffen. Sie lebt in Potsdam.

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