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Stefan Eisermann "Ballspieler" aus dem Jahr 1998

© Repro: Kunstverein Potsdam

Zum 20. Todestag von Stefan Eisermann: Gegen alle Widerstände

Vor 20 Jahren starb der Maler Stefan Eisermann. Seine Werke sind nun in der Guten Stube des Potsdamer Kunstvereins zu sehen: zusammen mit Collagen der Künstlerfreundin Vera Schwelgin.

Sie waren die letzten, die noch mit ihm sprechen konnten: an diesem dunstverhangenen 10. Oktober vor 20 Jahren. Es roch nach Winter, als Vera Schwelgin und ihr Mann Wolfgang Reinke wieder zurück auf die Tuchmacherstraße in Babelsberg traten. Zwei Tage später starb ihr Freund, ihr Malerkollege Stefan Eisermann: mit 55 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Therapie lehnte er ab.

Ein kleines Gemälde von ihm hält Vera Schwelgin am Mittwochnachmittag beim Aufbau der Ausstellung „parallel“ in der Guten Stube des Potsdamer Kunstvereins, in der Arbeiten von ihr und von Stefan Eisermann zu sehen sind, liebevoll in der Hand. Ein Geschenk Stefan Eisermanns zu ihrem 40. Geburtstag. „Einer mit sich Nachsicht übend“, steht auf der Rückseite. Der Mann im Vordergrund des Bildes trägt langes blondes Haar und könnte der Maler selbst sein. Er prostet der Kneipenrunde zu. „Glück“ ist kaum leserlich über seine Hand geschrieben. „Stefan feierte gern, war fröhlich, voller Energie. Ich sehe ihn noch, wie er mit der Hüfte wiegend, seinen Lipsischritt tanzte.“ Lipsi, die brave Antwort des Ostens auf den wilden Rock’n’Roll des Westens.

Der künstlerische Weitsprung des Autodidakten

Dieses Bild hängt nun an der Stirnseite der Ausstellung, die im Erdgeschoss mit wenigen Werken den künstlerischen Weitsprung des Autodidakten vermisst. Von seinen ersten naiven Malversuchen, die der Schlosser von der Schiffswerft Rostock mit 31 Jahren wagte, bis zu seinen expressiven „Herzbildern“ und fallenden Artisten 20 Jahre später in Potsdam.

Während Wolfgang Reinke und der Kurator Thomas Kumlehn die Bilder der Doppelschau an die Wand bringen, erinnert sich Vera Schwelgin zurück: an ihre erste Begegnung mit Eisermann. Es war das Jahr 1977, als er zu ihnen ins Atelier nach Hirschburg, der „Pforte“ zum Fischland, kam. „Anfangs etwas scheu, öffnete er Koffer und Taschen und packte seine Bilder aus. Wir waren sehr angetan von den kräftig farbigen, erzählerischen Bildern. Mit unverkrampften, ja liebenswert verzeichneten Formen erzählte er drauflos. Mit strahlenden Farben setzte er die Pointen, und insgesamt kam Malerei dabei raus.“

Das gefiel dem ebenfalls malenden Paar. Eisermann blieb lange und ging als Freund. Häufig kam er mit neuen Bildern und Problemen vorbei. In dieses Atelier, wo jährlich Sommerausstellungen stattfanden. „Für uns war es ein einziges Fest, sagt Wolfgang Reinke. Stefan Eisermann half beim Aufbauen, immer mitten drin. Auch IM-Berichte erzählen davon; von Eisermann und seinen „naiven Wohnstuben“. Eisermann, der Autodidakt, musste lange gegen Vorurteile und Ablehnung kämpfen, bevor seine Werke in den öffentlichen Kanon einstimmen durften. Zwei Ablehnungen im Künstlerverband Rostock, die ihn runterzogen. Erst 1988 kam die anerkennende Aufnahme.

Da lebte er schon drei Jahre in Potsdam. 

Die unsichtbaren Fäden der Stasi

Als er sich am Hans-Otto-Theater als Requisiteur bewarb, gab es erstmal monatelanges Schweigen: Der unsichtbare Begleitbrief von Stasi zu Stasi machte ihn als „Pseudokünstler“ aus, der Kritik am real existierenden Sozialismus übe. „Dieser kommt aus Rostock, ist politisch negativ und Freund der Palfi“, hieß es in der Karteikarte der Stasi über Eisermann. Es wurde empfohlen, ihn nicht einzustellen. Der Ausstattungsleiter des Theaters, Frank Hähnel, bohrte indes so lange, bis Eisermann die Stelle bekam. Und Veronika Palfi, die Maskenbildnerin, heiratete.

Seine Bilder erzählen auch von diesem politischen Gängelband, von der Einengung. Doch er blieb in diesem Land. Anders als Vera Schwelgin und Wolfgang Reinke, die ihr Atelier, das für viele Künstler ein Zufluchtsort war, verließen. „Das nahe Meer gab uns die Illusion, die Welt könnte offen sein. Aber es war nicht die Freiheit, sondern der letzte Zipfel.“ Sie wollten raus aus dieser Begrenzung. „Stefan war sauer, dass wir ihm nichts von unserer Entscheidung erzählt hatten. Aber er war da schon in Potsdam und es ging hier im Norden mit der Ausreise sehr schnell. Man wollte, dass es keine Ansteckung gab“, so Vera Schwelgin.

„Nie wieder einreisen“ stand auf ihrem Ausreiseformular. 

Der Ritt ohne Skrupel

1990 sahen sie sich wieder: bei der Vernissage von Stefan Eisermann in der Galerie „trapez“ in Potsdam. Sie waren verblüfft über seine Entwicklung, über diese Energie. Er malte wie er lebte: „bedingungslos“, heißt es in dem sechsminütigen NDR-Film „Ritt ohne Skrupel“, der zur heutigen Vernissage gezeigt wird, und den „Maler gegen alle Widerstände“ noch einmal selbst zu Wort kommen lässt. Und auch den Kurator Thomas Kumlehn, der „die existenzielle Wucht, diese Dünnhäutigkeit des Malers“ schätzte. Ab 1993 betrieb er die Galerie am Staudenhof mit Eisermann, versuchte, den Galeriestandort zu retten. Als seine ABM-Stelle als Technischer Leiter auslief, wurde Eisermann arbeitslos.

Ein Stipendium der Stiftung Kulturfonds half weiter. Er reiste, bekam weitere Ausstellungen: dreimal im Waschhaus. Die dritte, in seinem Todesjahr, zeigte seine „Herzen“. Haus und Herz – Symbole, mit denen er immer wieder auf seiner Guckkastenbühne, einem häufig verwendeten Motiv, jongliert, umrahmt von farbenfrohen Ornamenten. Aber auch der Zirkus, zeltähnliche Gebäude mit fallenden Menschen, finden sich oft ein: Menschen, meist schablonenhaft. 

Vera Schwelgins Collage "Kentaur", 2016
Vera Schwelgins Collage "Kentaur", 2016

© Repro: Kunstverein Potsdam

Anders als bei Vera Schwelgin, mit der seine Werke nun zusammen zu sehen sind: zum Dauerthema Mann und Frau. „Das beschäftigte uns beide, ihn aus männlicher, mich aus weiblicher Sicht: Mich, die schon ewig mit einem Mann zusammen ist, ihn, der viele Trennungen erlebte, und sich immer wieder neu verliebte, auch in seinem Todesjahr.“ Seine letzte Arbeit zeigt ein Paar, sich lose an die Hand nehmend. Datiert vom 28.8.1998. Sie ist nicht mehr mit dem Pinsel gemalt, sondern mit Farbstiften gezeichnet: auf der Seite eines alten Rechnungsblocks. An den Rändern ist zu lesen: Haben und Soll.

"Wie ein Gruß von Stefan"

Auf der Soll-Seite stand noch eine eigene Galerie. „Im Juni 1998 haben wir dazu lange telefoniert. Er fragte, ob wir mitmachen würden. Wir wollten und verabredeten uns für September“, sagt Vera Schwelgin. Ihr Anruf ging ins Leere. Kein Rückruf. Im Oktober der nächste Versuch. Seine Schwester Irene erzählte schließlich von der Krankheit. „Hatte er Scham vor dem Verfall, dass er sich nicht bei uns gemeldet hat? Ich weiß es nicht. Wir fuhren in die Tuchmacherstraße, scherzten über Bilder und gutes Essen, das er so liebte. Zum Abschied sagten wir: ,Wir kommen wieder.’“ Die Freundschaft geht weiter, über den Tod hinaus. „Als die Anfrage von Thomas Kumlehn kam, war das wie ein Gruß von Stefan. So wird sie wieder lebendig, unsere Zeit in Hirschburg, wo er uns mit dem Lipsischritt umtanzte.“

„parallel“, zu sehen bis 7. Januar 2019, eröffnet am heutigen Freitag, den 12. Oktober, um 19 Uhr, in der Charlottenstraße 121

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