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Raumgreifend. Nicht das große, endgültige Werk ist die Kunst, sagt Jörg Mandernach – sondern das Staunen darüber, dass sie überhaupt möglich ist. Zusammen mit dem Potsdamer Künstler Chris Hinze zeigt er ab morgen im Kunstraum Potsdsam in der Schiffbauergasse die Ausstellung „Doppeldeutig“.

© Jörg Mandernach

Kultur: Zum Glück zweckfrei

Chris Hinze und Jörg Mandernach feiern im Kunstraum eindrucksvoll das Terrain der Kunst

Große Ideen brauchen große Formen. Im Kunstraum Potsdam steht im Moment ein Schiff, das nicht schwimmen kann. In der Mitte ist es zerbrochen. Aber es soll um die Welt segeln, trotz des Ballasts, den es trägt, oder vielleicht gerade deshalb. Große, schwere Baumstämme sind in seinem Innern verankert. Sie drücken das Boot auf den Boden. „Das sind die Träume. Sie streben gen Himmel, sie sehen schwer aus, können aber doch ganz leicht werden,“ sagt der Potsdamer Künstler Chris Hinze, der das Boot gebaut hat. Die Baumstämme darin reichen bis an die Decke des hohen Raumes.

Ein Jahr lang hat Hinze an dem Projekt gearbeitet, das ab Morgen in der Ausstellung „Doppeldeutig“ zu sehen ist. „Das Ganze hat mich ziemlich aufgefressen“, bekennt er. Als er im letzten November nach seinen Träumen gefragt wurde und diese bei einem Geburtstag auf einem Zettel aufgeschrieben an einen Luftballon hängen sollte, funktionierte es nicht. Der Ballon flog nicht. Der Zettel war zu schwer.

Da entschloss Hinze sich, es im wirklichen Leben anders zu machen. Er sammelte Freunde, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. 46 Unterstützer fand er, vom Rechtsanwalt bis hin zum Bautischler steuerten alle etwas bei, damit das Schiff der Träume und Wünsche lossegeln kann. Gefällt wurden die Stämme für das Holzboot in Potsdam, eine Bautischlerei in Cottbus brachte das Holz in Form, sägte und hobelte. Schließlich musste alles wieder nach Potsdam geschafft und dort zusammengesetzt werden, was auch eine erhebliche logistische Leistung war. Etliche Helfer haben in den vergangenen Wochen rund um die Uhr gearbeitet, um aus einem zunächst kleinen Modell die eindrucksvolle Skulptur entstehen zu lassen. Häufig hatte Hinze das Gefühl, sich zu viel vorgenommen zu haben, aber dann merkte er, dass es gut ist, über die eigenen Grenzen zu gehen, weiterzumachen, ohne rationale Kalkulation, ohne das Wissen um den Ausgang.

Hinze hatte sich schon in vorherigen Arbeiten mit Schiffen, Reisen und symbolischer Entgrenzung beschäftigt. „Was danach aus dem Boot wird, weiß ich noch nicht,“ sagt er. Aber der Künstler ist zuversichtlich, dass sich Unterstützer finden, die das Schiff nach Ausstellungsende um die Welt segeln lassen.

Ebenfalls raumgreifend ist die Malerei von Jörg Mandernach. Schwarz-weiße Flächen verschränken sich. Ein Gesicht ist erkennbar, gezeichnete Boote segeln aus dem Bild heraus. Linien laufen von der Zeichnung an der Wand in den Raum. Ein dreidimensionaler Bildraum entsteht. An einer Wandfläche ist das Stop-Motion-Video eines Bildentstehungsprozesses zu sehen. Es zeigt, wie der Künstler eine mehrere Quadratmeter große Malfläche aufbaut, auf der ein Gesicht zu sehen ist. In einem längeren Prozess übermalt er immer wieder neue Teile der Zeichnung, deckt sie mit schwarzer Farbe zu. Schließlich bleibt nur die vollständig schwarze Fläche. „Der Prozess, die Entscheidungen, welche Fläche übermalt wird, ob alles verschwindet, oder doch ein Teil stehenbleibt, das zu zeigen war mir wichtig,“ so Mandernach. Es sei eine Reflexion über Bildfindungsprozesse, die das Flüchtige und Unvorhersehbare der Kunst ins Zentrum rückt. Nicht das große erhabene und endgültige Werk sei die Kunst, sondern das Staunen darüber, dass sie überhaupt möglich ist.

Auch Mandernach zeigt, dass sich in der Kunst Prozesse und Ideen materialisieren, die auf einem ganz eigenen Terrain spielen, eine Logik artikulieren, die jenseits rationaler Verwertungsprozesse und Produktionsmechanismen stattfindet. Die Entgrenzung des Bildraumes, das Greifen der Idee in die Realität, ist das Thema der beiden Künstler. Beide beschäftigen sich schon länger mit den Formen, die sie im Kunstraum großartig kulminieren lassen. Sie zeigen, dass die materialisierte Imagination ihren Reiz einerseits aus der Haptik und der Anschauung des Objektes bezieht. Andererseits bestimmt letztlich die fragile Balance von Erscheinung und Idee darüber, ob das Werk gelingt. Hinze und Mandernachs eindrucksvolle Arbeiten beschreiben, welch langer Weg notwendig ist, um die Form für ein Werk zu finden.

Letztlich aber konzentrieren sich in der Kunst die Vorstellungen all jener, die nicht selbst zum Pinsel oder zur Kettensäge greifen, um ein Werk zu schaffen. Der Künstler schafft so seine Arbeiten in einer zweckfreien Dimension, die absolut notwendig ist in einer auf Profitmaximierung und Zweckrationalisierung ausgerichteten Welt – und bringt die Träume und Wünsche vieler zum Fliegen.

„Doppeldeutig“, Kunstraum Potsdam, Eröffnung am 19. November, 19 Uhr

Richard Rabensaat

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