zum Hauptinhalt
Viele Berge überwunden. Bei manchem Film stand es auf der Kippe, ob er ins Kino kommt. Für „Die Besteigung des Chimborazo“ in den Anden musste sich Rainer Simon – zusammen mit Jan-Josef Liefers – anderen Hürden stellen.

© Wolfgang Ebert/Defa-Stiftung

Zum 75. Geburtstag von Rainer Simon: Der Gratwanderer

Er ist einer der bekanntesten Defa-Regisseure und doch Außenseiter geblieben, zu Hause sowohl in Potsdam als auch in Ecuador. Am heutigen Montag wird Rainer Simon 75 Jahre alt.

Potsdam - Internationale Anerkennung und Aufführungsverbot in der Heimat. Systemkritiker und gleichzeitig Defa-Botschafter. Ein durch und durch skeptischer Geist und dann wieder mit ganzem Herzen engagiert, wenn es um seine Sache geht – das Schicksal der Menschen in den ecuadorianischen Anden: Bei Rainer Simon gibt es nie nur die eine Seite der Medaille. Der Potsdamer, der mit seinem Humboldt-Film „Die Besteigung des Chimborazo“ oder dem stillen Antikriegsdrama „Die Frau und der Fremde“ bei der Defa Filmgeschichte schrieb und als einziger Defa-Regisseur mit dem Goldenen Bären der Berlinale geehrt wurde, feiert am heutigen Montag seinen 75. Geburtstag.

Den Hang dazu, bestehende Verhältnisse zu hinterfragen, entwickelt der im sächsischen Hainichen geborene Regisseur schon früh. Die große Geste liegt Simon dabei aber fern. Er ist ein Mann der stillen Töne, der feinsinnigen, treffsicheren Beobachtung, mit einem starken Sinn für Gerechtigkeit. Schon während des Regiestudiums in Babelsberg kommen ihm Zweifel am System der Defa, die für ihn nie zu der „Familie“ werden sollte, als die sie viele Mitarbeiter heute in Erinnerung haben.

Als einem Kommilitonen wegen eines Wandzeitungsaushangs mit kritischen Fragen regelrecht der Prozess gemacht wird, will Simon vor dem „Tribunal“ erst den Wandzeitungsbrief lesen – was ihm verweigert wird. Der Kommilitone fliegt von der Schule, Simon ist schockiert von „so viel kalter Gnadenlosigkeit“ seitens des damaligen Defa-Chefs, wie er später zu Protokoll gibt.

Gerade noch erlaubt - und doch relevant

Aber er bleibt bei der Defa. Und er lernt die Kunst der Gratwanderung. Sucht sich für seine Filme Stoffe, die politisch gerade noch erlaubt, gesellschaftlich aber trotzdem relevant sind. Das ist schwer genug, wie er schon bei seinem ersten eigenen Projekt merkt, der Verfilmung des Romans „Die Moral der Banditen“, aus der wegen der verschärften Zensur nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED nichts wird.

Mit einem Märchen gibt der Regisseur stattdessen 1969 sein Spielfilmdebüt: In „Wie heiratet man einen König?“ bekommt eine kluge Bauerstochter nicht einfach nur den König zum Mann. Sie mischt sich danach auch in seine Amtsführung ein und macht sich für mehr Gerechtigkeit stark. Den Rahmen der Möglichkeiten, und sei er noch so eng, zu nutzen und für Ideale einzustehen – das kennzeichnet auch Simons Lebensweg, der nie dort entlang führt, wo es den geringsten Widerstand gäbe.

Ein Parteisekretär ist am Set dabei

Fast kafkaesk mutet die Entstehungsgeschichte seines Films „Jadup und Boel“ an. Dass er es mit dem Gegenwartsstoff nicht leicht haben würde, sei ihm gleich klar gewesen, sagt Simon später. Dabei hatte er das Drehbuch mit der Geschichte um den Bürgermeister Jadup, der sich an seine Jugendliebe Boel erinnert und dabei erkennt, wie frühere Ideale der Resignation gewichen sind, sogar vom Studio angeboten bekommen. „Als ich es gelesen habe, war mir gleich klar, dass das ein ganz heißes Eisen ist – es war eine treffende Bestandsaufnahme der damaligen Zeit“, erzählt er später den PNN.

Als 1979 in Babelsberg die erste Klappe fällt, ist auch ein Parteisekretär mit am Set: „Das habe ich später nie wieder erlebt“, sagt Simon. Immer wieder mischt sich das Studio in die laufende Produktion ein, zwischenzeitlich ist unklar, ob der Film überhaupt fertig wird. Kurz vor der Premiere wird dann der Termin wieder abgesagt – angeblich, um Simon und das Filmteam vor Anfeindungen zu schützen, wie der Regisseur damals im Gespräch mit dem Studio-Chef erklärt bekommt. Denn im November 1981 war im SED-Blatt „Neues Deutschland“ ein Defa-kritischer Leserbrief erschienen. 1983 wurde der Film dann den Protesten der Macher zum Trotz verboten.

Offenbarung in Ecuadors Bergdörfern

Aber Simon gibt nicht auf und sorgt dafür, dass „Jadup und Boel“ 1988 doch noch in die Kinos kommt. Im Wendejahr 1989 wird der Regisseur dafür noch den DDR-Kritikerpreis erhalten und im Sommer zum Internationalen Filmfestival Moskau reisen. Für Simon ein absurdes Erlebnis: „Ich bin mit den Leuten hingefahren, die den Film verboten haben.“

Zu dieser Zeit hat Simon sein zweites großes Lebensthema gefunden: Für seinen Humboldt-Film ist er 1988 in Südamerika unterwegs. Die Begegnung mit den Einheimischen in den Bergdörfern in Ecuador wird für den Potsdamer zur existenziellen Erfahrung und Offenbarung: „Diese Armut wirkte auf mich wie ein Schock“, sagt er später. Das naturverbundene Leben, die Herzlichkeit der Einheimischen bringen ihn zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur, er taucht ein in die spirituelle Welt der Urwald-Geister – und fühlt sich zu Hause, vielleicht auch ein Stück näher dem richtigen, dem guten Leben.

Jedes Jahr reist Rainer Simon seitdem nach Ecuador, er dreht Filme über die Ureinwohner, schreibt Bücher, kümmert sich um mehrere Patenkinder und schlägt sich monatelang mit den deutschen Behörden herum, um seinem Patensohn ein Schuljahr in Potsdam zu ermöglichen – Letzteres ohne Erfolg. „Die neuen Mauern sind nicht minder schrecklich als die alten“, sagt Rainer Simon.

"Die Zensur des Geldes"

Tatsächlich bleibt er auch nach dem Mauerfall 1989 der Zweifler, stellt nicht nur den nun von den Kinokassen gesteuerten Filmbetrieb infrage, sondern auch den Vorrang der Wirtschaft in der Politik, den Leistungsdruck in vielen Bereichen. „Damals gab es die Zensur der Ideologen, heute die Zensur des Geldes“, sagt er einmal. Gleichzeitig ist er als Botschafter mit Defa-Filmen in Mexiko, Bolivien, den USA und Südamerika unterwegs, kommt mit Studierenden dort über das Leben und das Filmemachen in der DDR ins Gespräch.

Resignation klingt nicht heraus, wenn Simon zurückblickt auf seinen Weg in beiden Systemen und das Werk, das dabei entstanden ist – im Gegenteil: „Mir ist es gelungen, nichts tun zu müssen, sowohl in der alten als auch in der neuen Welt, das gegen mein Gewissen geht.“ Glücklich, wer das von sich sagen kann.

Ab Mittwoch ehrt das Filmmuseum den Potsdamer Regisseur mit einer Filmreihe. Zum Filmabend mit dem Humboldt-Film „Die Besteigung des Chimborazo“ am Donnerstag um 19 Uhr wird auch der Jubilar erwartet.

Zur Startseite