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ZUR PERSON: Der Sprachflaneur

In der Serie „Potsdamer Schreibtische“ stellen die PNN Autorinnen und Autoren aus Potsdam vor Heute: Stefan aus dem Siepen, der nicht gerne eilt und sich sprachlich dem Einst verschrieben hat

Der Schiller auf dem Schreibtisch steht nicht richtig. Ein bisschen mehr nach links müsste er rücken, ein bisschen mehr in den Hintergrund. Stefan aus dem Siepen prüft den Anblick. Der Gipskopf des Dichters soll dezent wirken, elegant, bloß nicht wie plumpes Beiwerk. Vielleicht ist es doch zu dick aufgetragen, der Klassiker auf dem antiken Möbel. Stefan aus dem Siepen sucht die wohlfeile Balance, beim Betrachten der Gegenstände in seinem Arbeitszimmer wie auch bei seiner Arbeit mit den Worten.

Er, das gefaltete dunkelgrüne Seidentaschentuch im Revers des Anzugs, hat Tee zubereitet, goldgelb in chinesischem Porzellan. Aus dem Siepen hat mehrere feine Romane veröffentlicht, die meisten mit kurzen Titeln. „Luftschiff“, „Das Seil“ , „Der Riese“. Zuletzt erschien von ihm „Das Buch der Zumutungen“, ein Anekdotenband über die alltäglichen Unannehmlichkeiten, die ein Mensch erlebt, wenn er Mitmenschen begegnet – ein wenig boshaft, ein wenig süffisant und in der Verknappung äußerst eloquent.

Schreiben ist für aus dem Siepen Nebentätigkeit, aber keine nebensächliche. Als Diplomat ist der studierte Jurist im Planungsstab des Auswärtigen Amts in Berlin tätig. Vor einigen Jahren hat er sich in Potsdam niedergelassen, nach Stationen, wie sie für einen im Höheren Dienst des Außenministeriums Beschäftigten typisch sind: Bonn, Luxemburg, Shanghai, Moskau.

„Das Wanderleben als Diplomat ist literarisch befruchtend“, sagt er. „Es schärft den Blick für das Allgemeine und das Besondere.“ Einen kleinen Moleskine führe er stets bei sich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Autoren das nicht haben“, ein Notizheft, meint er damit, um die Motive aufzuschreiben, die dem begegneten, der wach umhergehe, sagt er.

Dieses berufsbedingte Wanderleben steht in einem seltsamen Kontrast zu seinem Schreibzimmer, das wirkt, wie vor langer Zeit eingerichtet und seitdem unverrückbar: Jahrhunderte alte Möbel, deckenhohe Regale mit Büchern, voll mit deutscher Erzähltradition und dem Kanon der Weltliteratur. Jüngers Briefwechsel ist darunter, Carl Zuckermayrs Werke, komplette Jahrgänge von Art Magazinen, die Suhrkamp Inselbücherei meterlang. Auch Stefan aus dem Siepen scheint bang zu werden vor dem erneuten Aufbruch in die Fremde, zu dem sein Beruf ihn eines Tages drängen wird. Noch einmal werde er nicht mit seiner gesamten Bibliothek umziehen, sagt er. Gerade die deutschen Klassiker der Literatur sind es, die sein Schreiben bestimmen. Gepflegt altmodisch, bedächtig und schnörkellos ist sein Stil. Das nicht Gefeilte, die schludrige Sprache sieht er als einen Makel, von dem man Rückschlüsse auf die Art eines Menschen ziehen kann.

In seiner Schreibstube, Werkstatt nennt er sie, harren die Manuskripte in Schubladen in den Regalen der Vollendung. Gesammelte Motive, literarische Skizzen. „Ein Fundus von halbfertigen Sachen“, wohl geordnet, „die dann ein Jährchen abhängen“. Ähnlich einem edlen Schinken. „Ich betreibe so eine Art Vorratswirtschaft“, sagt Stefan aus dem Siepen. Das Werk benötige Zeit zum Nachreifen, um sich selbst zu komponieren. Als entwickelten die Geschichten und Texte in den Schubladen ein Eigenleben, das verborgenen Gesetzen folgt. Die Handlung und die innere Logik müssten sich beim Schreiben langsam entfalten, sagt er. „Wenn man sich übereilt, schadet das der Sache.“

Nur manchmal muss auch er eilen. Ein bisschen wenigstens. Seit gut zehn Monaten schreibt er eine monatliche Kolumne für das Magazin „Cicero“. Nonchalant habe er beim ersten Mal den Abgabetermin übergangen, erzählt er, inzwischen finde er sich hinein in die journalistische Disziplin, kein Zeichen zu viel, kein Text zu spät. „Der Flaneur“ heißt seine Kolumne. Aufmerksam geworden ist die Redaktion auf ihn nach seinem „Buch der Zumutungen“. Wie auch der Band soll die Kolumne unserer aller Alltag sezieren, mit diesem aus dem Siepen eigenen literarisch entrückten Blick. „Vom seltsamen Hang, des deutschen Mannes, sich nicht zu rasieren“ heißt eine in dieser Reihe. Er zieht Schopenhauer, Freud, die alten Griechen und einen Vertrauten Bismarcks zu Rate, um letztlich an Leuten wie den Hipster-Bartträgern in Berlin-Mitte kein gutes Haar zu lassen.

Als erfrischende und anregende Erfahrung bezeichnet Stefan aus dem Siepen dieses Auftragsschreiben. Schließlich vergehe zwischen den Bucherscheinungen eine lange Zeit. „Da wird es doch dann recht still.“

Demnächst soll sein neuer Erzählband erscheinen, der Arbeitstitel „Aufzeichnungen eines Käfersammlers“, sicher nicht ohne Reminiszenz an den berühmtesten Käfersammler unter den Literaten: Ernst Jünger. Die titelgebende Geschichte handelt von einem einsam lebenden Käfersammler, der glaubt, seine Objekte, auf der Stecknadel aufgepiekst, für alle Zeit bewahrt zu haben. Doch die Vergänglichkeit holt sie ein, die toten Tiere wie die Hauptfigur. Gegen den schleichenden Verfall seiner geliebten Käfer kämpft er mit allen Mitteln an.

Die Geschichten, die Stefan aus dem Siepen schreibt, sind zumeist Parabeln auf das Leben des Einzelnen und in der Gemeinschaft. So etwa der von der Kritik gefeierte Roman „Das Seil“: In einem Dorf, wohl schon sehr lange her, findet ein Bauer ein Seil, dem er folgt, das aber kein Ende zu haben scheint und nach dessen Geheimnis sich bald die Dorfbewohner auf die Suche machen – bis zu einem unheilvollen Ausgang. Die Vorbereitungen für eine Verfilmung des Stoffes seien in Arbeit, erzählt aus dem Siepen. Dass die Filmemacher die in der Vergangenheit angesiedelte Geschichte in die Zukunft verlagern wollen, sehe er gelassen.

Aber auf so eine Idee käme er wohl nie: sich von dem Früher zu trennen. Das Bewahrende, auch das Bewahren eines wie einer anderen Zeit entstammenden Erzählstils macht aus ihm einen sehr eigensinnigen Autor. Er sucht zeitgemäße Stoffe, bindet sie jedoch an die gehobene Sprache des Einst. „Da bin ich nicht frei“, gibt er zu. Letztlich macht gerade das auch den Wert seiner literarischen Arbeit aus.

Aufgrund eines technischen Fehlers ist dieser Beitrag in Teilen der E-Paper-Auflage der PNN schon erschienen.

Stefan aus dem Siepen wurde 1964 in Essen geboren. Er studierte in München Jura und trat anschließend in den Diplomatischen Dienst ein. Nach Stationen in Bonn, Luxemburg, Shanghai und Moskau arbeitet er seit 2009 im Planungsstab des Auswärtigen Amtes in Berlin. „Luftschiff“ (2006) war sein Debütroman, danach folgte „Die Entzifferung der Schmetterlinge“ (2008). „Das Seil“ erschien 2012. „Das Seil“ wurde ins Französische übersetzt. 2014 folgte der Roman „Der Riese“, 2015 der Erzählungsband „Das Buch der Zumutungen“ (2016). Gegenwärtig lebt Stefan aus dem Siepen mit seiner Frau und vier Kindern in Potsdam.

Grit Weirauch

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