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Kultur: Zerrissen

Der Künstler Joachim Palm wurde in Potsdam geboren, verließ 1961 die DDR und lebt heute zwischen München und Potsdam. Seiner Heimatstadt macht er jetzt ein großzügiges Geschenk

Es wird ja so schrecklich viel über Heimat geredet heutzutage, sagt Joachim Palm. Er selbst wisse auch nicht, was das eigentlich sei. Aber: „Ich weiß, wie es sich anfühlt.“ Wie Potsdam nämlich.

Das klingt offensichtlicher als es ist. Der Künstler Joachim Palm lebt in München. „Und in Potsdam!“, fällt er bei der Pressekonferenz, die das Potsdam Museum ihm zu Ehren veranstaltet, Museumsdirektorin Jutta Götzmann ins Wort. Viermal im Jahr ist er für einige Zeit hier, in einem Haus am Rande des Wildparks – seinem Elternhaus. Hier wuchs er auf, hier hat er sich nach 1989 eine Garage zum Atelier umbauen lassen. Dazwischen: eine jahrzehntelange Zwangspause. Joachim Palm verließ kurz nach dem Mauerbau 1961 mit einem gefälschten Pass die DDR. Potsdam, seine Heimatstadt, durfte er offiziell erst nach dem Mauerfall wieder besuchen.

Als er vor zwei Jahren 80 wurde, beschloss Joachim Palm, dieser Heimatstadt ein Geschenk zu machen: 40 Radierungen und ein Ölgemälde. Seit gestern gehören sie offiziell dem Potsdam Museum. Es sind die ersten Werke des Künstlers im Museumsbestand. Aber sie passen sich thematisch gut in bestehende Sammlungsschwerpunkte ein, wie die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Havemann betont. „Menschen in der Großstadt ist ein Hauptmotiv im Schaffen von Joachim Palm, und es ist eines, das auch das Potsdam Museum immer wieder beschäftigt.“ Zuletzt etwa in der DDR-Kunstschau „Die Wilden 80er Jahre“ oder in der Ausstellung „Potsdam in der Grafik“, die Stadtansichten seit 1945 versammelte. Havemann erinnerte auch daran, dass 5000 der 6000 Grafiken im Bestand des Potsdam Museums aus der Sammlung der ehemaligen Galerie Sozialistische Kunst hervorgingen. Die Werke eines Künstlers von der anderen Seite der Mauer bringen also eine neue, willkommene Facette herein.

Joachim Palm, dessen Werke seit 1964 in zahlreichen Galerien im In- und Ausland ausgestellt werden, wurde 1936 in Potsdam geboren. „Der Park von Sanssouci war mein Indianerspielplatz“, er. Im Humboldt-Gymnasium ging er zur Schule, vor dem Chinesischen Teehaus machte er Bekanntschaft mit Thomas Mann, hier verschlang er dessen Novellen – eine Lektüre, die ihn fürs Leben prägte. Nach dem Abitur 1955 machte er im Hans Otto Theater Station, arbeitete hier als Bühnenmaler. Ab 1956 studierte er an den Kunsthochschulen Berlin und München, schüttelte dem Expressionisten Karl Hofer noch die Hände, hatte Lehrer, die selbst bei den Bauhaus-Künstlern gelernt hatten. 1970/71, die DDR lag längst hinter ihm, war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Unter den geschenkten Radierungen, Werke aus allen Schaffensphasen von Anfang der 1970er bis heute, befindet sich auch ein Motiv aus jener Zeit in Rom: eine schwarze Gestalt von hinten, deren Rücken mit den Umrissen einer schwarzen Säule verschmilzt. Ein anderes Motiv aus den 1970er Jahren zeigt einen einsamen Mann im Fernsehsessel, tief eingesunken. Das Bild wird von stark trennenden Linien dominiert.

Überhaupt durchziehen Trennlinien Palms Werk – auch die andere, große Trennlinie, die bis 1989 durch Deutschland lief. Eine Radierung von 1971 zeigt die große Brache vor dem damals völlig isolierten Reichstagsgebäude – eine unüberwindbar wirkende Distanz. Und 1989 entstand eine farbige Radierung mit einem Mann, der eine Frau anhebt, um ihr einen Blick über die Berliner Mauer zu ermöglichen. Der Mann, sagt Joachim Palm, war er selbst. Im Hintergrund eine Brücke – in Italien. Die Kunst von Joachim Palm zurrt verschiedene Lebensphasen in einem Bild zusammen, verdichtet Elemente verschiedener Erfahrungen. Potsdam ist auch so ein Element. Manchmal streift er mit der Kamera durch die Stadt, holt Formen, die ihm gefallen, auf Fotos mit nach Hause und webt sie in seine Arbeiten ein. Eine Skulptur zum Beispiel, die er irgendwann mal an einem Haus in der Wilhelm-Staab-Straße entdeckte, thront in seiner Radierung auf einem abstrakt wirkenden schwarzen Sockel.

Es lebt sich gut zwischen zwei Städten, sagt Joachim Palm, „in angenehmer Zerrissenheit.“ Er geht gerne durch Potsdam, ihm gefällt, was er sieht, wenn auch nicht alles. Dass die Fachhochschule wegkommt, findet er gut, „Die Stäbchen-Architektur ist einfach zu banal.“ Auch sehe es in Potsdam arg geputzt, so bonbonartig aus. Und das Stadtschloss – naja. Trotz allem: Potsdam war aus der Ferne ein Sehnsuchtsort für ihn, und er scheint auch in der Nähe einer zu bleiben. Im Moment erstellt er ein Werkverzeichnis, und wer weiß, vielleicht kommt er ja nochmal auf Potsdams Museum zurück. Er war nämlich auch als Bildhauer sehr produktiv.

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