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Kultur: Zum Abschied singt der Schwan

„Vocalise“-Festival mit Orgelstücken und Liedgesängen zum Totensonntag

„Wenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere Er weiß, das wird sein Abschied sein Und sie raunen sich leise zu: Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbt.“ Was für eine poetische Metapher, mit dem einst die DDR-Rockgruppe Karat den Mythos des Todes mit ihrem Titel „Schwanenkönig“ zu beschreiben suchte! Doch singen Schwäne im Angesicht ihres Todes überhaupt? Als „Schwanengesang“ wird indes gern das letzte Werk eines Musikers oder Dichters bezeichnet. Musikalisch berühmt ist jene Sammlung von letzten Liedern Franz Schuberts, die dessen Verleger nach des Komponisten Tod unter dem Titel „Schwanengesang“ zusammengestellt hatte.

Ob derlei Gedanken zum Entstehen des gleichnamigen Programms von Nikolaikantor Björn O. Wiede beigetragen haben könnten, sei dahingestellt. Jedenfalls war es für das Gedenken am Vorabend des Totensonntags eine dem Anlass angemessene Kompilation aus Orgelstücken und Liedgesängen. Sie erklangen im Rahmen der neuen Orgelzyklusreihe der Nikolaikirche und in Kooperation mit dem gegenwärtig veranstalteten „Vocalise“-Festival.

Zu Beginn spielt Wiede auf der neuen, von der Orgelmanufaktur Kreienbrink maßgeschneiderten Hauptorgel die 1955 entstandene e-Moll-Sonate von Johannes Weyrauch (1897-1977). In zehn Minuten liefert sie einen konzentrierten Bericht über einen Menschen von dessen Geburt (Adagio) über diverse Entwicklungsstationen (Tokkata) bis zum langsam verlöschenden Leben (Cantus). Nach leisem, zögerlichem Beginn in hellen Registern erweitert sich der Tonumfang, treten weitere Stimmen hinzu. Harmonische Entwicklungen zeugen vom Erwachsenwerden, wobei ein Recitativo vom mehr oder weniger gleichförmig verlaufenden Dasein kündet, um schließlich in einen altersweisen Abgesang zu münden. Sehr naturalistisch entweicht der letzte Atemzug in einer hohen Diskantstimme.

Um die sinfonisch-disponierte Qualität der Orgel mit ihrer Vielfalt an Klangfarben zu demonstrieren, wählt Wiede Werke von Franz Liszt. Zunächst dessen sinfonische Dichtung „Orpheus“, in der sich der antikische Sänger durch wohlklingende Harmonien, kantabel und breit fließende Melodien vorstellt. Gelegentliche rauschhafte Ausbrüche inklusive. Ganz in schmerz- und verzweiflungsvolle Gefilde entführen Liszts „Variationen über Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ auf ein Bachsches Kantatenzitat. Dafür zieht Wiede füllige bis filigrane Register, befleißigt sich einer facettenreichen Dynamik, lässt das Orgelwerk brausen, sorgt für ständige Wechsel von Crescendo und Decrescendo. Von Anfang bis Ende durchzieht eine chromatische Basslinie – im Barock ein klingendes Symbol für Trauer und Schmerz – das gewaltige, mit akkordischem Furor nicht sparende Werk. Ein Feuerwerk an Klangfarben sorgt beim Hörer für vielfältige Emotionen.

Die stellen sich weit weniger bei den „Vier ernsten Gesängen“ op. 121 von Johannes Brahms ein. Mit bassbaritonaler Nachdrücklichkeit trägt Stephen Bronk (Deutsche Oper Berlin) des Komponisten letztes Lied-Opus zur Orgelbegleitung vor: düster und konduktartig schreitend, schwermütig, stockend, schließlich tröstend. Ähnlich nachdenklich sind auch die „Fünf Choralbearbeitungen“ aus op. 122, Brahmsens tatsächlichem Schwanengesang. Für sphärische Visionen sorgt dagegen Jean Langlais (1907-1971) mit seinem Orgelpiece „In Paradisum“, wohin einen gläsern-kühle Emotionen leiten. Peter Buske

Peter Buske

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