zum Hauptinhalt
Elfenhaft. Die Frauen tanzen ihre eigene Melodie.

© Erik Berg/fabrik

Kultur: Zermürbender Reigen der Geschlechter Das Ingun Bjørnsgaard Prosjekt in der fabrik

Schon die ersten Momente zeigen, wohin es gehen wird. Ein Mann und eine Frau knien nebeneinander.

Schon die ersten Momente zeigen, wohin es gehen wird. Ein Mann und eine Frau knien nebeneinander. Er will gehen, sie hält ihn zurück, er will sich ihr nähern, sie hält ihn ab. Bereits hier wird mit kleinen Gesten gezeigt, was in der Produktion der norwegischen Choreografin Ingun Bjørnsgaard in einprägsamen Bildern am Mittwochabend in der Reihe „Meisterchoreografen“ in der fabrik schonungslos variiert wurde.

Drei Tänzerinnen und Tänzer „begegnen“ sich in „Omega and the deer“ in diesem geheimnisvollen Bühnenraum, der sich mit seinen von der Decke hängenden Blattgirlanden und dem kahlen Tisch auf der anderen Seite wie ein „Zwischenraum“ anfühlt. Nicht Natur pur, noch nicht Kultur, sondern ein Feld, auf dem die Grenzen verschwimmen, auch die zwischen Menschen, Tieren oder sonstigen Naturwesen. Vor allem in diesen elfenhaften Frauen, die im selben Moment so fragil und kräftig, so verführerisch und abweisend, so einsam und so distanziert sind. Und die Männer?

Frau weiß nicht (mehr), was sie an ihnen hat. Und so wird man sofort hineingezogen in einen modernen Geschlechterreigen, in dem nicht mehr klar ist, wie die Rollen verteilt sind. Wer erobert? Wer gibt sich hin? Wer trägt? Wer empfängt? Die drei Frauen (Ida Wigdel, Marianne Haugli, Marta-Luiza Jankowska) haben alle ihre eigene innere Melodie, bringen sie expressiv an die Oberfläche und wenn sie mit einem von den männlichen Wesen (Mattias Ekholm, Erik Rulin, Matias Rønningen) eher zufällig zusammenstoßen, ist das Ergebnis zumeist unbefriedigend. Vor allem für die männliche Seite, die hier als „benutzt“ und/oder oft unterlegen erscheint.

Die hochemotionalen Duette oder Trios werden durch eine in vielen Momenten kakophonisch anmutende Tonspur (Musik: Rolf Wallin, Tansy Davis) vorangetrieben, die die Widersprüchlichkeit des gefühlten zwischenmenschlichen Verhaltens disharmonisch-schmerzhaft in die Körper von Tänzern und Zuschauern einschreibt. Dem kann man sich kaum entziehen, genauso wie den starken Bildern von Einsamkeit, Verlorenheit und Vergeblichkeit der immer „neuen“ Paarkonstellationen. Das fühlt sich sehr stimmig an. Denn mit den vielen gesellschaftlichen und moralischen Verwerfungen heutzutage scheinen traditionelle Geschlechterrollen einerseits die letzte „sichere“ Bastion zu sein, andererseits funktionieren sie im Alltag nicht mehr, sodass das Dilemma sich für Frauen auch mit: „nicht mit ihm, nicht ohne ihn“ auf den Punkt bringen lässt. Und es scheint kaum Auswege daraus zu geben.

Nur einmal, da finden sich die sechs in einem kurzen Moment als scheinbar harmonische Gruppe. Zwei Paare tanzen das, was alle kennen, doch bei dem mittleren von den dreien kommt es gar nicht darauf an, wer welche Rolle hat, sie variieren das Heben und Tragen, das Fallenlassen und Getragenwerden spielerisch und frei. Eine kurze Utopie in diesem ansonsten nahezu aussichtslosen Reigen, der die Umklammerung und das Wegstoßen als wiederholten und vergeblichen K(r)ampf inszeniert.

Und dann kommt, was kommen muss. Die Choreografin Ingun Bjørnsgaard wurde von Edvard Munchs Lithografie-Serie „Alpha und Omega“ zu ihrer Inszenierung inspiriert und so bleibt eine der Frauen mit einem Bären zurück, den sie zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benutzt und dann wütend zerhackt. Eine andere windet sich wie eine Tänzerin in einem Striptease-Lokal und treibt kurz darauf ein abstoßend-laszives Spiel mit einem Gartenschlauch. Begeisterter Applaus nach einer atmosphärisch dichten und unter die Haut gehenden Inszenierung.Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false